SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar, Seite 14

Die Schulden sind illegitim

Wie der IWF und die Diktatur Argentinien in die Verschuldung getrieben haben

Argentinien illustriert auf besonders krasse Weise den niederträchtigen und zerstörerischen Charakter der Verschuldung der Dritten Welt (und der Länder der Peripherie im allgemeinen). Wegen, nicht trotz der Bedienung der Schulden hat sich der Schuldenberg des Landes im Jahr 2001 auf das 20fache dessen aufgetürmt, was er zu Beginn der Diktatur 1976 betrug. Ein Großteil der Schulden wurde dabei darauf verwandt, nicht abgetragene Schulden zu refinanzieren bzw. die Zahlung der nächsten Raten zu garantieren.
Die Bedienung der argentinischen Schulden ist ein teuflischer Mechanismus des Transfers des von den abhängig Beschäftigten erwirtschafteten Reichtums in die Hände der Kapitalbesitzer — der argentinischen wie der US-amerikanischen und westeuropäischen.
Der Mechanismus funktioniert einfach: Der argentinische Staat verwendet einen immer größeren Teil der Steuereinkünfte — die zum größten Teil von der arbeitenden Bevölkerung aufgebracht werden — auf die Begleichung der Außenschuld und auf die zahlreichen finanziellen Privilegien, die er dem Kapitalsektor einräumt. Wer profitiert von den Zahlungen des argentinischen Staates? Die großen internationalen Finanzinstitute, die über 80% der Titel der argentinischen Außenschuld besitzen. Der Gipfel ist, dass argentinische Kapitalisten auf den nordamerikanischen und europäischen Finanzmärkten, auf denen die Kredite vergeben werden, Schuldentitel des eigenen Landes kaufen, und zwar mit Geld, das sie legal oder illegal außer Landes schaffen konnten, und dazu die Zinsen dafür einstreichen.
Während der Diktatur haben sich die argentinischen Kapitalisten unbekümmert verschuldet und einen Teil dieses Geldes per Kapitalflucht ins Ausland verbracht. Die Summe an Kapital, das argentinische Kapitalisten während der Diktatur ins Ausland verbracht haben, ist höher als die Außenschuld des argentinischen Staates. Allein in den Jahren 1980—1982 erreichte die Kapitalflucht nach Angaben der Weltbank 21 Milliarden Dollar.
Hinzu kommt, dass der argentinische Staat den argentinischen Kapitalisten ein unschätzbares Geschenk gemacht hat: Er hat am Ende der Diktatur ihre Schulden übernommen. Seither addiert sich zur Staatsschuld die Last der Verschuldung der privaten Unternehmen, weil der Staat diese Schulden gegenüber den Gläubigern garantiert. Die argentinischen Kapitalisten aber haben die Politik der Kapitalflucht beibehalten und daraus einen Nationalsport gemacht.
Der argentinische Staat ist auch dafür verantwortlich, dass die öffentlichen Unternehmen in die Verschuldung getrieben wurden; auch deren Schulden sind stark gestiegen und wurden nach dem Ende der Diktatur nicht gestrichen. Die späteren Regierungen haben diese Verschuldung zum Anlass genommen, die öffentlichen Unternehmen zu privatisieren, ihnen die Schulden allerdings abgenommen.
Nach einem Vierteljahrhundert dieser Politik der systematischen Plünderung ist Argentinien am Ende. Löhne und Sozialleistungen sind auf ein erschreckend niedriges Niveau gesunken, der öffentliche Dienst ist in einem jämmerlichen Zustand, etwa 60% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze — dazu gehören inzwischen auch solche Menschen, die vorher ein relativ komfortables Leben führten, die Staatskassen sind leer, ein großer Teil des Produktivkapitals ist ungenutzt, der Rest in ausländischer Hand. Jetzt gibt es nichts mehr zu privatisieren.
Argentinien ist eines der schwachen Glieder in der Kette der internationalen Schuldenkrise, die wahrscheinlich auch an dieser Stelle brechen wird. Eine veränderte Haltung der argentinischen Regierung in der Schuldenfrage hätte enorme Auswirkungen. Die an die Finanzmärkte der sog. entwickelten Länder zu zahlenden Schuldendienste sind so hoch, dass eine Aussetzung der Zahlung diese destabilisieren könnte. Die Unterbrechung der Schuldenzahlung und die Einleitung einer anderen Wirtschaftspolitik bedeutet unweigerlich den Bruch der Verträge zwischen der argentinischen Regierung und dem IWF, aber ein solcher Bruch würde Argentinien eher nutzen. Für die Bevölkerung und ihre Bewegungen wäre dies eine neue Chance.

Die Verschuldung der Staatsbetriebe

Die Mehrzahl der Kredite an die argentinische Diktatur stammte von Privatbanken des Nordens; sie konnten auf volle Rückendeckung der US-amerikanischen Zentralbank, Federal Reserve, wie auch der US-Regierung zählen. Um Kredite von den Privatbanken zu erhalten, drängte die argentinische Regierung die Staatsbetriebe dazu, sich bei den internationalen Privatbanken zu verschulden; auf diese Weise verwandelten sie sich in einen wichtigen Hebel zur Entnationalisierung des Staates, wobei die Verschuldung mit einem bedeutenden nationalen Souveränitätsverlust einherging.
Ein hervorragendes Beispiel für diese Praxis ist die Erdölgesellschaft YPF. Diese wurde gezwungen, sich im Ausland zu verschulden, obwohl sie über genügend Eigenmittel verfügte, um ihre Produktion zu betreiben und zu erweitern. Zum Zeitpunkt des Militärputschs am 24.März 1976 betrug die Außenschuld der Gesellschaft 372 Millionen Dollar. Sieben Jahre später, am Ende der Diktatur, war diese Schuld auf 6 Milliarden Dollar angestiegen. In diesen sieben Jahren stieg die Schuld um das 16fache.
Fast nichts von den Krediten, die dem Unternehmen in Devisen gezahlt wurden, blieb in den Unternehmenskassen; es landete in den Händen der Diktatur. Um die eigenen Kassen zu füllen, kürzte die Regierung die Gelder aus den Aufträgen, die der YPF über den Verkauf von Brennstoffen zustanden, um die Hälfte. YPF wurde zudem gezwungen, das Öl zu raffinieren, das es bei Shell und Esso förderte, obwohl die gute Finanzlage zu Beginn der Diktatur dem Unternehmen erlaubt hätte, ausreichend Raffineriekapazitäten für den eigenen Bedarf aufzubauen. Im Juni 1982 waren die gesamten Aktiva der Gesellschaft von den Schulden aufgefressen.

Die Verschuldung des Staates

Die Verantwortlichen für die Wirtschaftspolitik der Diktatur und des IWF haben die massive Verschuldung des argentinischen Staates damit gerechtfertigt, damit könnten Devisenreserven aufgebaut werden, die für die wirtschaftliche Öffnung des Landes zum Weltmarkt notwendig seien. Eine gute Wirtschaftspolitik hätte diese Reserven aus den Außenhandelsaktivitäten aufgebaut. Die argentinische Regierung aber baute sie aus dem Schuldentopf auf.
Die Devisenreserven wurden von der Zentralbank weder verwaltet noch kontrolliert. Im allgemeinen wurden die überteuerten Kredite, die mit den Bankiers des Nordens ausgehandelt worden waren, sofort in deren Depots umgeleitet. 1979 waren auf diese Weise 83% der Devisenreserven bei ausländischen Banken hinterlegt. Die Reserven stiegen in dem Jahr auf über 10 Milliarden Dollar; in den Depots ausländischer Banken lagerten 8,4 Milliarden davon. Im selben Jahr stieg die Außenschuld von 12,5 Milliarden auf über 19 Milliarden Dollar.
Die Zinsen für das bei den ausländischen Banken deponierte Geld waren geringer als die Zinsen, die für die Schulden zu zahlen waren. Ein Beispiel: Zwischen Juli und November 1976 hat die Chase Manhattan Bank monatlich Einlagen in Höhe von 22 Millionen Dollar erhalten (später wurden es noch mehr); daran verdiente sie damals 5,5% Zinsen. Gleichzeitig nahm die argentinische Zentralbank bei der Chase Manhattan Kredite für 8,75% Zinsen auf.
Für die Regierung, die diese Form der Ausplünderung zugunsten der ausländischen Banken organisierte, verbanden sich damit folgende Interessen:
1. Die in das Geschäfte verwickelten Personen bereicherten sich persönlich an den Provisionen, die die Banken des Nordens zahlten;
2. es mussten Devisenreserven aufgebaut werden, um die steigenden Importe und vor allem die Waffenkäufe zahlen zu können;
3. die Politik der wirtschaftlichen Öffnung und der Verschuldung, die der IWF empfahl, erlaubte der argentinischen Diktatur, ihr Ansehen in den großen Industrieländern, vor allem in den USA, aufzubessern. Ohne den Rückhalt der US-Regierung hätte die argentinische Diktatur ihre Politik des Terrors in den ersten Jahren (1976—1980) nicht durchhalten können.
Ihrerseits war die Federal Reserve mehr als bereit, die Wirtschaftspolitik der Diktatur zu unterstützen, weil ein großer Teil des Schuldengelds in den Safes nordamerikanischer Banken lagerte. Von ihrem Standpunkt aus gesehen führte die Verschuldung Argentiniens das Land zurück in den Schoß der USA, nachdem es Jahrzehnte hindurch einen kritischen Nationalismus gepflegt und unter dem peronistischen Regime einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hatte.

Nationalisierung der privaten Schulden

Auch die argentinischen Privatunternehmen und argentinische Tochtergesellschaften multinationaler Konzerne wurden ermuntert sich zu verschulden. Unter den letzteren befinden sich Tochtergesellschaften von Renault, Mercedes-Benz, Ford, IBM, City Bank, First National Bank of Boston, Chase Manhattan Bank, Bank of America, Deutsche Bank, Crédit Lyonnais, Société Générale. Der argentinische Staat kommt bei den Gläubigern für die Schulden dieser Unternehmen auf.
Die argentinischen Steuerzahler zahlen somit die Schulden, die die Filialen bei den Muttergesellschaften bzw. gegenüber den internationalen Banken aufgenommen haben. Es regt sich der legitime Verdacht, dass die genannten Konzerne ihre Filialen durch einen einfachen Rechentrick verschuldet haben. Die argentinischen Behörden verfügen ihrerseits über keinerlei Kontrollinstrumente. Nach dem Ende der Diktatur musste die argentinische Zentralbank erklären, dass die Außenschulden bei ihr nicht eingetragen seien; die argentinischen Behörden waren deshalb gezwungen, sich auf die Angaben der Gläubiger und auf die Verträge zu verlassen, die unter der Diktatur ausgehandelt wurden.
Alle privatisierten Staatsbetriebe wurden von ihren Schulden entlastet, der Staat hat sie übernommen. Die Privatisierung der argentinischen Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas ist ein Beispiel dafür.
Dieses Unternehmen, einst Flaggschiff der argentinischen Wirtschaft, wurde an die spanische Fluggesellschaft Iberia verkauft. Ihre Boeing 707 wurden zum symbolischen Preis von 1,54 US-Dollar verscherbelt. Sie sind heute immer noch im Betrieb, aber die Aerolineas muss sie leasen, wenn sie sie nutzen will. Die Nutzungsrechte der Gesellschaft, geschätzt auf ca. 800 Millionen Dollar, wurden auf 60 Millionen Dollar heruntergerechnet. Somit konnte das Unternehmen der Iberia für ganze 130 Millionen Dollar in bar übereignet werden; der Restwert wurde gegen die Tilgung der Schulden gegengerechnet. Iberia sammelte Schulden ein, um das Unternehmen zu kaufen und verwandelte sie in Schulden der neuen Aerolineas, die damit auch als Privatunternehmen von vornherein dick in der Kreide stand. Im Jahr 2001 war die Fluggesellschaft kurz vor dem Bankrott.
Unter den Privatunternehmen, deren Schulden der Staat übernommen hat, waren sich 26 Finanzgesellschaften, darunter etliche ausländische Banken: City Bank, First National Bank of Boston, Deutsche Bank, Chase Manhattan Bank, Bank of America. Das bedeutet, dass der argentinische Staat, der gegenüber diesen Banken verschuldet ist, ihrerseits deren Schulden übernommen hat.

Eine Alternative ist möglich

Ein argentinisches Gerichtsurteil hat dazu im Juli 2000 festgestellt: "Die Außenschuld der Nation ist das Ergebnis einer instrumentellen Wirtschaftspolitik, vor allem in den Jahren nach 1976, die das Land ausgeblutet hat. Es wurden Methoden angewandt, die danach strebten, private Geschäfte und Unternehmen zum Nachteil staatlicher Betriebe und Unternehmen zu privilegieren. Eine eigens dafür entwickelte Politik hat sie in die Verschuldung getrieben."
Auf der Basis dieses Urteils könnte eine Initiative zur Einstellung der Schuldenzahlung und für die Schuldenstreichung entwickelt werden. Die Außenschuld ist bösartig und illegitim. Die Gläubiger haben keinerlei Anspruch auf weitere Zinszahlungen, ihre Kredite sind null und nichtig.
Argentinien kann sich ohne weiteres auf das internationale Recht stützen, um eine solche Entscheidung zu rechtfertigen; zu den juristischen Argumenten, die es heranziehen kann, gehören die Kategorien der Bösartigkeit (das können die Gläubiger nicht leugnen), der höheren Gewalt (wie andere Länder auch stand Argentinien 1979 plötzlich vor einer veränderten Situation, als die USA einseitig die Zinssätze erhöhten) und des Haushaltsnotstands (Argentinien kann die Schulden nicht bezahlen, weil es dann andere Verpflichtungen, die sich aus internationalen Verträgen ergeben und die die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger betreffen, verletzen müsste).
Diese Entscheidung müsste von weiteren Maßnahmen begleitet werden:
eine Kontrolle der Kapitalbewegungen und Devisenoperationen, um die weitere Kapitalflucht und Spekulationen gegen die argentinische Währung zu verhindern;
eine auf Umverteilung orientierte Steuerpolitik: hohe Besteuerung des reichen Bevölkerungsteils, Besteuerung der Kapitalgewinne, Senkung der Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs;
Aufbau eines Systems der sozialen Sicherung — darunter einer Arbeitslosenunterstützung, Einführung eines garantierten Mindestlohns, Anhebung der Löhne und Renten, um neue Kaufkraft zu schaffen;
Renationalisierung der privatisierten Unternehmen, vor allem in den wirtschaftlich strategischen Sektoren (Energie, Erdöl, Kommunikation);
Vorrang für Handelsbeziehungen zu den Ländern des Südens vor denen zu den USA;
Widerstand gegen die Militärpläne der USA (Militärbasen, Antiraketenschild, Plan Colombia);
Unterstützung einer Art Tobinsteuer auf internationale Finanztransaktionen.
Dies sind Vorschläge für eine Alternative zum neoliberalen Modell; sie sollen diskutiert werden, aber sie zeigen: Alternativen sind möglich!

Eric Toussaint

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang