Sozialistische Zeitung |
Mitte November hat die italienische Regierung eine "Reform" des Art.18 Arbeitsgesetzbuch angekündigt, die in der Öffentlichkeit als
eine "Revolution" in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit gewertet wird. Die Gewerkschaften sehen darin einen Frontalangriff auf ihr Recht, alle Beschäftigten zu
vertreten. Die Tragweite des Konflikts reicht an den Margaret Thatchers mit den britischen Bergarbeitern und Ronald Reagans mit den Fluglotsen in den 80er Jahren heran. Die Macht der
italienischen Gewerschaften und die Kampfkraft ihres kämpferischsten Flügels, der Metallarbeiter, sollen gebrochen werden.
Der Minister für Sozialabbau, Roberto Maroni, trägt den Titel "Wohlfahrtsminister". Die Wohltaten,
die er zu verteilen gedenkt, trifft unmittelbar die am wenigsten geschützten Sektoren der abhängig Beschäftigten. Für drei Kategorien wird der Kündigungsschutz
vier Jahre lang auf Probe gewissermaßen außer Kraft gesetzt: für Beschäftigte, die vorher schwarz gearbeitet haben und nun eine legale Anstellung
suchen; für Beschäftigte mit einem befristeten Vertrag, die in einen unbefristeten Vertrag wechseln; für neu Angestellte in Kleinunternehmen, die damit die Schwelle von 15
Beschäftigten überschreiten. Das Gesetz über den Kündigungsschutz greift erst oberhalb dieser Schwelle. Mit der vorgesehenen "Reform" wird sie weiter
heraufgesetzt.
Das Kündigungsschutzgesetz sieht vor, dass niemand ohne gerechtfertigten Grund entlassen werden darf. Seine
Neufassung ermöglicht nun willkürliche Kündigungen. Die Betroffenen haben dann kein Recht mehr auf Wiedereinstellung, nur noch auf eine Abfindung. Während die
Kündigung aber sofort wirksam wird, können die Betroffenen ihrer Abfindung in langwierigen Gerichtsverfahren jahrelang hinterherlaufen. Das Kündigungsschutzgesetz
stammt aus dem Jahr 1970 und ist eine der Errungenschaften des "heißen Herbstes" von 1969.
Maroni hat aber noch mehr im Gepäck:
Im Fall des Streits über einen Kündigungsfall entscheidet ein "unabhängiger
Schiedsrichter", ob der/die Beschäftigte wieder eingestellt oder abgefunden wird.
Neue ungeschützte Beschäftigungsformen werden gesetzlich zugelassen: die Gelegenheitsarbeit, die Arbeit
auf Abruf, Springerarbeit, Leiharbeit. Personendienstleistungen wie Babysitting u.a. sollen Käuferinnen bei Agenturen auf Gutscheinen erwerben können, gegen die die Agentur
dann den Lohn auszahlt. Befristete Verträge können unbegrenzt erneuert werden; in anderen Fälllen wird die Vertragsdauer an die Dauer eines bestimmten Projekts
gebunden. Leiharbeitsfirmen bekommen das Recht auf unbefristete Beschäftigung.
Private Arbeitsvermittler erhalten uneingeschränkte Möglichkeiten der Vermittlung, auch in unbefristete
Beschäftigung. Die staatlichen Arbeitsämter sind gehalten, ihre Arbeit zu rationalisieren und ihre Kooperation mit den privaten Vermittlern zu verstärken.
Das Recht auf Kurzarbeit Null (cassa integrazione) bzw. auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe wird von der Bereitschaft
zur Qualifikation in andere Beschäftigungen und zur Aufnahme auch schlechter Jobs abhängig gemacht.
Der Minister rechnet damit, dass von dem neuen Gesetz etwa zwei Millionen Beschäftigte betroffen sein würden.
Tatsächlich werden es weitaus mehr sein. Die schon länger in Arbeit sind, reden vom "Ende einer Epoche", die Jungen sind "extrem sauer, weil das Gesetz sich
gegen uns richtet, die neu Eingestellten".
Die Gewerkschaften haben alle drei CGIL, CISL, UIL ablehnend auf den Gesetzesentwurf reagiert, der das Kabinett bereits passiert hat. Allerdings nicht aus denselben
Gründen: Während die CGIL gegen die "Balkanisierung der Arbeitswelt" wettert, war die Reaktion von CISL und UIL anfänglich eher positiv. Der
Wohlfahrtsminister hat der CISL sogar Heuchelei vorgeworfen, weil der Gesetzesentwurf im Kern Vorschläge der Gewerkschaft aufgegriffen habe...
Wie dem auch sei: Für CISL und UIL besteht das Hauptproblem darin, dass die Regierung für das Gesetz ein
Verfahren im Parlament beantragt hat, das nachträgliche Änderungen in Verhandlungen mit den Sozialpartnern und Parteien der Opposition ausschließt. Die
Gewerkschaftsfürsten fühlen sich in ihrer institutionellen Rolle übergangen: "Das ist die sichtbare Verweigerung der konzertierten Aktion", und das wollen sie
sich nicht gefallen lassen.
Die Regierung hat damit wieder einmal geschafft, was niemand für möglich gehalten hätte: die
Wiederherstellung der Gewerkschaftseinheit gegen sie. Sie hat damit aber auch unter Beweis gestellt, dass sie nicht daran denkt, in dieser Frage, die Kernforderungen der Unternehmer
betrifft, den Kompromiss mit den Gewerkschaften zu suchen. Im Gegenteil: der Unterstaatssekretär im Ministerium Maroni hat den Gewerkschaften sogar offen gedroht, es gebe
"ein Wiederaufblühen des Terrorismus, der sich erneut die Arbeitswelt und die in ihr Exponierten zur Zielscheibe nimmt". Er wünsche sich, dass niemand in die Rolle
des Zauberlehrlings schlüpfen möge.
An anderer Stelle wurde er noch deutlicher. Vor einigen Wochen haben FIM (CISL) und UIM (UIL) in der Metallwirtschaft
einen Tarifvertrag gegen den Willen der FIOM (CGIL) abgeschlossen. Der Zorn unter den Kolleginnen und Kollegen ist darüber so groß, dass die FIOM in den Betrieben eine
Unterschriftenaktion initiiert hat, die ein Referendum unter den Betroffenen über das Ergebnis des Vertrags fordert. Das Verfahren ist in der Metallbranche nicht unüblich. Die
FIOM hat 351545 Unterschriften unter das Begehren gesammelt und damit dokumentiert, dass sie die Beschäftigten in der Metallindustrie eher repräsentiert als die beiden anderen
Gewerkschaften.
Der Unterstaatssekretär will davon nichts wissen: Der Tarifvertrag sei rechtens, weil von CISL und UIL unterzeichnet;
dies seien "repräsentative Organisationen" und für die Feststellung ihrer Repräsentativität sei die Zahl der Beschäftigten, die sie verträten,
oder der bei ihnen eingeschriebenen Mitglieder unerheblich.
Der Verhandlungstermin der Gewerkschaftsführer mit dem Wohlfahrtsminister am 26.November ist geplatzt. Einen Tag
lang hing die Hoffnung auf einen Generalstreik in der Luft Hoffnung nicht nur für die Metallarbeiter, sondern auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst,
die ebenfalls für neue Tarifverträge kämpfen, für das Lehrepersonal an den Schulen, die gegen die vorgesehenen Einsparungen protestieren, und für die
Schüler und Studierenden, die gegen Privatisierungen an Gymnasien und Hochschulen demonstrieren.
Die Hoffnung wurde enttäuscht. Auf dem Spitzentreffen der Gewerkschaftsbosse am 27.November traten die Differenzen
wieder voll zutage: die CGIL war für einen Generalstreik eingetreten, die beiden anderen dagegen. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet nun: Vom 5. bis 7.Dezember finden im ganzen
Land zweistündige Streiks mit Belegschaftsversammlungen statt, auf denen den Kollegen die Position der Gewerkschaften erläutert werden soll. Der öffentliche Dienst streikt
am 14.Dezember für acht Stunden; den gleichen Tag hatte sich die unabhängige Gewerkschaft Cobas an den Schulen für Protestaktionen gegen den neuen Haushalt
ausgesucht.
In den Metallbetrieben ist die Verärgerung und das Unverständnis groß; am Tag nach Bekanntwerden der
Entscheidung der Gewerkschaftsspitzen traten in zahlreichen Betallbetrieben Norditaliens die Belegschaften in einen spontanen Streik. Die politische Linke ist gespalten; mit Rifondazione
lehnen nur noch die Grünen dieses "Streikchen" ab und drängen auf einen Generalstreik.
Einige machen sich jetzt Hoffnung, der 14.Dezember könnte zum Auftakt einer breiteren Streikbewegung werden. Der
Sprecher der "Cobas Schule" hat aufgerufen, an diesem Tag in einen faktischen Generalstreik zu treten, zusammen mit den Studierenden und der Bewegung gegen die neoliberale
Globalisierung.
Angela Klein
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