SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 7

Der rosa Riese wankt

Die Parteireform der SPD nimmt in NRW Gestalt an

Eine Parteireform hat der ehemalige nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Franz Müntefering den Sozialdemokraten im alten Kernland der Arbeiterbewegung zwischen Dortmund und Köln verordnet.
Mit der Krise der Ruhrkohle und der Stahlindustrie begannen in NRW Mitte der 70er Jahre die Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen. Seit Ende der 90er Jahre hat die Krise nun auch die Opel-Werke in Bochum, die Ford-Werke in Köln und den Bayer-Konzern im benachbarten Leverkusen erreicht. Hatten die üppigen Gewerbe- und Körperschaftsteuern der großen Konzerne es den Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr bis in die 80er Jahre hinein erlaubt, im Landtag und in den Rathäusern den "Strukturwandel" durch eine großzügige Sozial- und Strukturpolitik "sozialverträglich" abzufedern, ist damit nun endgültig Schluss: Land und Gemeinden sind pleite.

Loyalitäten in Auflösung

In dem Maße, wie die Sozialdemokratie der eigenen Klientel materiell immer weniger anbieten konnte, aber gleichzeitig immer mehr zumutete, wurden auch die alten Bindungen und Loyalitäten der Bevölkerung zur SPD immer brüchiger. Der CDU-Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag, Jürgen Rüttgers, hat inzwischen Blut geleckt. Zu Recht: die Sozialdemokraten landeten bei der letzten Kommunalwahl in dem Land, in dem sie unter der Führung von Johannes Rau regelmäßig mit Ergebnissen über 50% triumphierten, mit nur 33,9% weit hinter der Union, die fast 1500 Mandate dazugewann.
Essen, Düsseldorf und Köln, die größten Städte des Landes, werden seitdem schwarz regiert. Hier und in den anderen CDU-regierten Städten hat die Union sofort damit begonnen, den öffentlichen Nahverkehr und die Müllabfuhr zu privatisieren, städtische Wohnungen zu verkaufen und die freiwilligen sozialen Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, auf Null zurückzufahren.
Der Prozess des die SPD besonders betreffenden Wegbrechens der traditionellen Arbeitermilieus und die Bildung traditionsloser Jobbermilieus wird so durch die rigide Sparpolitik auch unter SPD-Ägide noch einmal beschleunigt.
Bei der Landtagswahl im Mai 2000 erreichte die NRW-SPD nur noch 42,8% der Stimmen und war danach gezwungen, erneut eine Koalition mit der betont antietatistisch auftretenden grünen Partei einzugehen, die sich in Nordrhein-Westfalen besonders den Kampf gegen die Industriegesellschaft und das Gewerkschaftslager auf die Fahnen geschrieben hat. Sie repräsentiert mit ihrem Lamento über aus ihrer Sicht überflüssige Subventionen im Kohle- und Stahlbereich und ohne eine Antwort geben zu können, wo die betroffenen Menschen alternativ arbeiten sollen, ein bestimmtes Milieu des öffentlichen Dienstes, der freien Berufe (Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte) und gut ausgebildeter junger Menschen aus den Hochschulen des Landes.
Die Ablösung von Johannes Rau durch den forschen "Macher" Wolfgang Clement markiert im Kern das Ende des linken Reformismus und seine Ablösung durch einen inhaltsleeren, technokratischen Aktionismus, der nicht mehr materielle Teilhabe, also Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und Strukturpolitik, zum Ziel hat, sondern aggressive Wirtschaftsförderung und Auseinandersetzungen um den Zuschlag für umstrittene Großprojekte (Metrorapid, Olympia- Bewerbung).
Parallel dazu soll nach dem Willen von Franz Müntefering die NRW-SPD zu einer gut geölten und effizienten Kampagnen- und Netzwerkpartei angelsächsischen Typs ("New Labour") umgebaut werden. Das macht auch Sinn. Da die politischen Entscheidungen für NRW sowieso irgendwo im Bermuda-Dreieck zwischen Staatskanzlei, Westdeutscher Landesbank und Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat fallen, ist eine linke Mitglieder- und Volkspartei, wie es die NRW-SPD traditionell war, ein störender Bremsklotz.
Ein Indiz für den machtpolitischen Bedeutungsverlust der gewählten Parteistrukturen ist auch die Personalrekrutierung am mittleren Funktionärskörper vorbei. Die Parteiführung bedient sich lieber direkt aus der Düsseldorfer Ministerialbürokratie (Innenminister Fritz Behrens) oder beim "New-Labour"-Flügel der IG Metall (von dort stammt der neue Landesvorsitzende Harald Schartau).
Weil in NRW außerhalb der Sozialdemokratie keine nennenswerten sozialen Bewegungen existieren, auf die sich die Gegner des Parteiumbaus politisch beziehen könnten, kann das Vakuum, das durch den Bedeutungsverlust des Landtags und der Kommunalparlamente entstanden ist, nicht durch Druck von links gefüllt werden.
Dabei geraten die mittleren "Old-Labour"-Parteieliten (Kommunalpolitiker, Betriebs- und Personalräte, Gewerkschafter) immer stärker unter den Druck der "Modernisierer", sich den "Reformen" nicht länger zu verweigern. Und Franz Müntefering sowie Harald Schartau sind schon ein gutes Stück vorangekommen: Der Landesparteitag hat mit großer Mehrheit nach monatelangen Querelen der Abschaffung der traditionsreichen und ein politisches Eigenleben führenden Bezirke (Mittelrhein, Niederrhein, Westliches Westfalen und Ostwestfalen-Lippe) und die Stärkung der Partei auf Landesebene durch den neuen hauptamtlichen Generalsekretär (Michael Groschek aus Oberhausen) beschlossen.

Netzwerkpartei

Die Vokabel "Netzwerkpartei" diente dabei den "Modernisierern" als Speerspitze im Kampf gegen die traditionellen Strukturen. Unter "Netzwerkpartei" versteht der SPD-"Vordenker", Müntefering-Adlatus und ehemalige Aktivist der Stamokap-Strömung bei den Jungsozialisten, Mathias Machnig (in der traditionell antiintellektuellen Ruhrgebiets-SPD auch spöttisch "Macht nix" genannt), "eine Partei mit in unterschiedlichem Maße und zu unterschiedlichen Zeiten aktiven Mitgliedern, aktiven Unterstützern und interessierten Dialogpartnern": "Sie sind das wichtigste Kapital der Netzwerkpartei, weil ohne sie kein direkter Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern möglich ist. Das Ziel dieser vernetzten Zentren politischer Aktivität ist es, demokratische Bürgerkoalitionen zusammenzufügen, die sozial und kulturell weit heterogener sind, als es die sozialdemokratische Wählerschaft in der Glanzzeit der Volksparteien gewesen ist."
Wie in Großbritannien unter dem Regiment der "spin doctors" schreiben die SPD- "Modernisierer" zwar ein Mehr an Teilhabe und Dialog auf ihre Fahnen. Auf der anderen Seite denunzieren sie jedoch die linke Volkspartei als schwerfällig und im Kern unfähig, erfolgreich mit der Gesellschaft zu kommunizieren. In der Praxis betreiben sie in autoritärer Manier aktiv den Abbau von Mitgliederrechten und die Zurückdrängung des Einflusses des mittleren Funktionärsbereichs und des konservativen Gewerkschaftslagers zugunsten zentraler Wahlkampf- und Medienkampagnen von oben.

Jendrik Scholz

Der Autor ist Vorstandsmitglied der Kölner Südstadt-SPD.



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