SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 3

RAWA: Revolution mit zivilen Mitteln

Freiheit, Demokratie und Frauenrechte

In der Folge der Ereignisse des 11.Septembers und der Bombardierungen durch die USA und ihre Verbündeten ist Afghanistan wieder in die Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit gerückt. Seit der Machtübernahme der Taliban 1996 hatten die Medien nach und nach das Land verlassen, sodass die sich dort katastrophal verschlechternden Zustände aus dem Bewusstsein gerieten. Dies galt insbesondere für die verzweiflungsvolle Lage der afghanischen Frauen. Unter der Herrschaft der Taliban wurde ihr Leben aufs Unvorstellbarste eingeengt. Sie durften das Haus nur noch von Kopf bis Fuß in einen so genannten Ganzkörperschleier (Burka) verhüllt verlassen und dies nur in Begleitung eines männlichen Verwandten.
Frauen in Afghanistan

Für die unzähligen Witwen im Lande, die ihre Familien alleine ernähren müssen, bedeutete das Bettelei oder Prostitution, was wiederum mit martialischen Strafen belegt war. Jeder Verstoß gegen eine der absurden Vorschriften konnte Auspeitschen, das Abhacken von Körperteilen oder Exekution zur Folge haben. Eine Gesundheitsversorgung für Frauen existierte praktisch nicht mehr, da sie nicht von Männern behandelt werden durften und den zahlreichen Ärztinnen im Lande (40%) ein Berufsverbot erteilt worden war. Jegliche Berufstätigkeit und Schulausbildung war den Frauen verwehrt.
Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, dass mit RAWA eine gut organisierte, strikt antifundamentalistische Frauenorganisation jahrelang im Untergrund funktionieren konnte. Die Organisation hat weder ein Büro noch eine feste Postanschrift und die ca. 2000 Mitglieder arbeiten alle unter Pseudonymen. Häufig wissen nicht einmal ihre Familien, dass sie zu RAWA gehören. Alle Kontakte laufen über Internet oder ein Mobiltelefon.
Die Abkürzung RAWA steht für Revolutionary Association of Women of Afghanistan. Vertreterinnen der Gruppe beeilen sich aber zu versichern, dass sie nicht nach einem revolutionären sozialistischen Staat streben. Ihre Begründung für den Namen lautet, dass Afghanistan eine solch rückständige Gesellschaft sei, dass die Existenz einer unabhängigen Frauenorganisation an sich schon eine Revolution bedeute. Zudem trage in Pashtu der Begriff "revolutionary" nicht die Konnotationen von bewaffnetem Kampf und kommunistischer Ideologie wie im Englischen. Revolution bedeutet für die Frauen von RAWA vor allem eins: die Sicherstellung der Bildung von Frauen — nur etwa 3—4% der Afghaninnen können lesen und schreiben — und eine menschenwürdige Behandlung. Die Ziele von RAWA lauten Freiheit, Demokratie, Frauenrechte und eine säkulare Regierung. All dies in einem Land wie Afghanistan anzustreben sei bereits "die größte Revolution". Die Rechte der Frauen bildeten dabei aber nur eine Säule unter vielen.
Immer wieder betont die Gruppe ihre Unabhängigkeit. So hat sie in ihrer fast 25-jährigen Geschichte sowohl gegen die Sowjetunion als auch gegen die Mudjaheddin und die Taliban gekämpft. Vorwürfen, RAWA-Mitglieder hätten zur Zeit der sowjetischen Besatzung auf Seiten der Mudjaheddin gestanden, widerspricht zumindest die Tatsache, dass RAWA-Führerinnen nach einem Amnesty-International-Bericht von 1995 Todesdrohungen von Mudjaheddin-Gruppen erhielten. Auch die Mörder der Gründerin Meena 1987 waren nach unabhängigen Zeugenberichten vermutlich eng mit der Hezb-e Islami, der Partei von Gulbuddin Hekmatyar verbunden.
Der Kampf gegen die "Jehadis" (Gulbuddin, Rabbani, Massoud, Dostum und andere "Lakeien des iranischen Regimes"), die im Machtvakuum, das die Sowjets 1992 hinterließen, die afghanische Gesellschaft mit Repression und Gewalt überzogen, und gegen jeglichen Fundamentalismus überhaupt, ist das Hauptanliegen von RAWA. Kompromisslosigkeit im Kampf gegen den Fundamentalismus betrachtet die Gruppe als Vorbedingung zur Erreichung ihrer Ziele. Eine demokratische Regierung sei ohne Säkularismus nicht möglich.
Alphabetisierung und Internet

Der Kampf um diese Ziele ist allerdings ein unbewaffneter, da die Gruppe jegliche Gewalt ablehnt. Ihre Bemühungen konzentrieren sich vor allem auf die Durchführung von Alphabetisierungskursen, das Unterrichten von Mädchen, die Aufklärung von Frauen über ihre Rechte, die Gesundheitsfürsorge (mobile Gesundheitsteams) und Hilfe für Frauen in den Flüchtlingslagern von Quetta und Peshawar. In Quetta gelang es sogar vor elf Jahren ein Krankenhaus zu errichten, das aber wegen finanzieller Not nun von Schließung bedroht ist. In Pakistan unterhält RAWA auch zehn Schulen für ca. 2850 Schülerinnen sowie fünf Waisenhäuser für ungefähr dreihundert Waisenkinder.
Von anderen NGOs und internationalen Hilfsorganisationen kam wegen RAWAs linker Orientierung bislang kaum Unterstützung. Die bisher durch Arbeitsplätze im Handarbeitsbereich, Hühner- und Fischzucht, die Herstellung von Marmeladen und Eingelegtem etc. gewährleistete Finanzierung ist durch die Bombardierungen gefährdet. Das meiste für Flüchtlingsprojekte bestimmte Geld aus dem Ausland wird für Männer und Religionsschulen ausgegeben.
Die größere Bekanntheit von RAWA im Vergleich zu anderen afghanischen Frauenorganisationen — vor allem seit dem 11.September — verdankt sich nicht zuletzt ihrer aufwändigen Internetseiten. Die Funktion der Internetseiten ist es, die Weltöffentlichkeit auf die Lage der Frauen in Afghanistan aufmerksam zu machen. Man kann dort authentische Berichte direkt aus Afghanistan lesen, auch aus gefährlichen Gebieten, die sonst nicht zugänglich wären. Es finden sich dort Bilder von Verstümmelungen, Folterungen und Hinrichtungen. Sie wurden von RAWA-Frauen mit Digitalkameras, die sie unter der Burka versteckten, aufgenommen, um die Gräueltaten der Taliben zu dokumentieren. Die wichtigsten Berichte werden sofort an Amnesty International und einige Nachrichtenagenturen geschickt. Über E-Mail stellt RAWA auch den Kontakt zu anderen Organisationen her.
Die Website ist in mehreren Sprachen zugänglich. Petitionen, Statements und Berichte können so über Mailinglisten an Hunderte von Unterstützerinnen in der Welt gesandt werden. Per E-Mail gehen die Spenden und Bestellungen der RAWA-Publikationen ein. RAWA war 1997 die erste politische Organisation aus Afghanistan, die ins Web ging. Die Kosten für die Website übernehmen Sympathisierende. Alles läuft über einen einzigen Computer in Pakistan, der ebenfalls eine Spende ist. Allerdings kommen die Berichte aus Afghanistan oft erst verspätet bei RAWA an, denn dort existiert kein richtiges Telefon- oder Faxsystem.
Die Bevölkerung im eigenen Lande kann deshalb nur über das seit 1981 vierteljährlich erscheinende Magazin Payam-e-Zan (Botschaft der Frauen) informiert werden. Auch über Pressekonferenzen, Pressemitteilungen, Erklärungen, die Teilname an Veranstaltungen politischer Parteien und Frauenrechtsgruppen, Interviews und die Begleitung von JournalistInnen geht RAWA an die Öffentlichkeit. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt allerdings aufgrund der schwierigen Umstände seit 1992, dem Sturz des prosowjetischen Najibullah-Regimes, in Pakistan.
In Afghanistan selbst versucht RAWA die weiblichen Opfer des Krieges und der Gräueltaten zu unterstützen. Sie nimmt Kontakt auf zu den Familien und Frauen, die Opfer der Fundamentalisten wurden. Die Opfer werden nach Pakistan zur medizinischen Behandlung gebracht. Auch wird die Spur verschwundener Frauen oder ihrer Familienangehöriger verfolgt. Wichtig ist auch, den Frauen eigene Einkommensquellen zu erschließen, z.B. in den Werkstätten, die RAWA betreibt. Aus Pakistan werden unter der Burka Schulbücher, Medizin, Kameras und das Magazin "Botschaft der Frauen" nach Afghanistan geschmuggelt.
Vieles ist nur über Mundpropaganda möglich,denn auch in Pakistan sind die RAWA-Frauen von Islamisten bedroht und müssen im Untergrund agieren. Demonstrationen in Pakistan waren oft nur möglich, weil Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen Briefe an die pakistanische Regierung schrieben.
Antifundamentalismus

RAWA beansprucht, die einzige politische und feministische Organisation afghanischer Frauen zu sein. Andere Frauenorganisationen seien aufgrund ihrer unterwürfigen Haltung gegenüber der einen oder anderen fundamentalistischen Gruppierung nicht in der Lage einen wertvollen Beitrag zur Bewusstwerdung von Frauen zu leisten. Unter den anderen afghanischen Frauengruppen sind die RAWA-Aktivistinnen nicht besonders beliebt, vermutlich wegen ihrer linken Ausrichtung. Häufig wird ihnen vorgeworfen, mit verschiedenen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten und eine maoistische Partei im Hintergrund zu haben.
RAWA betrachtet diese Gerüchte als Folge der Bedrohung, die die Organisation für die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen darstelle. Sie wurde zwei Jahre vor der russischen Invasion von linksintellektuellen Frauen gegründet. 1979 initiierte die Leiterin Meena eine Kampagne gegen die sowjetischen Streitkräfte und ihr Marionettenregime. Dabei scheint es schwer nachvollziehbar, warum eine Frauenorganisation eine Regierung kritisierte, die doch versuchte, Frauenrechte zu stärken. RAWA betrachtete die Besetzung durch die Sowjetunion aber als Freiheitsberaubung, in der es müßig war, über Frauenrechte zu sprechen. Der Sowjetunion werfen sie große Verbrechen im Namen des Sozialismus und der Frauenrechte vor. Tausende Intellektuelle wurden damals ins Gefängnis geworfen oder ermordet. Die sowjetische Herrschaft habe keine Gleichberechtigung gebracht, sondern versucht, die afghanische Kultur auszulöschen und ihr die westliche Kultur aufzuzwingen.
An die USA richtet sich RAWAs Vorwurf, sie hätten damals nicht das Volk, die wirklichen Freiheitskämpfer, "die mit der russischen Invasion zu kämpfen hatten" unterstützt, sondern nur die fundamentalistischen Parteien, die sich zu Marionetten für die amerikanischen Interessen machen ließen.
RAWA wandte sich immer gegen den Wunsch der USA und der UNO, dass die Kriegsparteien Afghanistans Verhandlungen führen. Dies sei keine Lösung für Afghanistan. RAWA befürchtet deshalb, dass das Ende der Talibanherrschaft nicht das Ende der Gewalt bedeute. Die Organisation lehnt daher auch die Interimsregierung ab. Die Frauen haben die Misshandlungen unter den Warlords der Nordallianz Anfang der 90er Jahre nicht vergessen. Damals wurden Frauen an den Hochschulen vergewaltigt, bis sich keine Frau mehr dorthin gewagt habe. Drei wichtige Ministerien wurden nun Vertretern der Nordallianz übergeben.
Auch gegen die beiden Frauen, die nun in die Übergangsregierung aufgenommen wurden, erhebt RAWA schwere Vorwürfe. Die stellvertretende Ministerpräsidentin und Frauenministerin, die Ärztin Dr. Sima Samar, die die Hilfsorganisation Shuhada in Pakistan betreibt, sei führendes Mitglied in der kriminellen fundamentalistischen Hezb-e-Wahdat. Die Gesundheitsministerin Shaila Seddik habe mit der prosowjetischen Regierung zusammengearbeitet. Das Land brauche nach Ansicht von RAWA vielmehr eine demokratische Regierung unter der Aufsicht von UN-Friedenstruppen, oder das Blutvergießen von 1992—1996 werde sich wiederholen. Ansonsten verbittet sich RAWA jegliche fremde Einmischung. Staaten wie den USA, Frankreich, der Iran, Indien, Pakistan und Saudi-Arabien wirft sie das Verfolgen eigener wirtschaftlicher Interessen vor. Mit der Übergangsregierung hat sich für RAWA nichts Grundlegendes geändert.

Monika Piendl-Naji

RAWA im Internet www.rawa.org,
E-Mail rawa@rawa.org.


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