SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 15

IWF und Weltbank in Afrika

Parteiische Schiedsrichter der Weltökonomie

Der US-amerikanische Ökonom Jeffreys Sachs von der Harvard-Universität sagte in seinem Beitrag am 3.Februar bei den Davos-Gesprächen in New York, "der ganze Diskurs des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Notwendigkeit, die Gürtel enger zu schnallen und ausgeglichene Staatshaushalte zu erreichen" sei "völlig sinnlos, wenn er auf Hunger und Elend hinausläuft". Wenig später spann der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel diesen Faden fort und erklärte: "Der IWF ist Gefangener seiner großen Aktionärsgruppen … und die USA sind sein größter Kapitalgeber." Beide Erklärungen fallen ins Gewicht in einem Kontext, in dem alle Interventionen dieser Institution mehr und mehr in Frage gestellt werden.
Der Fall Argentinien, der seit einigen Wochen von sich reden macht, ist nur der Baum, der den Wald verbirgt. So wie gestern der Fall Chile das Scheitern der mit Pauken und Trompeten gefeierten Liberalisierung der Institutionen von Bretton Woods im hellen Tageslicht zeigte.
Die Kapitalvertreter hätten in Davos gerne ihre alte Leier wiederholt, es sei ihnen daran gelegen, die Armut zu bekämpfen. Doch solche Absichten, die nie den Sprung vom Wort zur Tat schaffen, sind wenig glaubwürdig. Vielleicht gerade deshalb ist der Gegengipfel von Porto Alegre mit seiner verstärkten Resonanz von so großer Bedeutung: als Reaktion auf eine Scheinheiligkeit, die ihre wahren Namen und Adressen verbirgt.
Die jeweiligen Repräsentanten des IWF und der Weltbank in Yaoundé in Kamerun, die Herren Werner C. Keller und Madani M. Tall, veröffentlichten in der dortigen Presse am 23.Januar eine gemeinsame Erklärung zum Problem der Armut.
Diese beiden Experten des Kapitalismus wollten anscheinend erstens zeigen, dass angesichts der gewichtigen Konsequenzen der Anschläge vom 11.September "die internationale Gemeinschaft alle Anstrengungen unternimmt und sich zusammenschließt, um die Armut zu bekämpfen und ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum zugunsten der armen Länder zu fördern", zweitens inwiefern IWF und Weltbank deshalb "einen neuen Kurs beschlossen" hätten, "um den Ländern im Kampf gegen die Armut zur Seite zu stehen", und drittens wie die Regierung von Kamerun in völliger Übereinstimmung mit dieser neuen Linie Politik entwickelt, insbesondere durch Ausarbeitung eines Strategiepapiers zur Verringerung der Armut.
Wie dem auch sei, IWF und Weltbank schwören nach den Worten ihrer beiden Repräsentanten, ihre neue Herangehensweise ziele "insbesondere darauf ab, die Geschicke all derer zu verbessern, die mit weniger als einem Dollar pro Tag ums Überleben kämpfen". Und darum sei "eine Kampagne gestartet worden, um Druck auf die Industrieländer auszuüben, damit sie ihre Märkte für die Exportwaren der armen Länder öffnen und ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe gemessen am aktuellen Stand beträchtlich erhöhen".
Was haben die Grenzen damit zu tun?
An die Adresse der genannten beiden Herren schrieb der Kameruner Wirtschaftsjournalist Jean-Baptiste Sipa dazu: "Wenn es mir erlaubt wäre, würde ich diesen Leuten, die niemand gewählt hat und die unsere Wirtschaftspolitik an Stelle unserer eigenen Führungen machen und erläutern, antworten, dass die Öffnung der Grenzen der Industrieländer bereits säkulare Tatsache ist und doch die armen Länder nie davor bewahrt hat, immer ärmer zu werden. So wenig übrigens wie die an Bedingungen geknüpfte bilateral abgewickelte Entwicklungshilfe. Beides hat vielmehr zusammengewirkt, um unsere Länder zu verarmen." Kann etwas klarer sein?
IWF und Weltbank müssten demnach ihre Anstrengungen wohl zuerst darauf richten, den Industrieländern zu erklären, dass die Rohstoffe der armen Länder (Baumwolle, Kaffee, Kakao, Gummi, Bananen, Palmöl usw.), für die ihre Grenzen seit Jahrhunderten offen sind, den Löwenanteil der Produktion dieser Länder ausmachen. Sie wären zweifellos über Nacht nicht mehr arm, wenn man ihnen gestattete, den Verkaufspreis ihrer Exporte selbst zu bestimmen, nach dem Maßstab ihrer realen Produktionskosten zuzüglich eines Minimums an Gewinn, den jeder Marktgesetzen unterworfene ökonomische Akt nun einmal abwerfen muss.
Diese Länder — und Kamerun ist hierfür ein gutes Beispiel — werden gezwungen, Dinge, die sie nicht selbst verbrauchen, die für die Industrieländer aber lebensnotwendig sind, mit Verlust zu produzieren. Da ihre Bauern mehr für ihre Produktion ausgeben als sie bei ihrem Verkauf gewinnen, sind sie also permanent defizitär. Sie können dabei nur arm werden.
Über die Ungerechtigkeit hinaus, die darin besteht, dass die Industrieländer ihre Importprodukte unter ihrem wirklichen Wert kaufen, schaffen diese Spekulantennester zusätzlich Handelsbedingungen, die sogar noch die Gesetze des Wettbewerbs gegen die Rohstoffproduzenten drehen. Hier nämlich bestimmen nicht die Produzenten die Vertriebspreise, und Produktivität bringt nur noch Armut hervor, da die westlichen Handelshäuser Waren auf Halde legen, um die Preise nach unten zu drücken.
Hieraus ergibt sich ganz klar, dass die armen Ländern, von denen die Rede ist und die dieselben Länder sind, die die Rohstoffe und Feldfrüchte produzieren, für Gotteslohn zugunsten des industrialisierten Nordens arbeiten. Um so mehr, als sie, da sie sich nicht selbst industrialisieren können, gezwungen sind — allein schon, um sich ernähren zu können —, industrielle Produkte aus dem Norden zu immer höheren Preisen zu importieren.
Die Rolle eines Landes wie Kamerun in der globalisierten Weltwirtschaft ist also die eines Reservoirs an Rohstoffen und eines Auffangbeckens für Industrieprodukte (und industrielle Abfälle).

Woher kommt die Armut?

Ein simples Rechenexempel erlaubt, die Ursachen dieses Übels aufzuklären, höhere Mathematik ist nicht erforderlich:
Wenn z.B. ein Bauer in einem Dorf in Kamerun 2,86 Euro für die Produktion von einem Kilo Kakao ausgibt, das ihm für 0,71 Euro abgekauft wird, wieviel hat er dann verloren? Und wenn er gleichzeitig für einen Liter Palmöl 1,71 Euro und für eine Schachtel Fieber senkender Tabletten zwischen 4,28 und 7,14 Euro ausgeben muss, wieviel wird er sich leihen müssen, um Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten oder einfach zu überleben?
Die Antwort auf diese Frage zeigt, dass die Ungerechtigkeit der Handelsbedingungen heutzutage die Hauptursache der Armut ist. Hinzu kommt ein zweiter Faktor, von dem die Außenschuld (wie auch die innere Verschuldung) nur eine der Auswirkungen ist, nämlich die massive Abschöpfung der Entwicklungshilfegelder durch das Führungspersonal und die hohe Beamtenschaft sowohl der Nehmer- wie der sog. Geberländer sowie durch alle diese Funktionäre der multilateralen internationalen Organisationen, deren wohlbezahlte Spezialistentätigkeit einen bedeutenden Teil der Hilfsfonds verschlingt.
Der von IWF und Weltbank proklamierte Wille zu helfen, die Armut in den besonders verschuldeten (besser: den besonders stark ausgebeuteten) Ländern zu bekämpfen, steht in krassem Widerspruch zu den von denselben Organisationen aufgezwungenen Strukturanpassungsplänen, die nur die Fähigkeit der armen Länder stärken sollen, dem Wachstum der kapitalistischen Ökonomie noch besser zu dienen, zulasten einer Politik der eigenen Entwicklung, die ihnen erlauben würde, ihren eigenen Reichtum zu produzieren.
In der gleichen Zeit, in der sie die protektionistischen Schutzmechanismen der zarten Pflänzchen der heimischen Industrie zertrümmern und die subventionierten Produkte aus den Industrieländern den heimischen bereits Konkurrenz machen, behaupten sie, Grenzen für die Produkte der armen Länder zu öffnen, die aber in den reichen Ländern nicht konkurrenzfähig sind. Ein Kilo US-amerikanischer Mais ist in Kamerun billiger als ein Kilo einheimischer Mais. Nicht nur, weil man an der Grenze nicht beliebig hohe Einfuhrzölle verlangen kann, sondern auch, weil der Maisanbau in den USA subventioniert wird. Wenn die Grenzen der USA für Mais aus Kamerun geöffnet würden, wie könnte ein Kameruner — auch bei gleicher Qualität des Produkts — Gewinne damit erzielen, Mais aus Kamerun in Texas zu verkaufen? Wieviel weniger noch, wenn dieser Kameruner zuerst ein Halbfertigprodukt wie Mehl herstellen müsste, bevor er exportieren kann!
Wenn die sog. armen Länder alle Güter ihres täglichen Verbrauchs aus Europa importieren wollten, was ihnen die von IWF und Weltbank heiß geliebte Liberalisierung der Märkte so sehr ans Herz legt, was könnten sie denn z.B. in die EU-Länder exportieren, wenn nicht die Rohstoffe und Agrarprodukte, deren Preisgestaltung ihnen aus der Hand genommen ist?
Die illustren Experten der Institutionen von Bretton Woods und ihre Geldgeber aus der kapitalistischen und "zivilisierten" Welt müssen das Scheitern ihrer im Sinne der vorgeblichen Ziele ungeeigneten Strukturanpassungspläne eingestehen, die die Abhängigkeit und Armut der Länder, in denen sie umgesetzt wurden, nur verstärkt haben.
Es ist Zeit, über andere und gerechtere Modelle zum Wohl der Menschheit nachzudenken. Das wäre dann wohl auch ein großer Schritt nach vorn im Kampf gegen den "internationalen Terrorismus".

Venant Adoville Saague

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