SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 4

Mit Blick auf die Macht

Gastkommentar von Hilary Wainwright

Sie behaupten, dass sie im Krieg gegen den Terrorismus siegreich sind. Aber Al Qaida bleibt intakt, Hamas rekrutiert ständig neue Mitglieder, und der Staatsterrorismus erreicht in Israel und in Indien eine neue mörderische Dimension. Sie behaupten, an die internationale Gemeinschaft zu glauben, aber sie treten die humanitären Regeln dieser Gemeinschaft mit ihrer Behandlung der Al-Qaida-Gefangenen mit Füßen.
Sie sagen, sie seien grün, aber eine Verbrennungsanlage produziert lebensgefährliche Gifte, die Kontrollbehörde der Regierung lehnt eine Untersuchung ab und die Verbrennungsanlagen laufen weiter. Sie behaupten, das politische System zu dezentralisieren, aber sie schwächen die Verwaltung der Städte und Gemeinden — und sie drohen nun damit, dass sie den lokalen Gemeinden das Recht wegnehmen, die Pläne der großen Unternehmen in Frage zu stellen.
Sie behaupten, dass sie die Qualität des öffentlichen Dienstes verbessern, aber derweil warten wir auf Züge, die gestrichen wurden, und fürchten die tödlichen Unfälle, die zwangsläufig geschehen. Usw. usf.
Ihre Kommentatoren behaupten, "die Linke" hätte keine Alternative. Reden diese Schreiberlinge über ihresgleichen? Unsere Frustration erreicht einen gefährlichen Grad. Gefährlich, weil die Mächtigen aus dem Schneider sind, wenn wir unsere Wut nicht in strategisches Denken umsetzen. Wir müssen ihre Macht aufbrechen und demokratische Alternativen schaffen.
Dieses Ziel sollten wir uns für das kommende Jahr setzen: mit konzentrierterer Anstrengung als je zuvor, ein Instrument für die grüne und internationalistische Linke zu sein, das zeigt, dass es Alternativen gibt, und Vertrauen in diese Alternativen schafft.
Als erstes benötigen wir, nach dem 11.September, einen Maßstab dessen, wogegen wir sind, um die Bruchstellen der herrschenden Ordnung zu erkennen. Der "Krieg gegen den Terrorismus" erinnert uns daran, dass diese herrschende Ordnung immer noch von einem Staat dominiert wird, dessen militärische Macht erdrückend ist — der Militärhaushalt der USA ist größer als der der neun nächstgrößten militärischen Mächte zusammengenommen. Aber die Fähigkeit der USA, ihre große Idee, die ungehinderte Bewegung des Kapitals oder, anders ausgedrückt, das schrankenlose Recht der Konzerne, in der Weltwirtschaft durchzusetzen, ist ins Stocken geraten. Ein Anzeichen dafür war die Tatsache, dass die Macht der Weltwirtschaft trotz aller Bemühungen des IWF nicht fähig war, auf die argentinische Schuldenkrise — die größte, die es bislang gab — zu antworten.
Wir wollen diese Machtstrukturen und ihre Verwundbarkeit nicht untersuchen, damit die Linke sie "übernimmt", sondern damit wir in die Lage versetzt werden, das zeitgenössische Machtsystem als Ganzes zu verändern. So werden wir unseren Blick auf die etablierte Ordnung verbinden mit Berichten und Analysen alternativer Machtquellen. Zum ersten, die oft unterschätzte Macht von Ideen, die lebenswichtig sind, um die positive moralische und politische Richtung unseres Widerstands abzustecken und breite Unterstützung zu inspirieren.
Die Empörung über den fundamentalistischen wie über den staatlichen Terror und die Erfahrung globaler Unordnung hat mehr Menschen die Augen geöffnet für die Machbarkeit und dringende Notwendigkeit einer demokratischen egalitären Weltordnung, in der die USA nur ein Staat unter vielen wären. Die ethisch und ökologisch unhaltbaren Folgen davon, dass die globalen wirtschaftlichen Entscheidungen von Magnaten beherrscht werden, die nur von Profit und Macht getrieben sind, beförderte ein reichhaltiges Nachdenken über gerechten Handel und die demokratische Neuordnung der Weltwirtschaft mit den sozialen und ökologischen Bedürfnissen als Motoren der Erneuerung.
Diese Ideen müssen mit der Kraft konzentrierter Organisierung verbunden werden, die die schwachen Punkte ausnutzt, die bei der Analyse der bestehenden Machtstrukturen enthüllt wurden. Zum Beispiel haben neue Koalitionen aus Gewerkschaften und Basisgemeinden — in Los Angeles, Florida und anderswo in den USA, nach und nach auch in Großbritannien — neue Verhandlungspositionen aufgebaut, indem sie die Abhängigkeit der Konzerne von der regionalen Infrastruktur und einem guten öffentlichen Image ausgenutzt haben. Aktivisten der Antikriegsbewegung haben herausgefunden, dass direkte Formen internationaler Solidarität eine unmittelbare Wirkung haben durch z.B. die internationale Präsenz im besetzten Palästina in enger Zusammenarbeit mit Palästinensern.
Ein Problem besteht darin, die Wege zur Verbindung solche unterschiedlicher alternativer Machtquellen zu finden. Ende Januar sind wir zum zweiten Mal Zeugen einer außergewöhnlichen Versammlung: des Weltsozialforums. Seine Tagesordnung basiert auf dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" und bringt Vertreter von Alternativen aus Nord und Süd zusammen, um herauszufinden, wie verschiedene Fäden einer Alternative zu einem größeren zusammenhängenden Ganzen verwoben werden können. Wir werden dort sein und über die lokalen und globalen Initiativen berichten, die beweisen, dass es eine Alternative gibt zu den politischen und persönlichen Nichtigkeiten Präsident Bushs und des Möchte-gern-Präsidenten Tony Blair.

Hilary Wainwright

Chefredakteurin der in London erscheinenden Monatszeitschrift Red Pepper .



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