SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 7

Ein harter Job

Harald Schartaus steiler Weg an die Spitze der NRW-SPD

Für die SPD in Nordrhein-Westfalen beginnt eine neue Zeit. Harald Schartau, erst vor kurzem als Arbeitsminister in die Regierung Clement berufen, ist der Vorsitzende eines neu verfassten Landesverbands, der mehr sein soll als nur der lose Zusammenschluss von vier mächtigen Bezirken. Mit Ach und Krach und nach vielen Diskussionen hat Franz Müntefering eine Parteireform in NRW durchgesetzt, die den Genossen nach hohen Verlusten bei den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen zu neuer Schlagkraft verhelfen soll (vgl. Artikel auf dieser Seite).
Der 48-jährige Schartau stammt aus Duisburg und lebt heute in Mülheim. Schartau hat Chemielaborant gelernt und ist auf dem zweiten Bildungsweg vorangeschritten. Nach dem Studium an der Sozialakademie Dortmund und der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg begann sein steiler Aufstieg in der IG Metall. Mit beharrlicher Härte fusionierte er die vier Regionalbezirke der IGM zu einem starken Landesverband seiner Gewerkschaft mit 700000 Mitgliedern. Innerhalb von zwei Jahren hat Schartau in der SPD eine Blitzkarriere gemacht, vom Bezirksleiter der IG Metall zum Arbeitsminister und jetzt zum Vorsitzenden der SPD im bevölkerungsreichsten Land der BRD. Der studierte Betriebswirt gehört dem Aufsichtsrat der Babcock AG und der Friedrich Krupp AG, Hoesch-Krupp an.
Auf Schartau wartet ein harter Job. Der neu gewählte SPD-Landesvorsitzende soll als Neuling im Parteibetrieb das schaffen, was die politischen Schwergewichte Clement und Müntefering nicht zu Wege brachten: die kränkelnde SPD auf die Beine zu bringen. Ein gutes Jahr erst ist Schartau Minister. In dieser Zeit gab es Reformversuche in der NRW-SPD, beteiligt hat sich Schartau daran nicht. Es schien so, als halte er sich von der Parteipolitik fern. Dass er sich plötzlich als "Hoffnungsträger" wiederfindet, hat Parteimitglieder und Beobachter gleichermaßen überrascht.
Erklärbar wird der Vorgang vor allem aus dem Zustand der Partei. 1998 teilten sich Müntefering und Clement das Erbe ihres Vorgängers Johannes Rau. Den Erben gelang es nie so recht, ihre unterschiedlichen Rollen als Ministerpräsident und SPD-Geschäftsführer mit der Führung der SPD in NRW zu synchronisieren und die Kluft zwischen Traditionellen und Modernisierern zu schließen. Besonders deutlich wurde das bei den Wahlen 1998. Die Politik der Modernisierer Clement und Schröder verschreckte die Stammwähler. Münteferings Einsatz in der Bundespolitik erschwerte es, die Stammwähler in NRW zu beruhigen und zu mobilisieren. Rechtzeitig vor der nächsten Wahlserie für den Bundestag 2002 und die Stadträte 2004 machten Clement und Müntefering den Weg für einen Neuanfang frei.

Das Gesellenstück

Harald Schartau ist der geborene Modernisierer. Als einflussreicher Tarifexperte schaffte er es, seine unkonventionelle Tarifpolitik auch den Traditionstruppen in der Industriearbeiterschaft immer wieder zu vermitteln. Der große Wurf gelang Schartau im Jahre 2000, als die Tarifrunde der IG Metall auf Warnstreiks zulief. In Baden-Württemberg waren alle Vorbereitungen für Warnstreiks getroffen. Mit einem überraschenden Pilotabschluss in NRW brach Schartau die Tarifrunde auf, verdrängte Baden- Württemberg als Tarifführer und rettete damit auch das Bündnis für Arbeit des Bundeskanzlers.
Noch in der Nacht des Tarifabschlusses in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie mussten geplante Warnstreiks in Baden-Württemberg abgesagt werden, die kampfstarken Betriebe im Südwesten konnten ihre Mobilisierungsfähigkeit nicht nutzen, und die Streikbereitschaft in großen Teilen der Mitgliedschaft wurde unter den Tisch gekehrt. Schartau und Kannegießer bewährten sich als kongeniale Verhandlungspartner. Nachdem es dem IGBCE-Chef Hubertus Schmoldt gelungen war, mit einem "maßvollen Chemieabschluss" die Ziellatte für die Tarifrunde festzulegen, wurde ein Abschluss für zwei Jahre in NRW getroffen, gerade weil im Südwesten die Verhandlungen auf Warnstreiks zuliefen. Das war nach 23 Jahren das erste Mal, dass in NRW der Pilotabschluss erfolgte, wo sonst die Abschlüsse aus anderen Bezirken übernommen wurden.

Neue tarifpolitische Wege

Kaum ein Monat verging, ohne dass Schartau, der Modernisierer und Reformer mit den außerordentlich guten Beziehungen zur NRW-Presse, nicht eine neue Idee zur Tarifpolitik und Arbeitsmarktsituation ankündigte. Ständig machte er Vorschläge zur Tarifpolitik, die weder mit der Organisation, noch mit der großen Tarifkommission abgesprochen waren. Mal verlangte er einen zweiten Arbeitsmarkt, mal Lohn unter Tarif. Mal plante er Tarifverträge für Arbeitslose bei kürzerer Schicht ohne Lohnausgleich und mal kündigte er einen völlig neuen Stil an.
"Maßgeschneiderte Angebote für ausländische Investoren" war ein weiteres Schlagwort. Als bundesweit erster Bezirk wollte die NRW-IG Metall in- und ausländischen Investoren im Ruhr-Revier maßgeschneiderte Tarifverträge anbieten. Auf einer Konferenz in Duisburg, an der drei Bischöfe der katholischen Kirche aus Essen, Mülheim und Paderborn teilnahmen, bot Schartau ein individuelles und differenziertes Tarifabkommen an.
Mit diesen Vorschlägen befand sich Schartau schon auf einer Linie mit Ministerpräsident Clement, der Niedriglohnsektoren und Sonderwirtschaftszonen wie die New-Park-Idee gutheißt. Damit machte er auch Boden für seinen Parteiaufstieg gut.
Ausländische Investoren könnten nun ihre Chancen nutzen. Jeder Investor, der an der Ruhr eine neue Produktion aufbauen will, wird von der IG Metall "aktiv begleitet". Harald Schartau sagte, dass es sein könne, dass ein Neugründer keine Sonderzahlungen und kein Urlaubsgeld zahlen bräuche, oder keine tarifvertraglich vorgesehene Leistungszulage. Die Arbeitszeit könne "projektbezogen" gestaltet werden. Damit würden Überstundenregelungen und Arbeitszeit sowie 40 Wochenstunden möglich. Schließlich wären die Eingruppierungen offen. Schartau betonte, dass über alles, was für die Gründer interessant ist, geredet würde.
Nur sind bisher ausländische Investoren nicht ins Ruhrgebiet gekommen und die Arbeitslosigkeit ist nicht zurück gedrängt worden.
Nach der bisher eingeschlagenen Marschrichtung versucht die IG Metall, die Unternehmer durch "intelligentes Nachgeben" von der Flucht aus der Tarifbindung abzuhalten. Niederlagen und Verluste der Beschäftigten scheinen dabei einkalkuliert zu sein. Und so stehen erkämpfte Positionen der Gewerkschaften aus der Nachkriegsgeschichte offenbar zur Disposition. Ohne nennenswerten Widerstand geben Gewerkschaften soziale und tarifpolitische Errungenschaften auf, eine demokratische innergewerkschaftliche Meinungsbildung findet nicht mehr statt. Dies ist der Rahmen, in dem sich der Weg Harald Schartaus vom IG-Metall-Bezirksleiter zum SPD- Landesvorsitzenden vollzogen hat.

Willi Scherer

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