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Nach Angaben der katalanischen Polizei waren es 250000 Demonstrierende, nach Angaben der Organisatoren 500000 und laut Presse 300000 die
Demonstration in Barcelona anlässlich des EU-Gipfels am 16.März war die größte Mobilisierung gegen die neoliberale Globalisierung, die es bislang gegeben hat,
größer noch als die von Genua im vergangenen Juni gegen die G8.
Mit einer so starken Beteiligung hatte niemand gerechnet: Die Organisatoren waren von 50000 ausgegangen; zwei Tage vorher
hatte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) bereits 100000 Menschen mobilisiert und es bestand die Befürchtung, dass danach die Kraft nachlassen würde.
Bemerkenswert daran ist, dass die Mobilisierung hier wie auch bei anderen internationalen Großdemonstrationen gegen
die liberale Globalisierung vorwiegend eine regionale war. Mit Ausnahme eines Blocks von etwa 10000 Basken, die allerdings sehr sichtbar und kämpferisch auftraten, waren fast alle
Transparente in katalanischer Sprache; die Delegationen aus den anderen Landesteilen des spanischen Staates waren relativ klein. Aus anderen europäischen Ländern waren
neben symbolischen Delegationen aus einigen Ländern nur noch einige hundert Franzosen auszumachen; die Mehrzahl von ihnen war an der Landesgrenze von der spanischen
Polizei festgehalten worden.
Dieser enorme Erfolg verdient es, dass man nach Gründen dafür sucht. Die auf dem EU-Gipfel behandelten
Themen waren wichtige Themen. Die größte Aufmerksamkeit hat die Liberalisierung der Strommärkte genossen. Auf der Tagesordnung standen aber auch die Öffnung
der Bahnfracht für die private Konkurrenz, die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, die Haltung der EU auf dem UNO-Gipfel über Finanzierung und Entwicklung in
Monterrey, Mexiko, das Satellitenaufklärungssystem Galileo. Es gab also viele gute Gründe, gegen ein Europa zu demonstrieren, das den öffentlichen Dienst zerschlägt
und die Arbeitsmärkte noch weiter flexibilisiert, und für ein Europa, das die sozialen Rechte und die Umwelt achtet und ein anderes Verhältnis zu den Ländern des
Südens pflegt.
Doch der EU-Gipfel war nur der Zwischengipfel unter spanischer Präsidentschaft. Die wichtigeren Entscheidungen
werden traditionell auf dem Abschlussgipfel zum Ende der Halbzeit getroffen und darauf konzentrieren sich auch die Mobilisierungen. Ganz davon abgesehen, dass es nach landläufiger
Meinung leichter sein soll, gegen die WTO oder die G8 als gegen die EU zu mobilisieren. Denn die EU gilt nicht nur als kontinentaler Motor der liberalen Globalisierung, sondern auch als
Raum, in dem sich ein anderes demokratisches und ökologisches Gesellschaftsprojekt entwickeln könnte.
Um den unglaublichen Erfolg von Barcelona zu verstehen, muss man ihn im Kontext der gegenwärtigen Welle von Massenmobilisierungen gegen die liberale Globalisierung sehen:
Québec, Genua, Porto Alegre II. Die Bewegung ist in vollem Aufschwung, sie dehnt sich aus und nimmt an Masse zu.
Barcelona ist zu einer ihrer Bastionen geworden. Das Rückgrat der Mobilisierung, die Bewegung des globalen
Widerstands (MRG Movimiento de Resistancia Global) hatte sich im Juni 2000 gebildet, mit Hilfe der Kontakte, die damals auf dem Weltsozialgipfel in Genf (Kopenhagen II) und bei
den Mobilisierungen in Prag geknüpft wurden. Delegationen aus Barcelona waren in Nizza, Genua und in Brüssel gewesen.
In Barcelona selbst hatte es im Juni 2001 eine starke Kampagne gegen ein angekündigtes Treffen der Weltbank gegeben
sie war so massiv, dass die Weltbank es vorzog, die Konferenz zu annullieren. Trotzdem kam eine Demonstration zustande, die dieses Ergebnis natürlich feierte, es beteiligten
sich daran 20000 Menschen! Der jetzige EU-Gipfel entschädigte die Aktiven gewissermaßen für die "ausgefallene" Mobilisierung und ermöglichte die
erste "wirkliche" internationale Massendemonstration gegen die liberale Globalisierung auf spanischem Boden.
Die Zusammensetzung der Demonstration vom 16.März sagt etwas über die Besonderheiten der Bewegung in
Katalonien aus: Die Jugend ist die treibende Kraft, aber das Anliegen wird von der Gesamtheit der sozialen Bewegungen getragen; die Organisationsformen sind basisnah und dezentral.
Drei "Blöcke" hatten zur Demonstration aufgerufen: die "Kampagne gegen das Europa des
Kapitals" sie bildete den Anfang der Demonstration und stellte die erdrückende Mehrheit ihrer Teilnehmenden. Die Kampagne ist die direkte Nachfolgerin der Kampagne
gegen das Weltbanktreffen im vergangenen Jahr und umfasst über 100 Organisationen die Mehrzahl der sehr jungen Organisatoren kommen aus der MRG. Einen
zweiten Block bildeten die katalanischen und baskischen Nationalisten; einen dritten Block das "Sozialforum von Barcelona", in dem die parlamentarische Linke (Izquierda Unida
und die sozialdemokratische PSOE) und die großen Gewerkschaften (Comisiones Obreras und UGT) zusammengeschlossen sind.
Alle Blöcke waren sehr groß. Über 1000 liefen im Block der Frauenbewegung, 3000 mit Attac, mehrere
tausend ordneten sich dem Block zur Verteidigung der Rechte der Palästinenser zu oder den Umweltschützern oder radikalen Gewerkschaften wie der CGT (die Nachfolgerin der
CNT der 30er Jahre). Alle Blöcke waren dem Alter nach gemischt und in allen gaben die Jugendlichen den Ton an. Im Block der Autonomen konnte man Abzeichen des katalanischen
Ablegers der PSOE sehen!
Der Block der nationalistischen Organisationen zählte etwa 500010000 Menschen. Es demonstrierten dort vor
allem Katalanen, weil die Basken es vorzogen, im Block der sozialen Bewegungen mitzulaufen, den der baskische Ableger der MRG, Emen Eta Mundua, organisiert hatte. Das Sozialforum von
Barcelona brachte etwa ebensoviel Menschen auf die Beine, löste den Block aber auf, noch bevor er loslaufen konnte, weil es so lange dauerte, bis sich auch der Schlussteil der
Demonstration in Bewegung setzte.
Stärker noch als in anderen Teilen Europas hat es in den 80er Jahren in Katalonien und im restlichen spanischen Staat, mit Ausnahme des Baskenlands, einen Bruch zwischen den
Generationen der Aktiven gegeben. Die radikale Linke und die sozialen Bewegungen der 70er Jahre mündeten in den Sturz des Franco-Regimes, die portugiesische Revolution und die
Hoffnung, der Bruch mit der Diktatur werde auch einen Bruch mit dem Kapitalismus nach sich ziehen. Der sog. "demokratische Übergang" und der Pakt von Moncloa zwischen
Gewerkschaften und Regierung machten diese Hoffnung jedoch zunichte und schwächten den Kern der Aktiven erheblich.
Die Mobilisierungen der 90er Jahre verschafften einer neuen Generation von Aktivisten den nötigen Raum, um neue
Aktionsformen zu erproben und ihre eigenen Bewegungen aufzubauen. Viele orientierten sich an den Bewegungen in den USA, das lässt sich manchmal bis ins Detail nachverfolgen:
Zustimmung wird per Handzeichen gegeben, das Aktionskonzept ist das der aktiven Gewaltfreiheit, die organisatorischen Strukturen entwickeln sich sehr rasch (die MRG wächst derzeit
über sich hinaus wie dies auch beim Direct Action Network nach den Demonstrationen in Seattle 1999 und Washington 2000 der Fall war). Auch in Katalonien entsprechen diese
Aktionsformen einer stark verwurzelten libertären und in Basisgruppen operierenden Kultur.
Aber die Bezüge zwischen den sozialen Bewegungen sind in Katalonien weitaus stärker als in den USA. Das
schafft eine jener seltenen Bedingungen, wo eine Demonstration von neuen kämpferischen Aktionsformen geprägt, gleichzeitig aber in der Lage ist, alle Sektoren der Gesellschaft
und alle Altersgruppen zu integrieren. Die Gewalt spielte in Barcelona kaum eine Rolle. Es gab einige Zwischenfälle, ein paar in Brand gesetzte Mülltonnen, ein paar
Steinwürfe, aber nichts von Bedeutung; selbst die Medien machten in erster Linie nervöse Polizisten dafür verantwortlich. Nach den Gewaltszenarien von Göteborg und
Genua hat die Bewegung in Barcelona deutlich gezeigt, dass sie gereift ist.
Der Erfolg von Barcelona wird Spuren hinterlassen. Es sei nur ein Beispiel genannt: Die Titelseite von El País, der
großen Tageszeitung aus Madrid, brachte die Nachricht: "Die katalanische Hauptstadt hat die größte Mobilisierung für eine andere Globalisierung erlebt."
Das Etikett "Antiglobalisierung" ist nicht mehr das einzige, das die Presse verwendet! Die Frage der Bewegungsfreiheit in Europa hingegen bleibt ein großes Problem. Es ist
nicht hinnehmbar, dass ein Zustand geschaffen wird, in dem es als "normal" gilt, dass Regierungen in Europa den Bürgerinnen und Bürgern die Bewegungsfreiheit
beschneiden und ihnen die Teilnahme an Demonstrationen verwehren. Attac u.a. haben dagegen protestiert, aber daraus muss ein viel größeres Thema gemacht werden.
Schließlich wird es dringend notwendig, dass die Bewegung sich ein Mindestmaß an Strukturen gibt, damit die
katalanischen Erfahrungen an die Bewegungen im restlichen Europa und in der Welt übermittelt und Synergieeffekte erreicht werden können. Darüber wird auf dem
kommenden Europäischen Sozialforum zu diskutieren sein.
Christophe Aguiton
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