SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 13

Wahlen im Protektorat Kosova

Wie Demokratie funktioniert

Am 17.November 2001 durften die Bewohner von Kosova ein Parlament wählen. Bevor hier Wahlergebnisse analysiert werden und der Wahlinhalt bewertet wird, soll auf die Rahmenbedingungen des stattgefundenen Prozesses eingegangen werden.
Gut 80% der Kosovaren sind ohne jegliche bezahlte Arbeit. Sie leben von den "Hilfsprogrammen" internationaler Organisationen in Form von Lebensmittelpaketen und eventueller Taschengeldvergabe. Ein Teil der Jugend geht daher den "Beschäftigungsmöglichkeiten" nach, die organisierte kriminelle Strukturen bieten, ein anderer Teil betreibt neben der rastlosen Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung den ununterbrochenen politischen Disput. Nirgendwo wird in Europa tagtäglich so viel über Ökonomie und Politik gestritten wie in den Cafés und Straßen Kosovas.
Napoleon sagte: "Politik ist das Schicksal." Das gilt in Kosova besonders, denn bisher ist alles ungeklärt. Neben der politischen Statusfrage ist auch jegliche Wirtschaftstätigkeit blockiert. Die UNMIK-Verwaltung regiert das Land auf der Basis der UN-Resolution 1244, wonach Kosova ein Teil Jugoslawiens ist — das bedeutet, dass die Frage der Eigentumsverhältnisse und Eigentumsverteilung vollständig offen ist. Der Jugoslawische Staat, der laut Abkommen zwischen Hans H‘kkerup, dem Leiter der UNMIK-Mission, und dem stellvertretenden Innenminister Serbiens, Coviq, ständig konsultiert wird, kompliziert die Frage.
Einerseits spricht die UNMIK von der notwendigen Privatisierung der Wirtschaft, wie fast alle albanischen Parteien auch, andererseits betont Coviq, es sei vieles bereits privatisiert oder noch Eigentum des jugoslawischen Staates. Resultat: es geschieht nichts, es wird palavert. Dennoch geht es um konkrete Interessen.
Das Kombinat Trepca steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Trepca war bis 1989 die Hauptdevisenquelle Gesamtjugoslawiens mit der zweithöchsten Zink- und Bleiförderung in Europa. Daneben gibt es wertvolle Silber, Gold- und Kohlevorkommen. In den 90er Jahren verkaufte Milosevic Anteile an griechische und französische Konzerne sowie an serbische Privatpersonen aus seiner Umgebung, die jetzt selbstverständlich ihre Eigentumsansprüche geltend machen.
Die ehemals dort beschäftigten albanischen Bergarbeiter von Mitrovica forderten nach dem Einmarsch der NATO in Kosova, dass sie selbst als Eigentümer der Produktionsanlagen anerkannt werden, weil sie von Milosevic 1990 widerrechtlich entlassen worden waren. Obwohl sie ab Dezember 1999 kostenlos die Minen vor dem Absaufen bewahrten, wurde ihr Eigentumsanspruch von der UNMIK abgewiesen.
Im Jahr 2000 bildete sich ein Kapitalkonsortium bestehend aus US-amerikanischen, französischen und schwedischen Partnern, das von der UNMIK Optionen über die Förderung von Rohstoffen erwarb; dabei besagte der Vertragstext, dass das Konsortium an der Weiterverarbeitung (dafür gibt es Kapazitäten in Kosova) nicht interessiert ist. Bis heute läuft keinerlei Produktion im Kombinat Trepca, in dem bis 1989 29000 Arbeiter beschäftigt waren. Zudem ist die Stadt Mitrovica entlang des Flusses geteilt.
Im Norden Mitrovicas hat sich eine serbische quasistaatliche Parallelstruktur entwickelt, bestehend aus den "Wächtern der Brücke", ehemaligen serbischen Paramilitärs, geleitet von Armeeoffizieren und Geheimdienstexperten. Der reiche Norden Kosovas hat den größten serbischen Bevölkerungsteil des Landes. Laut offizieller Vereinbarung mit der UNMIK wurde den Serben hier eine eigene Universität unter Ausschluss aller anderen Nationalitäten zugestanden. Fast alle albanischen politischen Parteinen fordern die Auflösung der serbischen Parallelstrukturen. Nicht ganz zu Unrecht wird auf eine serbische Teilungsabsicht hingewiesen, hinter der sich schnöde wirtschaftliche Interessen verbergen.

Die Wirtschaft

Die Einheit und die Unabhängigkeit Kosovas waren das zentrale Thema des Wahlkampfs der albanischen politischen Parteien zur Wahl am 17.November. Aber auch die türkische Partei der slawischen Moslems Kosovas, sowie die Partei der Ashkali und der vereinigten Roma verlangten Unabhängigkeit. Sie gehen dabei von der Einsicht aus, dass das Protektorat und der damit verbundene Schwebezustand ökonomisch einen unhaltbaren Zustand schafft und Problemlösungen in jeder Hinsicht im Wege steht.
Weder die Marktradikalen um den LDK-Führer Rugova noch die Sozialliberalen um Hashim Thaci haben eine Chance, ihre Konzepte umzusetzen. Auch eine Gewerkschaftsbewegung kann sich nicht entfalten, weil ihre Mitglieder größtenteils außerhalb des Wertschöpfungsprozesses stehen.
Die selbstverliebte UNMIK-Bürokratie betont ihre Eigeninteressen und ist dabei hin- und hergerissen zwischen den Interessen konkurrierender NATO-Staaten, serbischen Ansprüchen und dem Streben der kosovarischen Mehrheitsbevölkerung nach Unabhängigkeit. Letztere schließt sie aus, um nicht den "gesamten Balkan zu destabilisieren", wie die EU-Außenministerkonferenz nach den Wahlen in Kosova betonte.
Jeder potenziell interessierte größere Privatinvestor nimmt bis dato wegen der ungeklärten Eigentumsfrage und Rechtslage von Investitionen in Kosova Abstand. Geopolitische Überlegungen dominieren offensichtlich gegenüber privaten Profitinteressen von Einzelkapitalgruppen. In Prishtina, Kosovas Hauptstadt, gibt es Verdienstmöglichkeiten nur im Zusammenhang mit den zivilen Kräften der UNMIK-Verwaltung. In der Stadt sollen um die 10000 zivile Mitarbeiter der UNMIK-Mission "tätig" sein. Diese gut verdienenden Herrschaften benötigen Wohnraum, folglich sind die Einheimischen zusammengerückt, um zu vermieten.
Der Mietpreis in Prishtina lässt sich dadurch ziemlich exakt mit München-Schwabing vergleichen. Das ist kein mathematisches Kunststück, denn die Deutsche Mark (mittlerweile der Euro) ist Landeswährung. Außerdem benötigen die UNMIK-Leute Lebensmittel, Zigaretten, Kaffee, Klamotten und gelegentlich Frauen. Das sind nun die realen Einnahmequellen in und um Prishtina. Ein Beschäftigter im Dienstleistungsbereich erhält monatlich zwischen 150 und 300 DM, der seltene Spitzenverdiener 400 DM.
Die Preise betragen etwa 80% der Preise für Güter und Dienstleistungen in Deutschland. Der Strompreis liegt auf deutschem Niveau. Allerdings gibt es im kalten kosovarischen Winter oft nur zwei bis drei Stunden Strom täglich. Das Kraftwerk in Obelic gleicht nach wie vor einem Schrotthaufen. Investiert wird eher in das große amerikanische Armeecamp Bondsteal und den im Süden von Kosova geplanten größten US-Militärflughafen außerhalb der USA.

Die Wahlen

Im Mai 2001 legte der Leiter der UNMIK einen gesetzlichen Rahmen für ein zu wählendes Parlament in Kosova vor. Dieser Rahmen schloss ein Referendum über die Zukunft Kosovas aus. Demzufolge darf es laut UN-Verwaltung keine Unabhängigkeit von Kosova geben. Es soll bei der UN-Resolution 1244 bleiben. Das gewählte Parlament darf sich einen Präsidenten geben, aber keine Ministerien für die Bereiche Äußeres, Inneres, Verteidigung und Justiz. Jeder Beschluss des Parlaments muss der UNMIK zur Genehmigung vorgelegt werden. Das Parlament hat keinerlei finanzielle Mittel, die albanische Fahne ist verboten. Es dürfen nur die Fahnen von NATO-Staaten an offiziellen Gebäuden wehen. Im Parlament hängt die offizielle Flagge der UNMIK.
Entschieden protestierte zunächst Hashim Thaci, Vorsitzender der PDK (Demokratische Partei Kosovas), gegen diese Bestimmungen. Wesentlich zaghafter kritisierte Ibrahim Rugova, Vorsitzender der LDK (Demokratische Liga des Kosova), die Protektoratsbestimmungen. Eine Mittelposition nahm der ehemalige U€K-Kommandant Ramush Haradinaj und jetzige Vorsitzende der AAK (Allianz für die Zukunft Kosovas) ein.
Kurz vor den Wahlen zum Parlament erklärte Fatmir Humolli, der Vorsitzende der LK€K (Nationale Bewegung für die Befreiung Kosovas), die Wahlen seien nicht demokratisch, sondern eine Pseudoveranstaltung. Er bezog sich dabei nicht nur auf die "Kompetenzen" des kommenden Parlaments, sondern erwähnte auch, dass aufgrund der "schwarzen Liste", die zuerst US-Präsident Bush und dann die EU aufgestellt hatte, bestimmte Albaner nicht zur Parlamentswahl als Kandidaten zugelassen würden. Davon seien die LK€K und die LPK (Volksbewegung Kosovas) betroffen, aber auch die PDK, von deren Kandidatenlisten einige Personen per UNMIK-Dekret gestrichen worden waren.
• Die PDK nominierte die bekannte Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Flora Brovina als Präsidentschaftskandidatin. Sie wollte damit ein Signal für die Unabhängigkeit Kosovas, die Einführung eines westlichen parlamentarischen Systems und eine "sozial dosierte Privatisierung der Ökonomie" setzen; Schlüsselbereiche der Wirtschaft müssten in einem unabhängigen Kosova in staatlicher Hand bleiben. Zudem machte sich Thaci die Forderungen der Rentner zu eigen, die bis heute keine Rente erhalten, und führte einen betont jugendorientierten Wahlkampf.
• Die LDK von Ibrahim Rugova hatte als Wahlmotto Unabhängigkeit und Demokratie und forderte eine unspezifizierte Privatisierung der Wirtschaft. Sie pflegt den Mythos von Rugova als "albanischem Gandhi" und versuchte den Eindruck zu erwecken, eine Unabhängigkeit wäre nur mit dem "hohen" internationalen Ansehen seiner Person erreichbar. Die Verwaltung der UNMIK-Praktiken kritisierte sie nicht.
• Die AAK trat frei nach dem Motto der deutschen Grünen aus den 80er Jahren "weder links noch rechts, sondern vorn" an. Selbstverständlich forderte auch sie die Unabhängigkeit und hatte als ideologischen Spiritus Rector Mahmut Bakalli, den ehemaligen KP-Chef von Kosova bis 1981.
• Die serbische Koalition "Rückkehr" beteiligte sich auf Anraten der serbischen Regierung ebenfalls an den Wahlen; ihr waren von vorneherein über 20 der 120 Parlamentssitze sicher. Unter "Rückkehr" verstanden die meisten Albaner jedoch nicht die Rückkehr serbischer Zivilpersonen nach Kosova, sondern der serbischen Staatsorgane, was auch ein erklärtes Ziel der serbischen politischen Parteien in Kosova ist.
• Am schärfsten gingen im Wahlkampf die LK€K und die LPK mit der UNMIK ins Gericht. Keine einzige Partei des albanischen politischen Spektrums hat irgendwelche religiösen Zielsetzungen artikuliert — bis auf die Christlich- Demokratische Partei Kosovas, die sich auf den Katholizismus bezieht und im Parlament nur einen Sitz erhielt.

Das Wahlergebnis

Stärkste Partei bei den Wahlen wurde die LDK, was niemanden überraschte. Überraschend war eher, dass sie mit "nur" 46% der Stimmen die politische Schlüsselstellung unter den Kosova-Albanern verloren hat. Zweitstärkste Kraft wurde mit knapp 26% die PDK. Damit gewann sie im Vergleich zu den Kommunalwahlen vom Oktober 2000 über 40000 Stimmen hinzu. Die Propaganda der Rugova-nahen Presse, wonach es sich bei dem Kreis um Hashim Thaci um getarnte Enveristen (Anhänger des verstorbenen albanischen KP-Chefs Enver Hoxha) handele, ging offensichtlich ins Leere. Mit 7,8% erreichte die AAK ihr Kommunalwahlergebnis vom Jahr 2000. Mit je einem Mandat sind die linksnationale LPK und die LK€K im 120-köpfigen Parlament vertreten.
Bekennende Rechte, wie die Nationaldemokratische Partei Kosovas, erreichten mit 990 Stimmen ein Ergebnis von 0,1%. Die Balli Kombetar (Nationale Front), die bis heute im Verdacht steht, im Zweiten Weltkrieg zuerst mit Italien, später mit Hitler-Deutschland zusammengearbeitet zu haben, schaffte 0,3%. Im Parlament vertreten sind darüber hinaus aufgrund der Bestimmungen die serbische Koalition mit 22 Mandaten, die Ashkali und die Roma-Partei mit jeweils 3 Mandaten, die bosnische Partei mit 2 Abgeordneten.
Eine "Regierungsbildung" im Parlament ist nur über eine Koalition möglich. Dazu sind über 60 Stimmen nötig, ein Bündnis zwischen LDK und AAK ist nicht ausreichend. Die LDK und die PDK sind sich spinnefeind und die PDK hat erklärt, dass sie Rugova als Präsidenten nicht unterstützen werde. Trotz der Rivalitäten hat Hashim Thaci der LDK ein Koalitionsangebot gemacht. Die Partei möchte, wie führende LDK- Politiker auch, eine Koalition mit dem serbischen Parteienbündnis verhindern. Ein solches wäre der UNMIK wiederum am liebsten, denn damit wäre die UN-Resolution 1244 durch ein sog. Parlament legitimiert. LPK und LK€K haben sich gegen ein albanisches Parteienbündnis ausgesprochen.
Zur Parlamentseröffnung am 10.Dezember stellte die UNMIK unmissverständlich klar, wie sie mit demokratischen Grundsätzen umzugehen gedenkt. Gleich zu Beginn wurde Fatmir Limaj von der PDK das Mikrofon abgedreht, weil sie die Wahl eines Parlamentspräsidenten auf Anordnung der UNMIK kritisierte. Hashim Thaci widerfuhr auf Anweisung des dänischen Protektoratsherren H‘kkerup dasselbe, als er diesem antidemokratisches Verhalten attestierte. Jener Herr in eleganter Robe ist zum 1.Januar dieses Jahres zurückgetreten und vom deutschen Kaviardiplomaten Steiner ersetzt worden.
PDK und AAK haben sich schließlich bei der Wahl des Parlamentspräsidenten enthalten mit der Begründung, Rugova mache kein Koalitionsangebot, beanspruche alle entscheidenden Posten für sich und habe kein Programm.
Adem Demaci, der ehemalige politische Sprecher der U€K, hatte angeregt, den Vertreter der serbischen Koalition zum Präsidenten von Kosova zu wählen, um dem serbischen Bevölkerungsanteil die Chance zu bieten, sich mit Kosova und der Unabhängigkeit zu identifizieren und sich aus der Umklammerung durch die serbische Regierung zu befreien. Dieser Vorschlag könnte geeignet sein, dem nationalen Hader zu begegnen und auf der Basis gleicher Rechte für die Unabhängigkeit Kosovas gegen die NATO einzutreten.

Max Brym

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