SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 9

Belegschaften und Globalisierung

Beispiele aus der Metallindustrie

Globalisierung hat für die Kolleginnen und Kollegen aus multinationalen Konzernen eine sehr unmittelbare Bedeutung: Sie arbeiten in hochgradig arbeitsteilig organisierten "globalen Konzernen", in denen die Produktionsabläufe wie auf einem Schachbrett hin und her geschoben werden. Während die Konzernleitungen als "global players" agieren, versuchen sie mit allen Mitteln, die Belegschaften an Teile der Produktionslinie zu ketten. Diese sollen "Standorte" verteidigen, die die Konzernleitungen bei Bedarf mit einem Federstrich vom Tisch wischen. Die nachfolgende Stellungnahme von Fritz Stahl bringt Beispiele dafür.
Am 16.Januar erhielt ich per E-Mail einen Brief von einem Freund aus Brasilien; er arbeitet dort bei DaimlerChrysler in Juiz de Fora. Darin heißt es: "Wir machen im Augenblick eine sehr schwierige Phase durch. Wir kämpfen mit allen Kräften und Möglichkeiten, die wir haben; aber unglücklicherweise haben wir nicht viel Erfolg. Gestern gab es die Entlassung von 336 Kollegen hier in Juiz de Fora. Der Vertrag, den Mercedes mit der Regierung abgeschlossen hatte, galt für 1500 Beschäftigte und wurde also nicht eingehalten. Jetzt sind wir nur noch 1200."
An dieser Geschichte wird deutlich, was für die Beschäftigten des Konzerns Globalisierung bedeutet. Ich will das kurz darstellen.
DaimlerChrysler (DC) will als einer der 5, 4, 3 großen Automobilhersteller weltweit überleben. Mehr noch: "Wir wollen die Ersten werden." In diesem weltweiten Konkurrenzkampf um Marktbeherrschung stürzt sich der Konzern
in einen bislang ungekannten Konzentrationsprozess: Übernahme von Chrysler, Joint Venture mit Smart, Mitsubishi. Hyundai;
in die Entwicklung von neuen Produktionsprozessen, die weltweit standardisiert werden sollen. So werden Kostenvergleiche weltweit schneller möglich und Produktionsstandorte für ganze Fahrzeuge und für Teile weltweit und schnell austauschbar. Es soll dort produziert werden, wo es am billigsten ist und wo es keine Störungen seitens der Belegschaften gibt;
in Erpressungsmechanismen gegen Belegschaften.
Es werden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen abgepresst, damit die Produktion am Standort erhalten bleiben kann. Hier erntet der Konzern immer mehr die Früchte jahrelanger ideologischer Beeinflussung. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen und mehr noch ihre Interessenvertreter übernehmen die Argumente der Unternehmer.
Dieser Prozess steigert sich noch durch ein neues "Gesetz". Wenn es früher hieß: "Die Großen fressen die Kleinen", kommt heute hinzu: "Die Schnellen fressen die Langsamen."
Die Produktionsbetriebe sollen die von den Aktionären vorgegebenen Rendite (DC derzeit wohl 16%) erbringen. Es kommt vielfach zu Überproduktionskrisen, zu Fehleinschätzungen von Absatzmöglichkeiten und Synergieeffekten.
Die Folge:
bei Chrysler Abbau von 26000 Arbeitsplätzen und Schließung von sechs Fabriken, u.a. in Campo Largo (Parana);
Auslagerungen im großen und kleinen Stil, so im Busbau in Campinas — 4000 Entlassungen;
Teilschließungen wie jetzt in Juiz de Fora — 336 Entlassungen;
Konzentration von Produktionsstätten innerhalb des Unternehmens: die Lackierereien in Mannheim, Ligny (F) und Somano (Es) sollen nach Ulm zusammengezogen werden.
Zurück zum eingangs erwähnten Brief aus Juiz de Fora. Schon dass es diesen Brief gibt, ist ein Resultat einer jahrelangen basisorientierten Solidaritätsarbeit zwischen Arbeitern von Mercedes in Deutschland und Brasilien, bei denen auch persönliches Kennen lernen sehr wichtig ist (seit 1984).

Was ist zu tun?

Wenn ein solcher Hilferuf kommt, dann ist zuerst die Verbreitung der Information zu bewerkstelligen. Hier leistet ein Netzwerk von E-Mail-Verknüpften große Dienste. Sodann werden die jeweilige gewerkschaftliche Leitung und Betriebsratsspitzen unter Druck gesetzt. Schließlich kommt es zu Protest- und Solidaritätsschreiben.
Eine relativ schnelle Reaktion ist nur möglich, wenn
der Ausbau eines solchen Netzwerkes intensiv gefördert wird;
gemeinsame Positionen und Strategien erarbeitet werden, wie z.B. auf dem letztjährigen Seminar mit Kollegen aus Brasilien, USA und mehreren DC-Betrieben in Deutschland geschehen;
konkrete Solidaritätsaktionen geplant und durchgeführt werden;
gemeinsame Bildungsarbeit in Angriff genommen und die Bereitschaft gefördert wird, voneinander zu lernen.
Das geschieht durch Einzelkontakte, durch Arbeitskreise vor Ort wie z.B. in Mannheim (seit 1984) und mehr und mehr durch die Mercedes-Koordination. Diese verstehen sich als "an der Basis orientiert und von dem Interesse getragen, über den eigenen Tellerrand hinaus auch internationale Zusammenhänge begreifen zu wollen und entgegen engstirnigem 'Standortdenken‘ Solidarität in Deutschland und darüber hinaus zu fördern." Seit einigen Monaten hat sie sich den Namen DaimlerChrysler-Koordination gegeben.
Wie das Ganze funktionieren kann, zeigt ein kleines Beispiel:
Im November 2000 reisten zwölf Beschäftigte aus deutschen DC-Betrieben nach Brasilien. In SÆo Bernardo trafen sie auf eine Streiksituation. Die gesamte Belegschaft der Achsenfertigung hatte die Arbeit niedergelegt, um gegen die (vorzeitige) Entlassung von über 400 befristet eingestellten Kollegen zu protestieren Die Werkleitung drohte damit, die Produktion der Achsen für ein Fahrzeug in Argentinien nach Kassel zu verlegen, wenn der Streik nicht aufhören würde.
In der Besuchergruppe aus Deutschland war ein Kollege aus Kassel. Der konnte die Drohung entkräften: in Kassel sei die Produktion von zusätzlichen Achsen nicht möglich und die Belegschaft dort würde alles tun, um eine solche zuzulassen.
Der Streik ging übrigens weiter und es gab eine Vereinbarung, durch die große Teile dieser Befristeten in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen wurden. Wir selbst haben bei diesem Ereignis gelernt, wie sich Festangestellte für die Interessen der Befristeten einsetzen.
Erfreulich im Zusammenhang mit der Frage "Wer soll das machen?" ist auch die Tatsache, dass es im Bereich der Gewerkschaftsjugend eine zunehmende Zahl von interessierten Kolleginnen und Kollegen gibt. Seit Jahren organisiert die IG-Metall-Jugend beim Vorstand in Frankfurt am Main Brigaden und Austauschprogramme nach Nikaragua, Südafrika und Brasilien, letzteres in Verbindung mit der Landlosenbewegung MST.
Wir sind uns bewusst, dass es noch eine Weile dauern wird, bis eine neue Welt aus den Großbetrieben heraus entstehen wird. Aber unser Einsatz ist ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen die neoliberale kapitalistische Globalisierung durch die internationalen Konzerne.
Es gilt, die Auswirkungen bewusst zu machen, zu bremsen und Standortegoismus durch solidarisches Denken und Handeln zu ersetzen. Das alles bleibt noch defensiv, ist aber nötig. Es geht um die Verteidigung von materiellen Errungenschaften und von erkämpften Arbeiterrechten, wie es auch die Gewerkschaften in Brasilien am 21.März bei dem geplanten Generalstreik tun werden. Aber es geht auch um die Verteidigung der Würde der Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Unternehmen.
Ihr alle in Porto Alegre zeigt diese Würde. Und viel Mut und Elan. Wir wünschen euch viel Erfolg und freuen uns auf ermutigende Resultate.

Fritz Stahl

Fritz Stahl war Vertrauensmann der IG Metall bei DaimlerChrysler.


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