Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 06.12.2001, Seite 14

Lifestyle für Landser

Der normale SoZ-Leser und die entsprechende SoZ-Leserin werden wahrscheinlich selten dazu kommen oder kommen wollen, die Bild zu lesen, auch wenn oder gerade weil sie eine gesunde "Enteignet-Springer"-Sozialisation genossen haben. Wie sich des sozialdemokratischen Kanzlers bedingungslose "Solidarität mit Amerika" auf der Ebene des Pistolero-Journalismus durchsetzt, ist allerdings durchaus eine Beobachtung wert. Bekannt mag noch sein, dass im Hause Springer seit kurzem eine neue Redaktionsrichtlinie in die Arbeitsverträge aufgenommen wurde.
Neben der gewohnten "Aussöhnung mit Israel" gilt nun auch die aktive Unterstützung der USA als verbindliche redaktionelle Selbstverpflichtung. Den Aufschrei der Mediengewerkschaft innerhalb von ver.di über diesen journalistischen Tagesbefehl zum Kadavergehorsam hat kaum jemand zur Kenntnis genommen. Breiter sichtbar war da schon die Stars-and-stripes-Dekoration der Bild-Seiten in den ersten Tagen nach dem 11.September. Hart an der Grenze des Surrealen, wenn‘s nicht so bitter ernst gemeinte Kriegspropaganda wäre, sind die Ergüsse auf den Innenseiten.
Da schreibt z.B. ein gewisser "David Blieswood" seit März dieses Jahres regelmäßig strunzdummes Zeugs über den modernen Lifestyle, was "in" und was "out" ist. Und seit dem 11.September ist vor allem eins "in": Rache und Krieg.
Herr Blieswood ist in Wahrheit Norbert Körzdörfer. Er war Chefredakteur der Bildwoche und wurde unter dem neuen Oberboss Kai Diekmann in die Chefredaktion von Bild aufgenommen, und darf jetzt muntere Kolumnen der Art schreiben, die der neue Chef so liebt, dass fast wöchentlich neue Autoren eingeführt werden. Körzdörfer ist auch Verfasser eines "ABC der feinen Lebensart", das sich selbst als "ein moderner Knigge" bewirbt und Tipps fürs Champagnertrinken, Havannarauchen und Karibikurlauben gibt.
Am 2.Oktober verzapft "David Blieswood" folgende Prosa: "Es ist der Tag 20 danach. Der Wind verweht das bittere Parfüm der verschmorten Computer … 19 Jumbo-Terroristen lähmten die letzte Weltmacht. Okay. Das war gestern. Heute beginnt eine neue Zeit. Das Imperium schlägt zurück." Am 10.November gibt er die "Lebensregeln" für diese neue Zeit: "Blieswoods Lebensregeln: Sagen sie ja! Ja zum Kuscheln! Kratzende Regentropfen. Raschelndes Laub. Duftender Tee. Wärmender Glühwein. Tür zu! … Ja zu unseren Soldaten! Nicht zerknirscht, sondern stolz. Sie sind die Botschafter unserer Freiheit und Werte. Unsere Gedanken begleiten sie — und unsere Gebete. Ja zu kostbaren Kochbüchern für Weihnachten! Keine Bücher zum Grübeln, sondern zum Handeln — zum zusammen Genießen … Sagen Sie nein! Nein zu piepsenden Handys! Pieps-Pest. Das Wochenende wird zur Kakophonie (Missklang) der Handyholics … Nein zur Pause der Anti-Terror-Aktion gegen die Taliban-Killer! Wer sagt: ‚ich bin für eine Bombenpause im Fastenmonat Ramadan‘ meint eigentlich: ‚ich bin gegen diesen Krieg‘. Bitte nicht heucheln. Nein zur schnellen ‚Liebe‘! Es ist vollkommen in Ordnung, sich Zeit zu lassen. Es ist altmodisch, es ist gut, es ist romantisch. Liebe darf nicht fast-food sein…"
Konsumieren, Nur-an-sich-Denken und die Regierung und Armee brav ihr blutiges Handwerk machen lassen. So wird der sozialdemokratischen Regierung die "neue Zeit" gefallen, mit der wird gerne mitgezogen. Und ab einer bestimmten Höhe des Honorars finden sich offensichtlich immer wieder neue durchgeknallte Schreiberlinge, die entsprechende Lyrik auf die Kriegsherren unters Volk bringen.
Uns bleibt nur die Hoffnung, dass das mit der Enteignung eines Tages doch noch was wird. Sagt Ja! Ja zum Druckerstreik bei kriegshetzender Scheiße, Ja zum Verweigern und Blockieren von Zeitungstransporten, Ja zu Buttersäure in Zeitungskästen und merkt euch Norbert Körzdörfer, den Lifestyle-Taliban aus Schröders Roadshow.

Thies Gleiss

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