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Das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das George W. Bush im Dezember 2000 an die Macht brachte, war nach einhelliger Meinung keine Sternstunde der
amerikanischen Justiz. Bushs hauchdünner Wahlvorsprung hinderte ihn jedoch nicht daran, so weit rechts wie möglich zu regieren. Seit den Anschlägen am 11.September ist
das Wahldebakel vollends vergessen und der Präsident hat nun noch freiere Hand bei der Durchsetzung seiner repressiven Ziele.
Die demokratiefeindliche Regierungspolitik schafft ein Klima, in dem es bspw. wieder möglich ist, dass
Polizeikräfte eine legale und friedliche Demonstration für Mumia Abu-Jamal am 8.Dezember gewaltsam störten. Mit der raschen Verabschiedung der "Patriot
Bill" im Oktober 2001 kam der Abbau von Bürgerrechten wieder einen großen Schritt voran. Dieses Gesetzespaket trägt den offiziellen Titel "Gesetz zur
Einigung und Stärkung Amerikas durch Bereitstellung angemessener Mittel zur Verhinderung von Terrorismus", bedeutet im Endeffekt aber nur einen Rückfall in
vordemokratische Praktiken.
Diskutiert wird die Einführung eines nationalen Ausweissystems, was früher als freiheitsberaubend empfunden
worden wäre. Der Ausweis solle den Namen, die Adresse, ein Foto und einen auf einem Chip gespeicherten Fingerabdruck enthalten. Dieser digitale Personalausweis könnte mit
den Daten aus dem Steuer-, Gesundheits- und Sozialversicherungssystem kombiniert werden. Die US-Bürgerrechtsorganisation, die American Civil Liberties Union (ACLU) warnte vor
einem massiven Verstoß gegen fundamentale Bürgerrechte, wie das Recht auf Privatsphäre und das Gleichheitsprinzip. Bestimmte Personengruppen könnten
diskriminiert werden. Die ACLU bezweifelte zudem, dass mit einem derartigen Ausweissystem terroristische Anschläge verhindert werden könnten. Allerdings werden diese
Pläne möglicherweise ohndies an den hohen Softwarekosten scheitern. Stattdessen könnten die vielfältigen Chipkartensysteme, die es jetzt schon gibt, irgendwann
einen ähnlichen Überwachungseffekt zeigen.
Die amerikanische Öffentlichkeit wurde nach den Anschlägen nahezu gleichgeschaltet. So ordnete der Chef von CNN an, zivile afghanische Opfer in seinem Fernsehsender nicht in
den Mittelpunkt der Berichterstattung zu rücken. Zum Glück gibt es noch einige mutige Stimmen, z.B. die von 117 Hochschulprofessoren, Studierenden und prominenten
Persönlichkeiten, deren Namen nun auf einer Schwarzen Liste stehen. Sie werden beschuldigt, "zu wenig Patriotismus zu besitzen und zuviel Selbstgeißelung zu
betreiben". Diese Liste wird vom ACTA, dem American Council of Trustees and Alumni, verfasst. Diese konservative Stifung wurde von Lynne Cheney, der Gattin des
Vizepräsidenten des USA, gegründet. Die Autoren des Berichts, vor allem konservative Akademiker, sammeln kritische Äußerungen von Professoren, Reden von
Studierenden auf Vollversammlugen und Parolen von Antikriegsdemonstrationen, um zu zeigen, wie an den Unis amerikafeindliche Ideen zirkulieren. Schon die Hinterfragung der "Politik
unserer Regierung bei der Vorbereitung des Krieges" durch den New Yorker Kommunikationswissenschaftler Todd Gitlin wird da als regierungsfeindlich gebrandmarkt. Auch die
Äußerung des Bürgerrechtlers Jesse Jackson ("Wir müssen Brücken und gute Beziehungen schaffen, nicht nur Bomben und Mauern") während
eines Vortrags an der Harvard-Universität fiel darunter. Auch wenn die ACTA keine regierungsamtliche Institution ist, so wird sie doch leicht ein Echo in den Regierungskreisen finden.
Am 13.November erließ George W. Bush eine Anweisung an die geheimen Militärtribunale für ihren
Umgang mit des Terrorismus verdächtigen Personen. Diese sollen kein Recht auf ein faires Verfahren und einen unabhängigen Richter mehr haben. Die Tribunale setzen sich nur
aus Offizieren zusammen. Sie richten nach einer vom Pentagon erlassenen Prozessordnung und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Beweisführung ist nicht mehr den strengen
Anforderungen der Zivilgerichte unterworfen. Schon eine Zweidrittelmehrheit der Offiziere reicht für ein Urteil zu lebenslänglich oder zum Tode. In zivilen Verfahren
bedürfte ein solch schwerwiegendes Urteil der Einstimmigheit. Eine Berufung ist nicht möglich, lediglich eine Begnadigung durch den Präsidenten oder den
Verteidigungsminister.
Diese Änderungen betreffen aber nicht nur Militärangehörige, sondern auch Zivilpersonen,
einschließlich Staatsbürger der USA. Ein spanisches Gericht hat sich deswegen bereits geweigert, Angeklagte an die USA auszuliefern, wo ihnen das Militärgericht oder die
Todesstrafe droht. Justizminister John Ashcroft setzte zudem die Regelung durch, Gespräche zwischen Häftlingen und ihren Anwälten abzuhören.
Aber nicht nur die Rechte der amerikanischen Staatsbürger werden seit dem 11.September mit Füßen
getreten, sondern auch die der Kriegsgefangenen und ImmigrantInnen. Die über 12000 gefangenen Talibankämpfer erhielten keinerlei Rechtsbeistand, ihre Haftbedingungen und die
Verhörmethoden wurden jeder Überprüfung entzogen. Sie wurden nach Guantanamo auf Kuba verschleppt, einem Militärstützpunkt, wo die US-Verfassung nicht
gilt. Noch werden 650 ohne Anklage festgehalten, darunter sind lediglich 10 oder 11, bei denen man eine Verbindung zum Al-Qaida-Netzwerk vermutet. Der Status von Kriegsgefangenen wird
ihnen vorenthalten, indem man sie als "ungesetzliche Kämpfer" bezeichnet. Damit haben sie auch keinen Anspruch auf Schutz durch die Genfer
Konvention.Gemäß der Genfer Konvention dürften sie nur zu Angaben über ihre Identität verpflichtet werden und müssten wie eigene Soldaten
untergebracht werden. In Verletzung des internationalen Rechts und der Antifolterkonvention von 1984 legte man die Afghanen aber in Ketten, betäubte sie und zog ihnen
Gesichtskapuzen über den Kopf. In feuchtheißem Klima sind sie in 0,80 mal 2,40 Meter kleinen Käfigen untergebracht. John Walker, der "amerikanische
Taliban" blieb 54 Tage lang ohne Rechtsbeistand und muss sich wegen Verschwörung zur Ermordung amerikanischer Staatsbürger verantworten, weil er mit den Taliban gegen
die Nordallianz kämpfte. US-Justizminister John Ashcroft will ihn aber auch wegen Hochverrats belangen, worauf die Todesstrafe steht.
Über 1100 Personen mehrheitlich arabischer Herkunft sollen in den USA im Zusammenhang mit den
Terroranschlägen vom 11.September vom FBI in Einzelhaft genommen worden sein. Verschiedene Methoden der Druckausübung auf sie wurden in Erwägung gezogen, unter
anderem auch ihre Auslieferung an Länder, in denen Druck auf Familienangehörige und Folter ausgeübt werden.
Obwohl die USA zu den Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention von 1949 gehören, wonach Folter unter allen
Umständen verboten ist, wird die Möglichkeit der Anwendung von Folter in den amerikanischen Medien nun offen diskutiert. Es müsse Ausnahmefälle geben, etwa
um "Information" von verdächtigen Terroristen zu erlangen.
Aus einer Gruppe von 548 unter Anklage stehenden ImmigrantInnen im ganzen Lande gibt es nur etwa ein Dutzend, die
ebenfalls unter Terrorismusverdacht stehen. Die übrigen sind allein aufgrund ihres Immigrantenstatus inhaftiert. Immerhin hat sich der Kongress gegen die unbegrenzt lange Inhaftierung
von verdächtigen AusländerInnen ohne Gerichtsverhandlung einem der Punkte auf der Wunschliste der Bush-Administration nach den Terroranschlägen
ausgesprochen. Für AusländerInnen mit abgelaufenem Visum, die aus irgendeinem Grunde nicht in ihr Heimatland abegeschoben werden dürfen, gilt dies jedoch nicht. Sie
können unbegrenzt eingesperrt werden. Justizminister John Ashcroft weigerte sich im November 2001 über mehrere Wochen hinweg, Auskunft über die Zahl der Inhaftierten
zu geben. Er bezeichnete jede Kritik an zeitlich unbegrenzten Festnahmen ohne Anklagepunkte oder dem Zugang zu Rechtsanwälten, jeden Zweifel an der Zuständigkeit der
Militärgerichte für bürgerliche Angeklagte als Unterstützung terroristischer Aktivitäten. Keiner der Demokraten im Senat wagte einen Einspruch.
Die USA nehmen für sich in Anspruch, die führende Weltmacht im Kampf gegen den Terrorismus zu sein, aber das
Recht auf Meinungsfreiheit und die Einhaltung der Grundrechte im amerikanischen Justizsystem selbst sind in Gefahr. Dies und der Angriff auf die Rechte der ImmigrantInnen sind die
langfristigen Folgen der Terrorschläge. Die Autorität des Staates wird nicht mehr in Frage gestellt und wird den schon existierenden sozialen Rassismus noch verstärken. Im
Umgang mit den Terroristen erweisen sich die USA als undemokratisch und werden den Maßstäben, die sie an andere anlegen, nicht gerecht.
Monika Piendl-Naji
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