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Am gleichen Tag, an dem die Unterlagen zur Wahl des Vorsitzenden der RMT, einer englischen Eisenbahnergewerkschaft, verschickt wurden, wurde der
Kandidat der Gewerkschaftslinken, Rob Crow, von einem mit Eisenstangen bewaffneten Schlägertrupp bewusstlos geschlagen, sodass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Dem Anschlag ging eine groß angelegte Diffamierungskampagne gegen Crow voraus, die teilweise von der rechten Gewerkschaftsführung gesteuert wurde. Rob Crow selbst sieht
den Anschlag als Höhepunkt dieser Kampagne und als einen Versuch von Unternehmerseite seine Wahl zu verhindern.
Der Versuch schlug fehl. Am 14.Februar gab die RMT die Wahl von Crow zum Gewerkschaftsvorsitzenden bekannt. Über
12000 Stimmen entfielen dabei auf Crow und nur ca. 6500 auf die beiden rechten Gegenkandidaten. Die Wahl eines sich klar von Labour distanzierenden Kandidaten auf einen solchen Posten ist
eine bedeutende Entwicklung innerhalb der englischen Gewerkschaftsbewegung. Nach Mark Servotka, der zum Vorsitzenden der Gewerkschaft PCS gewählt wurde, ist Crow erst der
zweite unabhängige Sozialist dem dies gelungen ist. In der englischen Gewerkschaftsbewegung vollzieht sich derzeit eine Spaltung von der Labour Party, die bisher als der
"natürliche" Bündnispartner gesehen wurde. Dieser Spaltungsprozess hat eine historische Bedeutung: Schließlich waren die englischen Gewerkschaften einst die
treibende Kraft hinter der Gründung der Labour Party. Labour wurde als der politische Arm der Arbeiterbewegung gesehen und wird seitdem von den Gewerkschaften mitfinanziert.
Innerhalb der Labour Party waren bis in die späten 80er und frühen 90er Jahre die meisten politischen Strömungen und Initiativen der Arbeiterbewegung organisiert.
Der rechte Flügel und die Führungsspitze der Labour Party arbeitet seit Jahrzehnten daran dass zu verändern.
Linke und sozialistische Strömungen innerhalb von Labour wurden verfolgt und ihre Mitglieder, z.B. die der Militant-Tendenz, aus Labour ausgeschlossen. Unter Blairs Führung
wurde dann Clause IV aus dem Parteiprogramm entfernt. Clause IV sah unter anderem die "Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum" vor. Seitdem die
Regierung Blair an der Macht ist, führt sie die neoliberale Privatisierungskampagne der britischen Konservativen fort und übertrifft sie dabei noch. Zurzeit stehen unter anderem die
Flugsicherung und das Gesundheitssystem auf der Privatisierungsliste.
Diese Ereignisse führten dazu, dass immer mehr Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sich von Labour entfremdet
fühlten. Auf verschiedenen Gewerkschaftskongressen der jüngsten Zeit wurde die Überlegung erörtert, Gewerkschaftsgelder nicht mehr an Labour, sondern nur noch an
Organisationen die wirklich für die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern kämpfen, zu geben. Eine Kampagne die sich hierfür einsetzt, gewinnt immer mehr an
Unterstützung. Auch der Gedanke, eine neue und kämpferische Arbeiterpartei zu gründen wird diskutiert. Die englische Gewerkschaftsführung lehnte einen solchen
Schritt ab. Sie ist mehr an ihrem Einkommen und ihren guten Beziehungen zu englischen Unternehmerverbänden interessiert, als an kämpferischen Gewerkschaftsorganisationen.
Inzwischen fasste auch der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands TUC, John Monks, eine Abspaltung der Gewerkschaften von Labour ins Auge. Er sieht aber eher die englischen
Liberalen und sogar die Konservativen als potenzielle Bündnispartner, anstatt an der Bildung einer neuen Arbeiterpartei mitzuwirken.
Diese Debatten gehen einher mit einer steigenden Kampfbereitschaft an der Gewerkschaftsbasis. Seit einigen Monaten geht eine
Welle von Arbeitskämpfen und Streiks durch England. Viele dieser Streiks richten sich gegen die neuesten Privatisierungsvorhaben der Regierung Blair und sind somit durchaus
politischen Charakters. Zu nennen wären die Streiks der Londoner U-Bahn-Arbeiter, die sich gegen die Privatisierung des U-Bahn-Netzes richten, die zahlreichen Streiks gegen die
Privatisierung der Post sowie die Eisenbahnerstreiks im ganzen Land.
Die englischen Unternehmerverbände sind von dieser Entwicklung natürlich nicht begeistert. Sie befürchten
eine Rückkehr der militanten 70er Jahre und bereiten sich entsprechend vor. In den 70er Jahren ging eine massive Streikwelle durch England, die mit der heutigen zumindest bis zum
jetzigen Zeitpunkt nicht vergleichbar ist. Sie ging den Streiks der Minenarbeiter in den 80er Jahren voraus, die sich gegen die Zechenstilllegungen der Thatcher-Regierung richteten, wobei es
teilweise zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und der Polizei kam.
Die Unternehmerverbände in Großbritannien gehen wie damals auf Konfrontationskurs. Während John
Monks die Unternehmerverbände in einer Pressemitteilung geradezu um ein partnerschaftlicheres Diskussionsverhältnis anfleht, haben diese längst eine weitere
Antigewerkschaftskampagne gestartet. Beim EU-Gipfel in Barcelona versuchte der Unternehmerverband CBI zu verhindern, dass Kurzzeitbeschäftigte dieselben Rechte wie
Normalbeschäftigte bekommen. Wäre der Verband erfolgreich, würde dies eine weitere Verschlechterung von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten bedeuten, da eine
zunehmende Zahl von Arbeiterinnen und Arbeitern auf Kurzzeitbasis arbeitet. Dieses Vorhaben gelang der CBI nach eigenen Angaben jedoch nur unzureichend, der Verband will die Kampagne
jedoch fortführen, um die EU und England von "Bürokratismus" und "Unternehmerfeindlichkeit" zu befreien. Wie sich die Gewerkschaften in den
kommenden Auseinandersetzungen mit Staat und Unternehmern schlagen werden, hängt auch davon ab, ob es ihren Mitgliedern gelingt, sich von Labour und der rechten
Gewerkschaftsspitze zu befreien.
Christian Bunke
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