SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 11

USA planen erneuten Angriff auf den Irak

Chronik eines angekündigten Krieges

Beim Angriff auf den Irak geht es nicht mehr um die Frage ob, sondern nur noch wann und wie, welches sind die günstigsten Umstände.
Kenneth M.Pollack ist stellvertretender Direktor für Nationale Sicherheitsstudien beim Rat für Auswärtige Angelegenheiten der USA. Von 1999 bis 2001 war er Direktor für Golfangelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat, das Gremium, das die Militärstrategien festlegt. Er diskutiert in der März/April-Ausgabe der Zeitschrift Foreign Affairs Umstände und Zielsetzung eines US-Angriffs auf den Irak.
Pollack beginnt damit, dass er die Containment-Politik, die unter der Regierung Clinton praktiziert wurde, für gescheitert erklärt. Nach der irakischen Niederlage im Golfkrieg II hoffte Bush Sr., Saddam Hussein werde von innen heraus gestürzt werden. Er hatte selber keine Strategie dafür, hoffte aber, ein UN-beaufsichtigtes System von wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Sanktionen werde Saddam maximal isolieren und die Bedingungen für seinen Sturz schaffen.
Das ist nicht passiert; die Sanktionen wurden in den letzten Jahren auch immer weniger beachtet. Der Irak konnte sein Öl durch Jordanien, Syrien, die Türkei und die Golfstaaten schmuggeln und teuer verkaufen, und er hat sich wieder Zugang zu Ersatzteilen für Panzer und Flugzeuge und anderes Militärzeug verschafft. China wurde erwischt, wie es für Saddam ein landesweites Kommunikationsnetz auf der Basis von Glasfaseroptik aufbaute; die USA haben es mit Luftangriffen im Januar 2001 wieder zerstört.
Bush Jr. versucht es derzeit mit "intelligenten Sanktionen" — die Schmuggelpfade durch die umliegenden Länder sollen ausgetrocknet werden, indem man ihr Wohlverhalten erkauft. Das Problem jedoch ist, schreibt Pollack, dass all diese Länder vom Schmuggel profitieren, ihre Bevölkerungen alle gegen die Sanktionen sind und bei ihrer Durchsetzung nicht helfen.
Eine ernsthafte und wirksame Eindämmungspolitik würde ein völlig verändertes Arrangement erfordern. Anstelle allgemeiner Wirtschaftssanktionen müssten ein gezieltes Militärembargo und Finanzkontrollen treten, bewehrt mit der vorab der UNO erteilten Ermächtigung, militärische Gewalt zu ihrer Einhaltung einzusetzen. "Ein solcher Deal ist im UNO-Sicherheitsrat heute nicht durchsetzbar, eine wirksame Eindämmungspolitik ist deshalb nicht abzusehen."

Kein Krieg gegen den Terrorismus

Pollack hält aber auch die Position der Falken in der US-Regierung für nicht durchsetzbar, die am 20.September in einem Offenen Brief an Präsident Bush gefordert haben, den Krieg gegen den Irak zur "Phase zwei" des Kriegs gegen den Terrorismus zu erklären. Er teilt ihr Anliegen, die Fähigkeit des Irak zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen als kritische Bedrohung der nationalen Interessen der USA einzustufen. Insbesondere seine Möglichkeit, Atomwaffen zu entwickeln, bedroht die Sicherheit der Versorgung der Welt mit Öl. Aber: "Es ist ein Fehler, Operationen gegen den Irak als Teil des Kriegs gegen den Terrorismus zu betrachten. In Anbetracht der Besonderheiten der irakischen Situation wäre es riskant und die US-Regierung schlecht beraten, wollte sie Saddam mit einer Kampagne im Stil Afghanistans in die Knie zwingen."
Pollack entwirft dafür eine ganze Reihe von Argumenten. Das eine betrifft die Stärke des Saddam-Regimes im Vergleich zu den Taliban. Saddam sitzt fest im Sattel, ungeachtet der Opposition im Norden (Kurden) und im Süden (Schiiten), die nur über regionalen Einfluss verfügt und sich zudem nicht einigen kann. Saddam stützt sich auf die Republikanische Garde, die Republikanische Spezialgarde, die Baath-Partei, die Saddam-Feddajin und die Geheimdienste — Stützen, die es so gut wie unmöglich machen, ihn heute von innen zu stürzen. "Der Schlüssel zum Sieg in Afghanistan war ein Luftkrieg der USA, der die Kampftruppen der Taliban zersprengte und der Nordallianz nur noch die Aufgabe überließ, einzelne isolierte Widerstandsnester auszuheben." Eine solche Strategie wäre im Irak nicht möglich.
Dort haben die USA den wahrscheinlich massivsten Luftangriff in der Geschichte geflogen. Dem folgte eine der stärksten Bodeninvasionen des 20.Jahrhunderts. Anfang März 1991 war die irakische Armee nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch war sie immer noch stark genug, den größten Aufstand niederzuschlagen, den es in der Geschichte des Irak gegeben hat; Saddam blieb an der Macht. Die Streitmacht, die die USA 1991 gegen den Irak ins Feld führte, war dabei um ein Vielfaches größer als die zehn Jahre später gegen Afghanistan.
Pollack wiederholt hier eine Einsicht, die in der Militärstrategie wohl bekannt ist: Die Luftwaffe kann das gegnerische Potential zerstören, aber sie gewinnt keine Kriege. Im Kampf am Boden kommt es auf die Moral und Disziplin der Truppe an, und die, schätzt Pollack, ist immer noch so stark, dass sie eine Opposition besiegen würde.
Hinzu kommt, dass die USA sich dabei auf breite logistische Unterstützung der Nachbarstaaten stützen müssten (Militärbasen und Überflugrechte für US-Truppen, Sicherheitszonen für die Opposition). "Unglücklicherweise haben die Nachbarstaaten deutlich gemacht, dass sie einen solchen Krieg nicht unterstützen würden. Amerikas Verbündete in der Region haben Washington mehr als einmal erklärt, dass sie keine US-Militäroperation mit offenem Ausgang und geringen Erfolgschancen unterstützen werden. Ein hochrangiger Beamter der Golfstaaten hat das so ausgedrückt: ‚Wenn ihr bereit seid, all eure Kraft einzusetzen, werden wir mit euch sein, aber wir sind nicht daran interessiert, dass ihr an uns eure Theorien über Luftschläge ausprobiert.‘" Die Nahost-Reise von Verteidigungsminister Cheney hat diese Einschätzung bestätigt.
Pollacks Schlussfolgerung: "Wenn die unmittelbare Gefährdung durch Al Qaida und Bin Laden abgewendet ist, muss Saddam gestürzt werden. Dazu bleibt nur ein einziger Weg: Die USA müssen in den Irak einmarschieren, das bestehende Regime beseitigen und den Weg bereiten für ein Nachfolgeregime, das von Dauer ist, seinen internationalen Verpflichtungen nachkommt und mit seinen Nachbarn in Frieden lebt."
Mit anderen Worten: Die USA müssen den Irak besetzen, und zwar solange, bis ein solches Regime gefunden ist. Dafür hält der Golfkriegsexperte eine Bodenstreitmacht von 200000 bis 300000 Soldaten, 600 bis 1000 Kampfflugzeuge und etwa fünf Flugzeugträgereinheiten für erforderlich. Es würde drei bis fünf Monate dauern, eine solche Kampfkraft im Persischen Golf aufzubauen; der Krieg selbst, so die übliche optimistische Übertreibung, könnte in einem Monat zu Ende sein.
Die USA trauen sich zu, einen solchen Krieg allein zu führen. "Das einzige Land, dessen Unterstützung für eine Invasion absolut notwendig ist, ist Kuwait." Ihr größtes Problem wäre, was sie mit dem Land anfangen sollen, wenn sie es einmal erobert haben: es zählt 22 Millionen Menschen und ist durch zwei Jahrzehnte Krieg völlig ausgezehrt. Weil das eine Last ist, die ihnen nur Kosten und wenig Nutzen bringt, würden sie sie am liebsten an die UNO oder besser noch an die Arabische Liga weitergeben. Zum Beispiel könnte eine Mandatsregierung aus Saudis, Kuwaitis, Jordaniern und Türken eingesetzt werden. Europa und Ostasien könnten für die Kosten des Wiederaufbaus zuständig sein — geschätzte 150 Milliarden Dollar. Ist das nicht ein Szenario für eine neue, arbeitsteilige Weltordnung?
Derzeit sind das noch Planspiele und der Autor selbst warnt vor einer übereilten Aktion gegen den Irak. Viel hängt davon ab, wie sich die Situation im Nahen Osten entwickelt. Aber an der Entschlossenheit der Bush-Regierung, den Irak anzugreifen, kann kein Zweifel bestehen. Darauf müssen die Friedens- und die globalisierungskritische Bewegung jetzt reagieren — bevor der Krieg erklärt ist.

Angela Klein

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