SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 8

Widerspruch hat Sinn

Kurzer Rückblick auf die Parteienmisere im Osten Deutschlands

Die SoZ brachte in ihrer letzten Ausgabe einen Aufruf ehemaliger Angehöriger der DDR-Bürgerbewegung, die ihren Idealen treu blieben. Im Appell erinnerten sie an die Rebellion von 1989 und erklärten, auch die jetzige Regierungspolitik satt zu haben. PDS-Führer, die seinerzeit das Erbe antistalinistischer Opponenten in der SED für sich reklamierten, steuern inzwischen einen Kurs der vollendeten Einpassung ins BRD-System. Er kann nur korrigiert werden, wenn die Mitgliedschaft sich auf sozialistische Ziele zurückbesinnt und entsprechend handelt.
Rückblicke in die Vergangenheit geben bisweilen Kraft, auch wenn sie an Niederlagen erinnern. Die Opposition gegen den DDR-Staat entstand frühzeitig, als Reaktion auf seine nichtkapitalistischen ebenso wie seine antidemokratischen Züge. Häufig traten SED-Mitglieder oppositionell auf. Die Bürgerbewegung entstand ab Anfang der 80er Jahre, wesentlich aus dem Kreis um den Dissidenten Robert Havemann und kirchennahe Kreise. Ihr gehörten nur 2000 Aktive an. Doch wurde sie in dem Moment bedeutsam, als das DDR-Volk sein Vertrauen in die Regierung einschließlich ihrer Fähigkeit verlor, Rebellionen niederzuschlagen, und die Regierung samt staatstragenden Parteien und Bewaffneten aller Art isoliert und gelähmt war.
Im Unterschied zu Hunderttausenden Ausreisewilligen drängte die Bürgerbewegung auf demokratische Umgestaltung des eigenen Staates. Ihre Vorstellungen ähnelten denen oppositioneller SED-Mitglieder. Zwar kam es generell nicht zur Kooperation, doch trugen Genossinnen und Genossen 1989 durch Nichteingreifen zugunsten des Regimes wesentlich dazu bei, dass die ansatzweise in Dresden und Berlin erprobten Pläne einer "chinesischen Lösung" — der Unterdrückung mit Waffengewalt — durchkreuzt wurden.
Am 9.November öffnete die SED-Führung abrupt die Westgrenze. Sie wollte sich dadurch beim Volk einkratzen und zugleich vom Druck der Bürgerbewegung sowie der Parteiopposition befreien. Das misslang, doch nahm dabei die inner- und außerparteiliche Opposition schweren Schaden, während gleichzeitig die Führung sich und dem Staat die Existenzgrundlagen entzog. Die Blockparteien orientierten sich nach Westen. Die SED, nun SED/PDS, und Teile der Bürgerbewegung hielten am Demokratisierungsziel fest, standen aber auf verlorenem Posten.
Kanzler Kohl und die BRD-Etablierten nutzten die Gunst der Stunde. Durch Versprechungen an die Bürger sowie durch Druck und Erpressung nötigten sie die DDR zum Anschluss an die BRD. Etappen waren die von ihnen durch massive politische Eingriffe mitgestaltete Volkskammerwahl vom 18.3.1990, der Geldumtausch am 1.Juli, die beginnende Zerschlagung von DDR-Wirtschaft, -Wissenschaft und -Kultur und die der bisherigen Eliten. Die Blockparteien gingen in Westparteien auf. Die PDS behauptete sich trotz schwerster Verluste. Die Bürgerbewegung zerfiel in Kleingruppen und Einzelpersonen, die sich entweder bei den Grünen oder in anderen Parteien wiederfanden, inaktiv wurden oder als Splitter fortvegetierten.
Für Ostdeutschlands Entwicklung waren seitdem die durch Kahlschlag erreichte Abwanderung weiterer Hunderttausender Menschen nach Westen, die Wirkungslosigkeit von Protestaktionen und der meist straflose Ausgang von Westgaunereien charakteristisch. All das hatte Resignation und Wahlmüdigkeit zur Folge.
Zugleich wurden frühere DDR-Bürger den neuen Herren gegenüber kritischer, fanden streitbare Geister der Linken aus verschiedenen Lagern zusammen. Die Fronten wurden klarer. Sogar in etablierten Parteien klafften Ost-West-Gegensätze auf, die vielfach auch solche zwischen unten und oben sind.
Von den einstigen Bürgerrechtlern drifteten etliche, darunter Bärbel Bohley, Werner Schulz, Konrad Weiß und Vera Wollenberger (nun Lengsfeld), nach rechts ab. Sie treten eigene frühere Grundsätze mit Füßen und verwenden sich nur noch in der Phraseologie für Bürgerrechte. Ihr jetziges Anliegen sind das Schlagen verflossener Schlachten "gegen Stasi und SED" und ungezügelte PDS-feindliche Hetze, verbunden mit der Unterstützung neoliberaler Innen- und imperialistischer Außenpolitik. Häufig leisten sie Schmutzarbeit für Konservative, Rechtsliberale oder die rosa-blassgrüne Koalition.
Ehemalige Kampfgenossen wandten sich ab von ihnen. Nach dem Treffen Kohl/Bohley 1995 erklärten 63 frühere Angehörige der Bürgerbewegung, dass "die Verschleuderung des DDR-Volksvermögens an Alt- und Neureiche und die schrittweise Rücknahme der 1989 in der DDR erkämpften sozialen und bürgerlichen Rechte eine gewollte Politik ist . Rückübertragungen, Mietsteigerungen, gravierende Einschnitte ins soziale Netz, immer weitere . Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, neue Polizeigesetze, immer ausgreifendere Befugnisse für die Geheimdienste schaffen neue Entrechtung von Bürgern, neue Opfer und einen neuen Überwachungsstaat . Wir distanzieren uns von Leuten, die diesem Kanzler im Tausch gegen ein paar vage Versprechungen die Legitimation der DDR-Bürgerbewegung verschaffen wollen."
Unter Schröder ist — besonders nach den Attentaten vom 11.September und Washingtons weltumspannender Kriegserklärung an sog. Terroristen und Schurkenstaaten — der asoziale und repressive Kurs im Innern noch härter geworden. Hinzu kam die direkte Teilnahme der BRD an NATO-Angriffskriegen. 40 frühere DDR-Bürgerrechtler, unter ihnen Unterzeichner von 1995, riefen deswegen am 13.12.2001 zum Kampf dagegen auf. Auf die heutige BRD gemünzt, wiederholten sie im eingangs erwähnten Appell die Feststellung des Neuen Forum von 1989, die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft sei gestört.
Sie fragten, ob die Mächtigen im Westen nicht selbst Verhaltensweise, Denkstruktur und Wertesystem einer Terroristenbande annähmen. Nur eine Diktatur brauche "linientreue Parteisoldaten . Die erbärmlichen und erschreckenden Umstände der rot-grünen Entscheidung für den Krieg lassen keinen Raum mehr für parteitaktische Spielchen, für die Sorge um den eigenen warmen Arsch — machen wir endlich den Mund auf! . Wir haben 1989 gelernt, dass es Sinn hat, zu widersprechen." (Vgl. SoZ 1/2002.)
Als einzige Bundestagspartei sagt nur die PDS Nein zu neuen Kriegsabenteuern. Allein sie nimmt als Partei Interessen der Ostdeutschen wahr. Dadurch errang sie beachtliche Erfolge und überwand bei der Bundestagswahl 1998 die Fünf-Prozent-Hürde. Die Berlin-Wahl am 21.10.2001 brachte ihr den bisher größten Hauptstadtsieg. Diese Partei nicht mehr zu beachten ist unmöglich. Gleichzeitig verstärken sich, ausgehend von Spitzenvertretern, Tendenzen zu ihrer vollen Eingliederung ins neubundesdeutsche Establishment.
Teile der PDS-Politik in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, manche partiell ahistorische, die DDR- Vergangenheit verdammende Erklärung und Gysis Rechtfertigung der Liquidation ehemaliger DDR-Eliten sind dafür kennzeichnend. Die Parteirechte drängt auf eine Programmatik, die der Schablone bürgerlicher Moderne-Theorien und nicht mehr dem Marxismus entspricht.
Mittelfristig strebt sie eine Koalition auch auf Bundesebene mit der SPD an, ohne sagen zu können, wie das bei deren Führerkorps und Strategie ohne Selbstaufgabe möglich wäre. Sie fordert — hier noch in der Minderheit — das Ja zu Kampfeinsätzen in anderen Ländern, sofern nur der — vom US-Block dominierte — Weltsicherheitsrat dafür stimmt. Rechte der Mitglieder und gewählter Gremien in der Partei werden eingeengt.
Noch ändern die bedenklichen Entwicklungen nichts an der offiziellen Grundhaltung der PDS in Friedens- und ostdeutschen Fragen. Die Parteitage von 2000 bzw. 2001 in Münster und Dresden haben das mit Beschlüssen gegen alle imperialistischen Kriegseinsätze bzw. zum Wohnungsleerstand im Osten bekräftigt. Ein Sieg der Gegentendenz wäre aber über die im Koalitionsvertrag vereinbarten asozialen Sparmaßnahmen unter Mitverantwortung der PDS zum Kitten des wesentlich durch die CDU verursachten finanziellen Scherbenhaufens in Berlin leicht möglich.

Manfred Behrend

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