SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 13

Der soziale Widerstand weitet sich aus

Das 2.Weltsozialforum ist mit einer Vielzahl von Vorschlägen für Aktionen, Kampagnen und Konferenzen beendet worden, die zeigen, dass die Bewegung weiter wächst, indem sie den sozialen Widerstand wie auch ihre Diskussionen fortsetzt und ihre weitere Vernetzung betreibt.
Die Debatte über den Umgang mit den internationalen Finanzinstitutionen ist weiter offen. Das Spektrum der Positionen reicht von ihrer Reform (Martin Khor) über ihre Abschaffung und die Einleitung einer "De-Globalisierung" (Walden Bello) bis zum Aufbau eigener paralleler Strukturen: eine alternative Welthandelsorganisation, eine Weltsozialbank, eine alternative Kreditbank. Die letzteren Vorschläge kommen vor allem aus dem Kreis derer, die mit Projekten der solidarischen Ökonomie befasst sind.
Das Internationale Forum über Globalisierung, dem viele globalisierungskritische Nichtregierungsorganisationen angeschlossen sind und das seinen Sitz in San Francisco hat, will in den nächsten Monaten einen Grundlagentext dazu vorlegen, der dann drei Jahre hindurch in allen Teilen der Welt diskutiert und überarbeitet werden soll.
Der Aktionskalender, den vor allem das Forum der sozialen Bewegungen vorgelegt hat, ist beeindruckend (siehe Seite 23). Folgende Kampagnen wurden vorgeschlagen (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Eine kontinentale Kampagne gegen die Amerikanische Freihandelszone FTAA/Alca. In den kommenden zwei Monaten will man in allen lateinamerikanischen Ländern breite Koordinationsstrukturen schaffen, die eine Volksbefragung oder einen Volksentscheid einleiten. Bis Oktober sollen die Bevölkerungen über die Bedeutung von Alca aufgeklärt, von Oktober 2002 bis zum März 2003 Volksbefragungen durchgeführt werden. Die Kampagne wird im April 2003 mit dem 3.Gipfeltreffen der Völker Lateinamerikas abgeschlossen, das in Argentinien stattfinden wird. Die Kampagne ermöglicht, die Probleme, welche die Krise in Argentinien aufwirft, erstmals in einem gemeinsamen kontinentalen Rahmen zu diskutieren, evtl. auch Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Die afrikanische Delegation will eine Kampagne gegen den Fall der Kaffeepreise einleiten.
Das Internationale Tribunal der Völker über die Schulden, das im Rahmen des Weltsozialforums stattfand, hat die Aussenschulden der Völker des Südens für "illegitim und ungerecht und vom ethischen, juristischen und politischen Standpunkt aus nicht verhandelbar" erklärt. Auf der Anklagebank sitzen die multinationalen Banken und Konzerne, die Regierungen des Nordens, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die anderen internationalen Finanzinstitutionen wie auch ihre Kollaborateure in den Ländern des Südens.
Das Tribunal hat folgende Empfehlungen der Jury aufgegriffen:
Weltweit die Kampagnen für die Schuldenstreichung zu erneuern; in jedem Land Anhörungen durchzuführen, um eine genaue Aufstellung über den Betrag und die Bedingungen der Verschuldung zu erstellen; demokratische Kontrollmechanismen einzurichten; die Rückerstattung der den Ländern des Südens entzogenen Vermögen und Ersatz für die daraus entstandenen Schäden zu fordern. Die Regierungen des Südens werden aufgefordert sich zusammenzuschließen, um gemeinsam Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag einzureichen, und die Zinszahlungen einzustellen. Die Gelder sollen für die Besserung der Lebenssituation der Völker verwandt werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Ersatzleistungen für die ökologischen Schäden, welche die multinationalen Konzerne zusammen mit den Banken und Regierungen des Nordens angerichtet haben.
Die Empfehlungen des Tribunals werden den verantwortlichen Regierungen vorgetragen.
Rio +10: Der Nachfolgegipfel der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung wird im August in Johannesburg stattfinden. In Porto Alegre hat sich eine Vorbereitungsgruppe für einen Gegengipfel aus 40 Ländern gebildet. Sie hat die Befürchtung geäußert, dass die in Rio und in zahlreichen Konventionen danach erreichten Vereinbarungen zehn Jahre nach der ersten Konferenz auf dem Altar des Freihandels geopfert werden. Anlass für die Befürchtung ist die Tatsache, dass sich die UN-Konferenz u.a. mit dem internationalen Handel, Herstellung und Verbrauch von genmanipulierten Lebensmitteln und den ethischen Grenzen von Wissenschaft befassen will.
Die Vorbereitungsgruppe verteidigt die Auffassung, dass "die Natur ein Wert in sich ist und ihr Schutz höher steht als internationale Handelsabkommen". Patente auf Leben, die private Aneignung der natürlichen Ressourcen und des Wissensschatzes der armen Völker sowie genmanipulierte Lebensmittel werden abgelehnt. Die derzeitigen Modelle der Urbanisierung und Industrialisierung konzentrieren Reichtum und verbreiten Elend und Umweltschäden."
Die Vorbereitungsgruppe verteidigt die Demokratisierung des Zugangs zu Wasser und Boden, auf dem Land und in der Stadt, ein Modell erneuerbarer Energien sowie die soziale Kontrolle über ihre Nutzung. Sie fordert eine radikale Umkehr der Produktions- und Konsummodelle und die Umsetzung der Agenda 21 und aller internationaler Abkommen, die aus Rio gefolgt sind. Sie hat in Porto Alegre ein Manifest veröffentlicht: "Eine nachhaltige Welt ist möglich", in dem sie sozioökologische Rechte als Grundrechte einfordert. Diese sind auch Gegenstand eines Offenen Briefs an den UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Im Mai trifft sich die Vorbereitungsgruppe noch einmal in Jakarta; sie bereitet für Johannesburg einen großen Gegengipfel vor.
Besondere Aufmerksamkeit richtete das Weltsozialforum auf das Wasser. Herausragende Sprecherinnen und Sprecher dieses Schwerpunkts waren Riccardo Petrella, Danielle Mitterrand und Vandana Shiva. Letztere wies darauf hin, die Mehrzahl der bewaffneten Konflikte heute habe ihre Ursache schon im Wasser. 1,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser; 30 Millionen Menschen sterben jeden Tag an Krankheiten, die auf Mangel an sauberem Wasser zurückzuführen sind. Durch die Privatisierung der Wasserversorgung verschlimmert sich die Situation. Internationale Abkommen wie FTAA/Alca entwickeln Instrumente für die Durchsetzung der Kommerzialisierung dieser Ressource. Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich auch mit den verheerenden Auswirkungen von Staudämmen.
Danielle Mitterrand hat sich dafür stark gemacht, ein "Parlament des Wassers" zu bilden; es soll die Bedürfnisse der Menschen zum Ausdruck bringen und ihnen ermöglichen, diese gemeinsame Ressource gleichberechtigt zu nutzen. Der derzeit bestehende Weltwasserrat sei nur ein Instrument der Weltbank. Unmittelbares Kampfziel müsse sein, "dass jedem Menschen pro Tag mindestens vier Liter Wasser kostenfrei zustehen". Petrella hat die Notwendigkeit unterstrichen, die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden zu verändern, um die Verschwendung von Wasser zu stoppen.
Vom 28. bis 30.Dezember findet in Guadeloupe (eine französische Kolonie in der Karibik) das 1.Welt-Ethnische Festival statt. Es trägt den Namen "Konvwa nou tout sé fwè" (Konvoi "Wir sind alle Brüder"), Festival der Brüderlichkeit, und sieht sich in der Kontinuität der Versammlung der NGOs von Durban im vergangenen Jahr. Der Bürgermeister der Gemeinde Petit-Bourg auf Guadeloupe, Ary Broussillon, war nach Porto Alegre gereist, um sich als Gastgeber zu bewerben.
Der Ort soll die Bedeutung des Kampfes gegen Rassismus, Sklaverei und Kolonialismus unterstreichen: Vor 200 Jahren hat es in Guadeloupe einen Sklavenaufstand gegeben, bei dem 10000 Menschen ums Leben kamen. Petit-Bourg empfiehlt sich aber noch aus einem anderen Grund: Der Bürgermeister ist Mitglied der internationalen Bewegung "Die Demokratie radikal demokratisieren", die für Guadeloupe die Unabhängigkeit fordert. In seiner Gemeinde versucht er, eine Beteiligungsdemokratie nach dem Muster von Porto Alegre zu praktizieren.
Das Thema Rassismus war sowohl auf dem Weltsozialforum wie auch auf dem Jugendlager, das in seinem Rahmen, aber als selbstverwaltete Veranstaltung parallel zu ihm stattfand, stark vertreten. Eine der Hauptforderungen, die in zahlreichen Seminaren und Arbeitsgruppen immer wieder erhoben wurde, war die nach Entschädigung.
Frauen, vor allem junge Frauen, waren im Weltsozialforum stark präsent. Eine zentrale Rolle bei der Organisierung der Debatten spielte der Weltfrauenmarsch, der zwischen 1999 und 2000 auf allen Kontinenten Märsche und andere Aktivitäten gegen Armut und Gewalt gegen Frauen durchgeführt hat. Die Initiative mündete im Oktober 2000 in einer Abschlusskundgebung vor der UNO in New York. Der Weltfrauenmarsch will im kommenden Jahr im Rahmen des 3.Weltsozialforums ein Tribunal gegen Gewalt gegen Frauen durchführen. "20 bis 50 Prozent der Frauen sind Opfer von Gewalttaten geworden, jede zehnte Frau wird vergewaltigt, die Weltbank erkennt sexistische Gewalt als Todesursache aber nicht an", heißt es dazu in einer Erklärung.
200 Indígenas aus ganz Brasilien haben in Porto Alegre die Bildung eines Komitees der Indigenen Völker im Rahmen des 3.Weltsozialforums angekündigt. Sie wollen der Forderung Nachdruck verleihen, dass Regierungen, Kirchen und alle Verantwortlichen für die historischen Massaker an den indigenen Völkern Bedingungen schaffen, dass Armut und Abhängigkeit überwunden werden.
Diese Völker klagen das Recht auf Differenz ein: "Wir verlangen, dass die Politik in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Ernährung die kulturellen Unterschiede respektiert. Wir fordern die Anerkennung des Statuts der indigenen Völker, das vor zwölf Jahren erarbeitet wurde." Sie sprechen über den Verlust ihres Landes und die Gewalt, die gegen sie durch Landnahme, Mord und Gewalt gegen die Frauen ausgeübt wird.
Die Bauern, vertreten durch Via Campesina und die MST, hatten wie die Jugendlichen ein eigenes Zeltlager in einem Park aufgeschlagen. Sie sind aktiv in der Kampagne gegen die Amerikanische Freihandelszone und betreiben eigene Initiativen gegen genmanipulierte Nahrungsmittel und für die Nahrungsmittelsouveränität. Zum Welternährungsgipfel, der in Rom im vergangenen November stattfinden sollte und nun im kommenden Juni stattfinden wird, wollen sie 300000 Menschen mobilisieren. Sie haben einen Internationalen Aktionstag für Nahrungsmittelsouveränität ausgerufen.
Die einzige soziale Kraft, die in Porto Alegre nicht mit Kampagnenvorschlägen aufgetreten ist, war die Arbeiterbewegung.
Die Vernetzungsarbeit wird fortgesetzt. Der nächste Schritt ist die Einführung kontinentaler Sozialforen: Im Herbst wird ein Lateinamerikanisches Sozialforum in Quito (Ecuador) gegründet und ein Europäische Sozialforum in Italien. Planungen, dass das Weltsozialforum im Jahr 2004 in Indien und im Jahr 2005 in Afrika stattfinden soll, weisen darauf hin, dass die Verankerung auf den Kontinenten vorangetrieben werden soll, die bislang schwächer repräsentiert sind.

Angela Klein

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