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Der Machtkampf in Haiti eskaliert. Die Fronten verlaufen nicht mehr nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch innerhalb der Regierungspartei. Ein
Jahr nach dem Antritt des Präsidenten Jean-Bertrand Aristide und seines Ministerpräsidenten Jean-Marie Chérestal ist die Hoffnung auf einen demokratischen Aufbruch in
Haiti erloschen. Stattdessen tobt ein unerbittlicher Kampf um Macht und Pfründe.
Das jüngste Opfer ist Chérestal selbst. Er reichte am 21.1. seinen Rücktritt ein, einen Tag, bevor er im Senat
vor seinen eigenen Parteifreunden Rechenschaft über seine unglückliche Amtsführung hätte ablegen sollen Ausdruck eines Machtkampfes, der nun innerhalb
der Regierungspartei Lavalas entbrannt ist.
Das Jahr der Regierung Aristide/Chérestal war geprägt vom Auseinanderfallen der haitianischen Gesellschaft und
von der Ausbreitung eines Klimas der Gewalt:
Der Konflikt zwischen Regierung und Opposition nahm an Schärfe zu und entlud sich in Lynchmorden und blutigen
Straßenkämpfen. Die Verhandlungen zwischen Lavalas und der Convergence Démocratique (CD), einem Bündnis von 15 oppositionellen Parteien, über den
Umgang mit den zweifelhaften Ergebnissen der Wahlen 2000 führten derweil zu keinem Ergebnis. Nach wie vor beharrt die CD auf der "Option Zéro", der Neuwahl
von Parlament und Präsident.
Am 28.7.2001 überfielen bewaffnete Gruppen mehrere Polizeistationen im ganzen Land, darunter den Sitz einer Eliteeinheit in der
Hauptstadt Port-au-Prince. Am 17.12.2001 gelang es gar einer Gruppe ehemaliger Militärs, in den Präsidentenpalast einzudringen und diesen einige Stunden lang besetzt zu halten.
Im Verlaufe beider Ereignisse wurden zahlreiche Personen, Polizisten wie Eindringlinge, getötet. Die genauen Hintergründe blieben ungeklärt. Jeweils im Anschluss kam es
zu pogromartigen Übergriffen auf Oppositionelle, denen eine Verbindung zu den Verschwörern unterstellt wurde.
Der Unmut über die politische und soziale
Situation hat nun auch jene erfasst, die bisher treu zu Aristide und Lavalas standen: Anfang November brannten in den Slums von Port-au-Prince die Barrikaden. Die Bewohner protestierten
gegen soziale Misere und polizeiliche Willkür. Die Polizei, so ihre Klage, sei knietief in den Terror rivalisierender Banden verwickelt.
Der politische und wirtschaftliche
Stillstand hat die Verteilungskämpfe in der haitianischen Gesellschaft zugespitzt und brutalisiert. Das partielle Wirtschaftsembargo, welches die EU im Frühjahr 2001 über
Haiti verhängte, hat nicht, wie vorgeblich beabsichtigt, zur Demokratisierung beigetragen, sondern im Gegenteil den Zerfall staatlicher Strukturen und regulärer wirtschaftlicher
Mechanismen befördert zugunsten eines allgemeinen Bürgerkriegs auf niedrigem Niveau um die knapperen Ressourcen. Insgesamt liegen nun 500 Millionen US-Dollar an
Hilfsgeldern auf Eis.
In diesem Zustand der Anarchie haben die Eliten der Regierungspartei günstigere Ausgangsbedingungen als die sich heute
in Opposition befindlichen traditionellen Eliten. Abgeordnete und Senatoren von Lavalas sind tief in Korruption und Drogenhandel verstrickt. Gegen zwei von ihnen wird gar in
Mordfällen ermittelt. Um die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität wird in der Regierungsfraktion hart gerungen.
Die alten Eliten, die nie über Rückhalt in der Bevölkerung verfügten und nun erfolgreich von der
Macht verdrängt sind, hoffen indes auf internationale Rückendeckung. Ihre Kontakte zu europäischen Regierungsparteien (drei CD-Parteien sind Mitglied der Sozialistischen
Internationale) haben sie das EU-Embargo erwirkt.
Jetzt hoffen Vertreter der CD auf ein verstärktes Engagement der Organisation Amerikanischer Staaten OEA. Die hatte
am 15.1. die haitianische Krise zu ihrer höchsteigenen Angelegenheit erklärt und beschlossen, eine ständige Beobachtergruppe nach Haiti zu entsenden. Manchen geht das
noch nicht weit genug.
Der US-amerikanische Botschafter hatte sich unzufrieden über die verabschiedete Resolution gezeigt und weitergehende
Schritte angekündigt. Die CD wird dies gerne hören. In ihrem Umfeld werden bereits Stimmen laut, die eine internationale militärische Intervention unter der Führung
der USA fordern.
Alexander King
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