SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 12

Frankreich

Kandidaturen auf der Linken

Die Kommunistische Partei triebt derzeit reichlich orientierungslos vor sich hin. Einst hatte sie mit ihrer Stragegie auf zwei längerfristige gesellschaftliche Transformationsperspektiven gesetzt: Ihre Anbindung an den "real existierenden Sozialismus", mit dem sie bis zum Zusammenbruch der UdSSR 1991 eng verbunden blieb, und das innenpolitische Bündnis mit der Sozialdemokratie. Letzteres hatte 1972 zum "Gemeinsamen Programm" und in den Jahren 1981—84 zur vorübergehenden Regierungskoalition geführt.
Beide historischen Perspektiven sind heute weggebrochen: Der Realsozialismus als "Modell" fällt aus, und die Regierungsbeteiligung kann heute niemand mehr ernsthaft als Beitrag zu einer tiefgreifenden Umgestaltung des Gesellschaftssystem präsentieren. Die Partei "öffnet" sich krampfhaft und auf unkoordinierte Weise zu allen Seiten, zur sozialdemokratischen Regierungspolitik wie auch zu verschiedenen sozialen Bewegungen, gegenüber denen sie sich früher oft sektiererisch verhalten hatte. Darin fehlt jedoch jegliche politische Kohärenz. Die Parteispitze versucht um jeden Preis nicht altmodisch "ewig gestrig" zu wirken, und läuft Pseudointellektuellen und modischen Trendsettern hinterher. Zuletzt hat sie den Ex-Werbemanager und Möchtegernintellektuellen Frédéric Beigbeder zum Berater ihres Präsidentschaftskandidaten Robert Hue ernannt. Beigbeder begründete sein Engagement in der Tageszeitung Le Parisien mit den Worten, er liebe "den Einsatz für eine verloren stehende Sache" als eine Art ästhetischer Herausforderung. Währenddessen ist die Basis zunehmend unzufrieden mit der faktischen Unterstützung der Regierungspolitik; 4—5% geben jedes Jahr ihre Mitgliedskarte zurück.
In den Vorwahlumfragen steht Hue derzeit zwischen 4,5 und höchstens 6%. Sollte die KP die 5%-Hürde nicht nehmen, stünde ihr nicht nur eine politische, sondern auch eine finanzielle Katastrophe bevor, da ihr die volle Rückerstattung der Wahlkampfkosten entginge. Den schnellen Untergang der KP zu prophezeien, ist dennoch fehl am Platze. Ihre — allerdings geschrumpfte — Basis bildet immer noch einen wichtigen Faktor, der aber Alterungserscheinungen ausgesetzt ist.
Links von der KP wächst somit der Spielraum für Kandidaturen auf der revolutionären Linken. Den Löwenanteil der Stimmen dürfte dabei die Kandidatin von LO (Lutte Ouvrière — "Arbeiterkampf"), Arlette Laguiller, einfahren. Mitte März hatte sie in den Vorwahlumfragen die 10%-Marke erreicht, und Libération berichtete am 21.März über die Sorgen, die dieses Phänomen in den Führungsetagen des regierenden Sozialistischen Partei hervorrufe.
Trotz eines simplen Diskurses, der viele gesellschaftliche Widerspruchsfelder außer Acht lässt und auf einen starken Subjektivismus setzt, konnte Laguiller eine wachsende Anziehungskraft auf ehemalige Wähler der großen Linksparteien entfalten. Hauptgrund dafür ist die Schwäche des aktuellen KP-Diskurses: Die Spitze der Partei von Robert Hue ist dermaßen orientierungslos geworden, dass sie im Herbst 2001 wochenlang nicht klar auszudrücken wusste, ob sie nun für oder gegen die Bombardierungen der USA im Mittleren Osten eintrat. Bereits bei der Präsidentschaftswahl 1995 konnte "Arlette", die als einzige Politikerin vom Publikum spontan bei ihrem Vornamen genannt wird, stattliche 5,3% der Stimmen erzielen. Anlässlich der Regionalparlamentswahl 1998 (LO erhielt damals 4,7%) wurde errechnet, 40% dieses Potenzials bestünde aus ehemaligen KP-Anhängern und weitere 40% aus ehemaligen Nichtwählern. Heute scheint der Anteil ehemaliger Wähler der etablierten Linken stark im Steigen zu sein. 15% der KP- und 10% der SP-Wählerinnen und Wähler von 1997 wollen nach aktuellen Studien dieses Mal für "Arlette" stimmen. 1974 trat Laguiller erstmals zur Wahl des Staatschefs an, ist sie heute die dienstälteste Präsidentschaftskandidatin.
Daneben fällt es der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), die der IV. Internationale angehört, im Moment schwerer, neben dem wahlpolitischen Schwergewicht "Arlette" einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Zumal die LCR soeben einen Generationswechsel hinter sich hat: Ihr Sprecher und vorheriger zweifacher Präsidentschaftskandidat (1969 und 1974) Alain Krivine wollte nicht zur diesjährigen Präsidentschaftswahl antreten. Seiner Ansicht nach sei die Zeit reif für einen Generationswechsel, und es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Debatte auf der radikalen Linken werde "unter den 60- Jährigen Arlette und Alain" ausgetragen. Daher wählte die LCR, nachdem LO ein Wahlbündnis abgelehnt hatte, den 27-jährigen Postangestellten Olivier Besancenot — Mitglied der linken Basisgewerkschaft SUD — zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Ihm wird allgemein zugestanden, in der politischen Sachdebatte gut abzuschneiden, er ist in sozialen Bewegungen — von Genua über Porto Alegre bis zu den viermonatigen Streiks bei McDonald‘s im vorigen Winter — präsent und verfügt über ein Programm, das wesentlich mehr gesellschaftliche Aspekte umfasst, als das LO-Programm. Doch natürlich ist er für das große Publikum bisher ein Unbekannter. Die LCR rechnet daher nach realistischen Schätzungen mit 1—2% der Stimmen. Längerfristig jedoch kann der Generationenwechsel sich nur positiv auswirken — denn nach ihrer diesjährigen fünften Präsidentschaftskandidatur dürfte auch das "Phänomen Arlette" abgenutzt sein.

Bernhard Schmid (Paris)

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