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Für die SPD in Nordrhein-Westfalen beginnt eine neue Zeit. Harald Schartau, erst vor kurzem als Arbeitsminister in die Regierung Clement berufen, ist der
Vorsitzende eines neu verfassten Landesverbands, der mehr sein soll als nur der lose Zusammenschluss von vier mächtigen Bezirken. Mit Ach und Krach und nach vielen Diskussionen
hat Franz Müntefering eine Parteireform in NRW durchgesetzt, die den Genossen nach hohen Verlusten bei den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen zu neuer Schlagkraft verhelfen
soll (vgl. Artikel auf dieser Seite).
Der 48-jährige Schartau stammt aus Duisburg und lebt heute in Mülheim. Schartau hat Chemielaborant gelernt und
ist auf dem zweiten Bildungsweg vorangeschritten. Nach dem Studium an der Sozialakademie Dortmund und der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg begann sein steiler
Aufstieg in der IG Metall. Mit beharrlicher Härte fusionierte er die vier Regionalbezirke der IGM zu einem starken Landesverband seiner Gewerkschaft mit 700000 Mitgliedern. Innerhalb
von zwei Jahren hat Schartau in der SPD eine Blitzkarriere gemacht, vom Bezirksleiter der IG Metall zum Arbeitsminister und jetzt zum Vorsitzenden der SPD im bevölkerungsreichsten
Land der BRD. Der studierte Betriebswirt gehört dem Aufsichtsrat der Babcock AG und der Friedrich Krupp AG, Hoesch-Krupp an.
Auf Schartau wartet ein harter Job. Der neu gewählte SPD-Landesvorsitzende soll als Neuling im Parteibetrieb das
schaffen, was die politischen Schwergewichte Clement und Müntefering nicht zu Wege brachten: die kränkelnde SPD auf die Beine zu bringen. Ein gutes Jahr erst ist Schartau
Minister. In dieser Zeit gab es Reformversuche in der NRW-SPD, beteiligt hat sich Schartau daran nicht. Es schien so, als halte er sich von der Parteipolitik fern. Dass er sich plötzlich als
"Hoffnungsträger" wiederfindet, hat Parteimitglieder und Beobachter gleichermaßen überrascht.
Erklärbar wird der Vorgang vor allem aus dem Zustand der Partei. 1998 teilten sich Müntefering und Clement das
Erbe ihres Vorgängers Johannes Rau. Den Erben gelang es nie so recht, ihre unterschiedlichen Rollen als Ministerpräsident und SPD-Geschäftsführer mit der
Führung der SPD in NRW zu synchronisieren und die Kluft zwischen Traditionellen und Modernisierern zu schließen. Besonders deutlich wurde das bei den Wahlen 1998. Die
Politik der Modernisierer Clement und Schröder verschreckte die Stammwähler. Münteferings Einsatz in der Bundespolitik erschwerte es, die Stammwähler in NRW
zu beruhigen und zu mobilisieren. Rechtzeitig vor der nächsten Wahlserie für den Bundestag 2002 und die Stadträte 2004 machten Clement und Müntefering den Weg
für einen Neuanfang frei.
Harald Schartau ist der geborene Modernisierer. Als einflussreicher Tarifexperte schaffte er es, seine unkonventionelle Tarifpolitik auch den Traditionstruppen in der
Industriearbeiterschaft immer wieder zu vermitteln. Der große Wurf gelang Schartau im Jahre 2000, als die Tarifrunde der IG Metall auf Warnstreiks zulief. In Baden-Württemberg
waren alle Vorbereitungen für Warnstreiks getroffen. Mit einem überraschenden Pilotabschluss in NRW brach Schartau die Tarifrunde auf, verdrängte Baden-
Württemberg als Tarifführer und rettete damit auch das Bündnis für Arbeit des Bundeskanzlers.
Noch in der Nacht des Tarifabschlusses in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie mussten geplante Warnstreiks in
Baden-Württemberg abgesagt werden, die kampfstarken Betriebe im Südwesten konnten ihre Mobilisierungsfähigkeit nicht nutzen, und die Streikbereitschaft in großen
Teilen der Mitgliedschaft wurde unter den Tisch gekehrt. Schartau und Kannegießer bewährten sich als kongeniale Verhandlungspartner. Nachdem es dem IGBCE-Chef Hubertus
Schmoldt gelungen war, mit einem "maßvollen Chemieabschluss" die Ziellatte für die Tarifrunde festzulegen, wurde ein Abschluss für zwei Jahre in NRW
getroffen, gerade weil im Südwesten die Verhandlungen auf Warnstreiks zuliefen. Das war nach 23 Jahren das erste Mal, dass in NRW der Pilotabschluss erfolgte, wo sonst die
Abschlüsse aus anderen Bezirken übernommen wurden.
Kaum ein Monat verging, ohne dass Schartau, der Modernisierer und Reformer mit den außerordentlich guten Beziehungen zur NRW-Presse, nicht eine neue Idee zur
Tarifpolitik und Arbeitsmarktsituation ankündigte. Ständig machte er Vorschläge zur Tarifpolitik, die weder mit der Organisation, noch mit der großen
Tarifkommission abgesprochen waren. Mal verlangte er einen zweiten Arbeitsmarkt, mal Lohn unter Tarif. Mal plante er Tarifverträge für Arbeitslose bei kürzerer Schicht
ohne Lohnausgleich und mal kündigte er einen völlig neuen Stil an.
"Maßgeschneiderte Angebote für ausländische Investoren" war ein weiteres Schlagwort. Als
bundesweit erster Bezirk wollte die NRW-IG Metall in- und ausländischen Investoren im Ruhr-Revier maßgeschneiderte Tarifverträge anbieten. Auf einer Konferenz in
Duisburg, an der drei Bischöfe der katholischen Kirche aus Essen, Mülheim und Paderborn teilnahmen, bot Schartau ein individuelles und differenziertes Tarifabkommen an.
Mit diesen Vorschlägen befand sich Schartau schon auf einer Linie mit Ministerpräsident Clement, der
Niedriglohnsektoren und Sonderwirtschaftszonen wie die New-Park-Idee gutheißt. Damit machte er auch Boden für seinen Parteiaufstieg gut.
Ausländische Investoren könnten nun ihre Chancen nutzen. Jeder Investor, der an der Ruhr eine neue Produktion
aufbauen will, wird von der IG Metall "aktiv begleitet". Harald Schartau sagte, dass es sein könne, dass ein Neugründer keine Sonderzahlungen und kein Urlaubsgeld
zahlen bräuche, oder keine tarifvertraglich vorgesehene Leistungszulage. Die Arbeitszeit könne "projektbezogen" gestaltet werden. Damit würden
Überstundenregelungen und Arbeitszeit sowie 40 Wochenstunden möglich. Schließlich wären die Eingruppierungen offen. Schartau betonte, dass über alles, was
für die Gründer interessant ist, geredet würde.
Nur sind bisher ausländische Investoren nicht ins Ruhrgebiet gekommen und die Arbeitslosigkeit ist nicht zurück
gedrängt worden.
Nach der bisher eingeschlagenen Marschrichtung versucht die IG Metall, die Unternehmer durch "intelligentes
Nachgeben" von der Flucht aus der Tarifbindung abzuhalten. Niederlagen und Verluste der Beschäftigten scheinen dabei einkalkuliert zu sein. Und so stehen erkämpfte
Positionen der Gewerkschaften aus der Nachkriegsgeschichte offenbar zur Disposition. Ohne nennenswerten Widerstand geben Gewerkschaften soziale und tarifpolitische Errungenschaften auf,
eine demokratische innergewerkschaftliche Meinungsbildung findet nicht mehr statt. Dies ist der Rahmen, in dem sich der Weg Harald Schartaus vom IG-Metall-Bezirksleiter zum SPD-
Landesvorsitzenden vollzogen hat.
Willi Scherer
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