SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 9

‘Im Grunde liberale Ideen‘

Michael Prütz über die Berliner Koalitionsregierung und die Rolle der PDS

Ihren Eintritt in die Berliner Koalitionsregierung hat die PDS als "historischen Schritt" zur Normalisierung, d.h. zur Akzeptanz einer ehemals Kommunistischen und sich immer noch als sozialistisch verstehenden Partei in den bürgerlichen Institutionen gefeiert. Die Präambel der Koalitionsvertrags widerspricht dieser Interpretation — sie enthält kein Wort über die Rolle des Westens und der Sozialdemokratie im Kalten Krieg und gibt die klassische antikommunistische Lesart der deutschen Geschichte wieder. Ob die PDS an der Regierung Türen für sozialistische Perspektiven öffnen wird, darüber sprach Angela Klein mit dem ehemaligen Sprecher der Basisorganisation Kreuzberg, Michael Prütz.

Die Berliner Landesvorsitzende der PDS, Petra Pau, hat gesagt, die PDS habe in den Berliner Koalitionsverhandlungen erreicht, was sie in ihrer Wahlplattform wollte. Will die PDS nichts mehr erreichen, oder hat sie nicht erreicht, was sie wollte?
Michael Prütz: Meiner Meinung nach hat sie nicht erreicht, was sie wollte. Ich glaube, dass Petra Pau sich da was vormacht. Hinter den Kulissen hört man auch von führenden Genossinnen und Genossen die Kritik, die PDS habe nicht hart genug verhandelt.

Was wollte die PDS denn?
Sie wollte vor allem, dass der Punkt soziale Gerechtigkeit stärker herausgearbeitet wird. Die Belastungen, die sich durch die Politik der vorangegangenen Koalitionen angehäuft haben, sollten relativ gleichmäßig abgefedert werden. Dass die Vermögenden nun gar nicht belastet werden, wie auch der DGB-Landesvorsitzende von Berlin, Detlef Scholz, bemängelt hat, war nicht der Ansatz in der Wahlplattform.
Zum Beispiel hat die PDS sich lange für eine sog. Nahverkehrsabgabe stark gemacht. Sie wollte die Preise im öffentlichen Personennahverkehr senken und die Autofahrer, die die Innenstadt befahren, stärker belasten. Dieser Punkt ist völlig unter den Tisch gefallen. Ein anderes Beispiel: die Finanzämter sollten besser ausgestattet werden, um die Steuerrückstände einzutreiben
In Berlin gibt es für die Firmen nur alle 15—20 Jahre eine Betriebsprüfung. Dieser Punkt ist jetzt zumindest stark unterbelichtet. Es gibt in Berlin ungefähr 1,5 Milliarden Steuerrückstände; da ist nichts Konkretes vereinbart worden. Der Koalitionsvertrag ist eindeutig zugunsten der Kapitalbesitzer und der Unternehmer ausgefallen.

Gysi hat sich nun einen führenden Vertreter der Industrie- und Handelskammer als Staatssekretär in den Wirtschaftssenat geholt. Die Zeitungen schreiben, Josef Strauch macht die Wirtschaftspolitik für Berlin, Gysi verkauft sie. Ist die PDS überhaupt in der Lage und willens, in dieser Koalition eigene Schwerpunkte zu setzen?
Die Koalitionsvereinbarungen werden eigentlich nur von zwei Leitideen getragen: Die eine ist die, die Gysi jetzt pausenlos verkündet: Wir müssen Investoren in die Stadt holen. In dieser Logik ist es natürlich vernünftig, sich jemanden von der Industrie- und Handelskammer zu holen. Die andere Idee ist die von Harald Wolf: Im Jahre 2009 gibt es keine Neuverschuldung mehr.

Das sind die Ideen der SPD.
Ja, es sind die Ideen der SPD, und es sind im Grunde auch liberale Ideen. Ich kann nicht sehen, dass sie irgendetwas mit sozialer Gerechtigkeit, geschweige mit sozialistischer Politik zu tun haben.
Unterhalb dieser Ebene gibt es ein paar kleinere Punkte, die positiv sind: Im Bereich demokratische Rechte gibt es die Kennzeichnungspflicht für die Polizei, eine erklärte Stoßrichtung gegen Faschismus und Rechtsextremismus, es wird keine Videoüberwachung der öffentlichen Plätze geben, auf sozialer Ebene gibt es den Versuch, Stadtteilgenossenschaft von und für Erwerbslose zu gründen und damit selbstbestimmte Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür soll es Geld vom Senat geben, aber das ist nur eine Absichtserklärung, es ist nicht ausfinanziert. Auf dem sozialen Sektor ist nichts Konkretes festgehalten.
Festgehalten sind im Grunde nur die Sparmaßnahmen, die sind unterlegt mit konkreten Zahlen, und das dominiert im Koalitionsvertrag. Festgehalten ist auch eine winzige Verbesserung im Bildungsbereich: hier wurden keine Stellen aufgestockt, aber die Kürzung von Stellen zurückgefahren.

Viele sagen, Berlin habe keine Chance, aus seiner Verschuldung herauszukommen, es sei denn, der Bund springt ein.
Ich glaube das auch und im Grunde glauben es auch alle führenden Vertreter der PDS. Aus eigener Kraft wird Berlin die Verschuldung nicht zurückfahren können. Sie beträgt ja weit über 40 Milliarden Euro. Der Bund sträubt sich aber bisher, und es kann durchaus sein, dass Berlin im nächsten, vielleicht auch schon in diesem Jahr die Haushaltsnotlage erklären muss.

Würde der Bund denn Berlin überhaupt unter die Arme greifen?
Vor den Bundestagswahlen glaube ich das nicht. Schröder wird erst einmal abwarten wollen, wie sich die Wahlen entwickeln und wie sich die Berliner Koalition auf das Wahlergebnis der SPD niederschlägt. Aber nach den Bundestagswahlen kann ich mir das durchaus vorstellen.
Aber man darf sich davon natürlich nicht versprechen, dass es damit eine Anhebung der sozialen Standards geben würde. Es geht um eine Absenkung der sozialen Standards, das wird auch immer gesagt: Erst auf einer solchen Grundlage könnte die Haushaltsnotlage erklärt werden.
Es heißt ja immer, Berlin ist überausgestattet mit Kitaplätzen, Schulplätzen, Personal im öffentlichen Dienst; die Voraussetzung für die Erklärung der Haushaltsnotlage ist die Reduzierung all dieser Posten. Das ist ein Scheinausweg.

Wie wurde der Koalitionsvertrag auf dem Landesparteitag der PDS diskutiert und aufgenommen?
Es gibt kritische Anmerkungen, aber die betreffen nicht die Methode, sondern einzelne Positionen: den Flughafenausbau vor allem. Die Kritik richtet sich nicht gegen den Sparansatz. Es grummelt an der Basis, aber es gibt keinen organisierten Widerstand. Eher ein kritisches Abwarten. Die Unzufriedenheit manifestiert sich nicht in konkreten politischen Diskussionen und Alternativen.
Es gibt dabei auch ein sozialpsychologisches Problem: Die Leute, die heute in der PDS das Sagen haben, sind alle um die Mitte 40, deren Karriere in der DDR mit 30 beendet war, die aber in der DDR eine steile Karriere gemacht hätten. Für die ist das ein Punkt, wo sie noch mal durchstarten wollen. Sie glauben, dass sie jetzt auch bundesweit richtig groß rauskommen können.

Was meinst du hat die Koalition für Auswirkungen auf die Art, wie die PDS in die Bundestagswahl gehen wird?
Ein Teil der PDS-Führung geht völlig euphorisch an die Bundestagswahlen heran: Sie glauben, sie werden ein doppelt so hohes Ergebnis einfahren wie bei der letzten Wahl — um die 10%; und sie glauben, dass sie auf dieser Grundlage schon 2002 zu einer Übereinkunft mit der SPD auf Bundesebene kommen werden. Das glaubt die Vorsitzende Gabi Zimmer nicht, aber andere wohl, bspw. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Für den Wahlkampf selbst läuft das meines Erachtens darauf hinaus, dass die PDS die rot-grüne Regierung zwar kritisiert, ihr aber linken Flankenschutz gibt.

Und wie siehst du die Chancen für die PDS-Linke?
Ich sehe im Moment für die PDS-Linke überhaupt keine Chance. Zum einen gibt es in Berlin keine organisierte Strömung; zum anderen bewegt sich die PDS-Linke, die sich bundesweit organisiert, viel zu sehr auf der Ebene der ideologischen Kritik als auf der Ebene der praktischen Aktion. Sie ist nicht in der Lage, eine eigene politische Initiative zu ergreifen.
Ich schätze das deshalb eher pessimistisch ein; ich glaube auch nicht, dass es in Berlin in nächster Zeit zu größeren Brüchen kommt. Von vielen werden die Koalitionsvereinbarungen gar nicht so kritisch gesehen, weil sie darin auch einen Wert an sich sehen. Die Koalition ist ein Wert an sich. Sie hat alte politische Fronten aufgebrochen. Damit glauben sie das Eis gegenüber einer ehemals Kommunistischen Partei gebrochen zu haben.

Du hast dich in Kreuzberg nicht mehr zur Wahl als Sprecher der Basisorganisation gestellt. War das eine Konsequenz der Koalitionsvereinbarungen?
Ja, das war auch eine Konsequenz davon. Ich weiß einfach nicht, mit welchen politischen Schwerpunkten und Visionen die Partei in den nächsten Jahren bestehen soll. Ich glaube nicht, dass man eine sozialistische Partei um den Gedanken der Sparpolitik und der Haushaltskonsolidierung aufrecht erhalten kann, das demobilisiert und demoralisiert die Mitglieder; an diesem Prozess will ich nicht beteiligt sein.

Wo siehst du jetzt deine politischen Schwerpunkte?
Ich glaube, in Berlin gibt es zunehmend Raum für außerparlamentarische Initiativen. Das Interesse daran nimmt wieder zu. Das wird z.B. sichtbar an dem Interesse, eine große Veranstaltung zum 1.Mai durchzuführen; wir hatten in den vergangenen Jahren eher Schwierigkeiten, hier Menschen und Initiativen zum Mitmachen zu bewegen, das ist jetzt anders. Auch die Altlinken wittern wieder ein bisschen Morgenluft und glauben, dass man sich wieder Räume erobern kann. Daran will ich mich beteiligen.

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