SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2002, Seite 22

Cafe Courage

Eine Lesung in Döbeln, Ostdeutschland

Döbeln ist eine sächsische Kreisstadt mit 26000 Einwohnern — heißt es im Brockhaus von 1997. Das dürfte aber ebenso wenig stimmen wie die dortigen Angaben zur industriellen und gewerblichen Ausstattung der Stadt im Muldetal. Die in dem Nachschlagewerk vermerkten Werkzeugmaschinen- und Karosseriebaubetriebe existieren nicht mehr und auch diverse der Möbel- und metallverarbeitende Fabriken haben inzwischen zugemacht. Die (im Brockhaus nicht aufgeführten) Arbeitslosenzahlen steigen ebenso weiter wie die Zahl der WestmigrantInnen, besonders der jüngeren Jahrgänge. Von denen, die noch nicht weggegangen sind, arbeitet, wer noch beschäftigt oder in eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme eingebunden ist, nur selten jemand in Döbeln selbst. Die meisten verbliebenen jungen Einwohner gehören zu den offiziell 26% Arbeitslosen der Stadt.
An einem solchen wenig Zuversicht und Zukunftsperspektive bietenden Ort erwartet man alles andere als einen soziokulturellen Verein wie "Treibhaus e.V." und seinen umtriebigen jungen Vorsitzenden Enrico Seibt, dem man gerne glaubt, dass er mindestens 18 Stunden täglich tätig ist.
Dieser lud uns zu einer Lesung unseres 1996 im Neuen ISP Verlag Köln erschienenen Buchs Die Abwicklung der DDR. Wende und deutsche Vereinigung von innen gesehen ein.
Es waren zwar weniger als zwanzig junge Leute — fast alle unter 30 Jahren — gekommen, was Enrico Seibt mit der gleichzeitig an anderer Stelle vom Verein organisierten großen Ausstellung "Cafe aus fairem Welthandel" begründete. Diese aber hörten sich mit großer Aufmerksamkeit an, was ich ihnen über Entstehungsgeschichte, AutorInnen und Inhalt des Buchs berichtete.
Manfred Behrend fasste die von ihm geschriebenen zwei Kapitel des Buchs über Parteien und Bewegungen in der DDR vor, während und nach der Wende bzw. über Rechtsextremismus in der DDR zusammen und ergänzte dies durch einen Exkurs, der bis in die Gegenwart führte. Danach gab es eine längere, recht lebhafte Diskussion, in der es um die Frauenfrage, um die wirtschaftliche Situation am Ende der DDR, um Rechtsextremismus und vieles andere ging.
Während Manfreds Vortrag verließen drei der jungen Männer, darunter der Vereinsvorsitzende plötzlich das dem Verein gehörende und von ihm als Zentrum Döbelner Jugendarbeit genutzte Cafe Courage. Nach etwa einer Viertelstunde kehrten sie zurück und erklärten den Anwesenden, weshalb sie verschwunden waren. "Treibhaus" hat mit den anderen Jugendzentren der Stadt eine Solidargemeinschaft organisiert. Wenn sich in einem der Klubs Rechtsextreme unangenehm bemerkbar machen, verständigt die Klubleitung des betroffenen Zentrums die übrigen Jugendtreffpunkte. Diese schicken dann jeweils ein paar junge Männer in den von Rechtsextremen heimgesuchten Jugendtreffpunkt. In aller Regel verschwinden dann die rechtsextremem Jugendlichen, ohne dass es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommt. Durch gewaltfreie und antifaschistische Jugendpolitik gelang es den Klubs und insonderheit "Treibhaus e.V.", Rechtsextremismus in Döbeln unter Kontrolle zu bringen. Dazu haben sie sich auch der Kooperation der Polizei versichert und sogar mit dem Verfassungsschutz Kontakt. Unterstützt werden sie in geringem Maße finanziell, vor allem aber auf verschiedene andere Weise von der PDS und der jetzt die Stadt regierenden SPD.
"Treibhaus e.V." existiert seit März 1997 und bietet ein breitgefächertes kulturelles, weiterbildendes und aufklärendes Angebot von Veranstaltungen für Toleranz, Gleichberechtigung und menschliches Miteinander an. Regelmäßig finden im Cafe Courage Beratungen u.a. für Opfer rechter Gewalt, ferner offene Vereinssitzungen und Kulturveranstaltungen verschiedenster Art statt. Unter den außerordentlich breit gefächerten Veranstaltungen, die so gestaltet sind, dass sie vor allem junge Leute anziehen, nehmen antifaschistische und antirassistische Themen einen wichtigen Platz ein.

Hanna Behrend

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