SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 5

NPD-Verbot

Das Verfahren ist zur Farce geworden

Nicht nur von der antifaschistischen und sozialistischen Linken — auch die SoZ argumentierte so — war von Beginn an zu hören, dass die Methoden der ganz großen Koalition um Innenminister Otto Schily gegen die NPD untauglich sind. Obwohl nach der Enthüllung immer weiterer Fakten über führende NPD-Funktionäre als V-Leute des Verfassungsschutzes alle sehr empört (CDU/FDP) bzw. bestürzt (SPD/Grüne) tun, gab es auch in der bürgerlichen Presse schon lange genug deutliche Hinweise darauf, was alles faul ist im Staate Deutschland.
Bereits im November 2000 (!) hieß es fett gedruckt im Spiegel: "Schilys anonyme Zeugen. Mit abgehörten Telefonaten und Spitzelberichten aus der NPD will die Bundesregierung Karlsruhe überzeugen, dass die rechtsextreme Partei verboten gehört. Das Problem: Die Zeugen, V-Leute des Verfassungsschutzes, stehen vor Gericht nicht zur Verfügung." Und im Sommer 2001 hob dasselbe Blatt gar hervor: "Steuert der Verfassungsschutz Teile der NPD? Die zahlreichen bei der Partei eingeschleusten V-Leute gefährden das laufende Verbotsverfahren in Karlsruhe."
Drei Verfassungsorgane, Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beantragten beim vierten Verfassungsorgan, dem Verfassungsgericht in Karlsruhe, das Verbot der NPD. Vorangegangen waren eine Welle der Empörung im Ausland und Massendemonstrationen in Deutschland gegen die rassistische und antisemitische Hetze dieser Partei und deren offensichtlichen Zusammenhang mit den zahlreichen rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten und Anschlägen.
Statt sich auf diese Mobilisierung zu stützen (angesichts derer Bundeskanzler Gerhard Schröder zum "Aufstand der Anständigen" aufrief) und die NPD samt ähnlicher Parteien und Organisationen auf Grundlage der in Deutschland bestehenden Gesetze gegen rassistische und antisemitische Äußerungen sowie gegen Nachfolgeorganisationen der NSDAP aufzulösen, einigten sich die Führungen der etablierten Parteien auf die Anstrengung eines Verbotsverfahrens wegen Verfassungsfeindlichkeit — was ein übles Präjudiz für künftige Verfahren gegen linke Organisationen schaffen könnte. Die Initiative dazu ging sogar von der CSU aus, insbesondere vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein, der nun die für das Verfahren wahrscheinlich tödlichen "Pannen" vehement dem Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) anlastet.
Zum Teil ging die Rechnung der "Etablierten" zunächst auf: Die besorgten Kommentare aus dem Ausland ebbten ab und die kaum aufgekeimte Bewegung von unten verlief im Sande. Dennoch hat sich die Anstrengung des Verfahrens in unvorhergesehener Weise als politisch produktiv erwiesen: In aller Öffentlichkeit tun sich Abgründe der Verfilzung von Staatsapparat und Rechtsextremismus auf.
Von den 14 im Antrag an das Verfassungsgericht benannten "Auskunftspersonen" wurde Wolfgang Fenz (er war Vizechef des NPD-Landesverbands) zuerst als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt. Drei weitere von ihnen — Jens Pühse, Holger Apfel und Steffen Hupka — hatten zumindest Kontakt mit Anwerbern des Verfassungsschutzes, obwohl sie angeben, das Angebot der Zusammenarbeit abgelehnt zu haben.
Im Beweismaterial werden jedoch zahlreiche weitere hochrangige NPD-Funktionäre zitiert, von denen eine wachsende Zahl im Verdacht steht, V-Leute zu sein bzw. zumindest irgendwann gewesen zu sein. Der spektakulärste Fall, für den dies nachgewiesen ist, ist Udo Holtmann, der Landesvorsitzender der NPD in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des NPD-Bundesvorstands war.
Bei diesem Herrn lohnt es sich, ein wenig zu verweilen. Wahrscheinlich war er "Doppelagent", der mit voller Überzeugung beiden Herren diente, dem Staatsschutz und der NPD. Er meinte nicht nur, an die Adresse angeblich deutschlandfeindlicher deutscher Politiker gerichtet: "die Täter dieses Völkermords verdienen die Todesstrafe". Er zeichnete auch in seiner Zeit als aktiver V-Mann presserechtlich verantwortlich für ein im Oktober 2001 vom Berliner Landgericht wegen antisemitischer Hetze verbotenes NPD-Wahlkampfplakat, auf dem zu lesen stand: "Den Holocaust hat es nie gegeben". Aufgrund dessen wurde er nicht etwa als V-Mann abgeschaltet, sondern erst im Januar 2002, nach seiner öffentlichen Enttarnung.
Dieser Fall ist exemplarisch. Laut offiziösen Schätzungen tummeln sich um die 100 Agenten des Bundesverfassungsschutzes sowie der Landesverfassungsschutzämter in führenden Positionen der NPD, einschließlich verantwortlicher Positionen für NPD- Pressorgane. Darüber hinaus witzeln Insider, so mancher Kreisverband der NPD könne per einfachem Mehrheitsbeschluss der Kontaktpersonen des Verfassungsschutzes aufgelöst werden.
Ähnliches dürfte für die anderen rechtsextremistischen Formationen gelten, wie der Fall des Christian Käs, seines Zeichens Landesvorsitzender der Republikaner Baden-Württemberg zeigt, der zumindest von anderen Rep-Mitgliedern als Verfassungsschutzagent denunziert wurde.
In einer bemerkenswerten Presseerklärung vom 15.Februar stellte die Abgeordnete der PDS-Bundestagsfraktion Ulla Jelpke die Diagnose: "Verfassungsschutzbehörden sabotieren NPD-Verbot." Denn es sind ja die Verfassungsschutzämter, die das Material für Karlsruhe zusammengestellt haben, dessen Wert mehr und mehr gegen Null schrumpft, insofern es sich auf Aussagen und Zitate von V-Leuten stützt.
Nachdem die antragstellenden Parteien unter Federführung von Schily versucht hatten, sich mit einer neuen Erklärung herauszuwinden, erfuhr die Öffentlichkeit von einem neuen Schriftsatz der Verfassungsschutzämter an das Verfassungsgericht, in dem von vier weiteren V-Leuten die Rede ist und die Frage gestellt wird, ob diese nicht irgendwie in geheimer Sitzung in das Verfahren eingeführt werden könnten!
Nachdem der "Aufstand der Anständigen" wie eine Seifenblase zerplatzt ist, wird es nun höchste Zeit für einen "anständigen Aufstand" — mit dem Ziel der Auflösung der NPD und der anderen rechtsextremistischen Organisationen. Die rechtlichen Mittel werden sich finden, wenn die Bewegung für dieses Ziel stark genug ist und entschlossen genug auftritt.
CDU/CSU, FDP und SPD fürchten eine solche Bewegung, weil diese sehr rasch auf das Problem der Komplizenschaft der etablierten Politik mit dem Rechtsextremismus stoßen würde. Das betrifft nicht nur die Unionsparteien und ihren Kanzlerkandidaten Stoiber mit ihren Ausfällen gegen Immigranten und Flüchtlinge, das betrifft auch die Politik der SPD/Grünen-Regierung, die einen großen Teil des rechtsextremistischen sicherheitspolitischen Programms in die Praxis umsetzt. Das betrifft aber auch die "Wertschätzung" für Staatsschutzorgane, die der Bespitzelung und Zersetzung linker sowie dem Aufbau rechtsextremistischer Gruppen dienen.
Wie wäre es, nur einmal probehalber, als erstes die Verfassungsschutzämter aufzulösen? Dann könnte man in der Praxis nachprüfen, ob die NPD und die anderen rechtsextremistischen Organisationen ohne die aktive Mitarbeit von Staatschutzagenten überhaupt überleben könnten.

Manuel Kellner

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