SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 12

Frankreich

Rennen um die Präsidentschaft

Am 2.April um Mitternacht wird feststehen, welche Kandidatinnen und Kandidaten an der diesjährigen französischen Präsidentschaftswahl teilnehmen können. Bis zu dieser Stunde haben die potenziellen Bewerber Zeit, ihre 500 Unterstützungsunterschriften von Mandatsträgern der Republik vorzulegen.
Im auf diese Vorrunde folgenden, eigentlichen, Spiel findet das Halbfinale am 21.April statt: Der erste Wahlgang. Das Finale bildet der zweite Wahlgang am 5.Mai — die Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Bewerbern aus dem ersten Durchgang.
Dabei dürfte die Finalrunde wenig Überraschungen bieten: Die Gesichter der voraussichtlichen Spieler sind altbekannt, denn die beiden mit Abstand aussichtsreichsten Bewerber um das höchste Staatsamt haben bereits seit fünf Jahren zusammen regiert. Der bürgerliche Staatspräsident Jacques Chirac war seit Juni 1997 gezwungen, an der Staatsspitze mit dem sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin zu "kohabitieren". Auch inhaltlich verströmt das Endspiel, auf das beide Politiker seit mehreren Jahren gewartet haben, hauptsächlich politische Langeweile. Einer Umfrage zufolge, die die Tageszeitung Libération am 26.Februar publizierte, erkennen 74% der Franzosen "keine" oder "nicht viele" Unterschiede zwischen den Programmen der beiden aussichtsreichsten Kandidaten. Gute zwei Wochen später waren noch immer 70% der Befragten derselben Auffassung.
Denn beide Politiker suchen sich vor allem die politische Mitte streitig zu machen. Das war im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen von 1997 noch anders. Damals profitierte Jospin von der Welle gesellschaftlicher Protestbewegungen gegen die neokonservative Politik des (kurzlebigen) Kabinetts von Alain Juppé. Natürlich hatte Jospin schon damals den "linken Realismus" gepredigt und die Mehrzahl seiner sozialen Reformversprechen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Dennoch war der Tonfall damals ein deutlich anderer, und es standen sich zwei unterscheidbare politische Blöcke gegenüber. Auf der einen Seite predigte die konservative und wirtschaftsliberale Rechte hinter Chirac und Juppé die gesellschaftliche Resignation als "Einsicht in die objektiven wirtschaftlichen Notwendigkeiten" und einen eisernen Sparkurs. Auf der anderen Seite verkörperte Jospin so etwas wie einen politischen Voluntarismus, der sich trotz allem Gestaltungsspielräume schafft. Das war vor fünf Jahren, bevor die Koalition der "pluralen Linken" an der Regierung die "wirtschaftspolitischen Zwänge" und EU-Rücksichtnahmen zu verwalten hatte.
Heute legt Jospin Wert darauf, dass er — wie er anlässlich seines ersten Fernsehauftritts als Kandidat am 21.Februar betonte — kein sozialistisches Programm präsentiere: "Ich (selbst) bin sozialistisch inspiriert, aber das Projekt, das ich dem Land vorschlage, ist kein sozialistisches Projekt." In seiner TV-Rede stellte Jospin vor allem den "modernen" Charakter seines Projekts heraus.
Als Hauptversprechen wollte Jospin zunächst das Erreichen der Vollbeschäftigung bis 2007 (dem Ende der Amtszeit des künftigen Präsidenten) herausstellen. Da dies Jospin und seinen Leuten wohl nicht realistisch genug war, wurde als spektakulärste Maßnahme der Slogan "Keinen Obdachlosen bis 2007" hervorgehoben. Dafür sorgen soll eine Art Wohnraumversicherung, die Couverture Logement Universelle, die im Falle finanzieller Engpässe für Mietzahlungen einspringen und zugleich dem Vermieter sein Mieteinkommen garantieren soll. Genauer gesagt, verspricht Jospin, unter seiner Präsidentschaft "die Regierung aufzufordern, die Möglichkeit der Einrichtung (einer solchen Unterstützung) zu untersuchen".
Die Hilfsorganisationen für Obdachlose erklärten freilich, das Ziel sei nicht auf diesem Wege zu realisieren. Mit der in Aussicht gestellten Reform könnte zwar einigen Mietern in prekärer Situation geholfen werden, für jene, die ihre Wohnung bereits verloren hätten, stelle diese Reform keine Hilfe dar. Im Fernsehen schränkte Jospin sein Versprechen denn auch dahingehend ein, dass auch am Ende seiner Amtszeit noch "ein paar hundert Personen" auf der Straße verbleiben könnten.
In der Beschäftigungspolitik verspricht Jospin "900000 Arbeitslose weniger bis 2007", während Jacques Chirac seinerseits "mindestens 460000 Arbeitsplätze mehr" verspricht. Bei genauerem Hinsehen dürfte allerdings kaum ein Unterschied zwischen beiden Versprechen bestehen, denn implizit setzt Jospin auf die ab 2004/2005 anstehenden, altersbedingten Abgänge. Hunderttausende Arbeitsplätze werden durch den sog. Papy-Boom (wörtlich "Opa-Boom", unter Anspielung auf den "Baby-Boom" der 70er Jahre) freiwerden. Konkret verspricht Jospin die Subventionierung von circa 200000 befristeten Stellen, um ältere Beschäftigte ab 50 Jahren im Arbeitsleben zu halten. Von weiteren Arbeitszeitverkürzungen oder anderen Interventionen seitens der Politik ist nicht die Rede. Jospin scheint für die Realisierung seines Versprechens in erster Linie auf das Wirtschaftswachstum zu setzen, das er in seinem Programmdokument bei durchschnittlich 3% jährlich ansetzt. Eine optimistische Prognose…
In der Steuerpolitik versprechen sowohl Jospin, als auch Chirac Senkungen. Der Unterschied zwischen beiden Kandidaten besteht bloß in der Höhe der geplanten Steuersenkungen. Während Chirac die, im EU-Durchschnitt ohnehin niedrigen Steuern, um rund ein Drittel senken will, verspricht Jospin eine Senkung der Einkommensteuer um 10%. Die Einkommensteuer wird in Frankreich nur von den einkommensstärkeren Hälfte der Bevölkerung bezahlt. Allerdings sollen auch einige Kapitaleinkünfte etwas höher besteuert werden. Und in der Rentenfrage verspricht Jospin, die öffentlichen Rentensysteme "abzusichern". Dabei sind "Reformen" wie die Einführung einer privaten Altersvorsorge, oder die Verlängerung der Beitragszeiten nicht ausgeschlossen.
Die Wirtschaftszeitung La Tribune vom 6.März zitiert Jospin mit den Worten, eine aus demografischen Gründen erfolgende Rentenreform könne "nicht schmerzlos ausfallen". Die Frage der Einführung privater Rentenkassen, die handfesten Ärger mit einem Teil der Gewerkschaften verspricht, will Jospin vor der Wahl nicht anfassen. Derzeit verspricht er Entscheidungen "bis im Juni 2003" und erst "nach Verhandlung mit den Sozialpartnern".
Daneben hat Jospin wie die meisten anderen Kandidaten auch eine gehörige Portion "Law & Order" im Programm: Die Beschleunigung der Strafverfahren und geschlossene Erziehungsheime für jugendliche Straftäter sind nur zwei Beispiele. Ebenso wie der Neogaullist Chirac, der Christdemokrat François Bayrou und der nationalistische Ex-Sozialdemokrat Jean-Pierre Chevènement, plant Jospin ein "Ministerium für Innere Sicherheit", das außerhalb des Innenministeriums angesiedelt ist.
Und Chirac? Nun, das Programm des Neogaullisten in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik nimmt ohnehin so gut wie niemand ernst. Nicht nur, dass er die Steuern um glatte 33% senken will, er will auch die "soziale Ausgrenzung" verschärft bekämpft wissen. Seine Partei, der neogaullistische RPR, will zugleich auch noch die Militärausgaben um 30% erhöhen und bei 2,5% des Bruttoinlandsprodukts fixieren. Gleichzeitig sollen die Staatsdefizite nicht anwachsen.
Trotz seines realitätsfernen Programm kann Chirac zwei Vorteile gegenüber Jospin geltend machen. Erstens: Er kommt vor allem bei einer nicht politisierten Wählerschaft als politische Figur besser an, als der kalt und autoritär wirkende Technokrat Lionel Jospin. Chirac hat zwar keine inhaltliche Glaubwürdigkeit anzubieten, dafür aber seinen persönlichen "Enthusiasmus" — den Begriff benutzte er mehrfach anlässlich seiner Kandidaturerklärung. Und zweitens: Nicht Chirac, sondern Jospin hat viel an Unterstützung in den sozialen Unterschichten und im veränderungswilligen Teil der Gesellschaft zu verlieren. Ein wachsender Teil der Wählerschaft der großen Linksparteien wendet sich von der Regierungskoalition ab, wovon vor allem die KP betroffen ist. Bei der Wahl werden viele im ersten Wahlgang "für Arlette" stimmen und ungültig in der Stichwahl.

Bernhard Schmid (Paris)

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