SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 1

Kriegsziel Vertreibung?

Israels Krieg gegen die Palästinenser eskaliert

Sharon versucht mit militärischer Gewalt, Bush mit diplomatischen Manövern, den Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Besatzung und Ausgrenzung der arabischen Bevölkerung zu zerstören. Doch wie schon die Römer am Gallischen Dorf, scheitern die beiden voraussichtlich am hartnäckigen Widerstandswillen der palästinensischen Bevölkerung.
Kofi Annan bezeichnete die militärische Besatzung der 1967 eroberten Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen jüngst als "illegal". Seit 1967 hat die UNO-Generalversammlung mehrfach erfolglos Israel aufgefordert, die dem internationalen Völkerrecht widersprechende Besatzung bedingungslos aufzuheben. Ganz im Widerspruch zu diesen Beschlüssen steht das Verhalten Israels und der USA.
Israel wie auch jetzt der ehemalige US-General Zinni und US-Vizepräsident Cheney versuchen, den Rückzug mit zahlreichen Bedingungen zu verbinden. Arafat soll die antiisraelische Berichterstattung in den palästinensischen Medien verbieten, die illegalen Waffen einsammeln und die Bewegungsfreiheit von verdächtigen Personen einschränken, damit sich Israel aus den autonomen Städten zurückzieht und die Belagerungsringe um einige Meter vergrößert — so jedenfalls Teile des Tenet-Plans.
Die laufenden, sog. Friedensbemühungen der USA lassen befürchten, dass die USA die Regierung Sharon unterstützt, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und Arafat international weiter zu isolieren sowie eine weitere umfassende israelische Militäroperation zur Zerstörung der PA und gegen den palästinensischen Widerstand propagandistisch vorzubereiten. Sharon nennt Arafat "Bin Laden" und die PA "Taliban". Mit dieser politischen Deutung hat er schon im Dezember von den USA die Erlaubnis erhalten, immer schärfer gegen die renitenten Palästinenser in den besetzten Gebieten vorzugehen.
Der Charakter der israelischen Militäroperationen zeigte sich am 12.März mit der bisher größten Militäroperation Israels seit dem Libanonkrieg. Bei der Besetzung von Ramallah und mehreren Flüchtlingslagern im Gazastreifen und Westjordanland schreckte die Armee nicht vor Massakern zurück. An einem Tag wurden in Ramallah 40 Personen getötet, am selben Tag waren es im Flüchtlingslager Jabaliya 30. Am Wochenende zuvor forderten die israelischen Militäroperationen über hundert Tote.
Die israelische Armee behindert auch die Notversorgung der Verletzten, greift Ambulanzfahrzeuge und medizinische Helfer an. Ärztevereinigungen in Israel berichten zudem, dass bei der militärischen Besetzung von Ramallah auch drei Spitäler aus Hubschraubern und Panzern beschossen und beschädigt wurden. Ebenso wurden internationale Journalisten angegriffen: Die Militäroperationen sollen ohne Medien ausgeführt werden. Ein Hotel mit 40 Journalisten in Ramallah wurde noch vor der Invasion beschossen. Am Mittwoch morgen wurde der italienische Journalist Raffaele Ciriello aus einem Panzer erschossen.
Laut Flüchtlingshilfswerk der UNO hat die israelische Armee bei den militärischen Überfällen auf vier Flüchtlingslager in wenigen Tagen 1650 palästinensische Wohnhäuser zerstört oder beschädigt. Verschiedene anwesende Journalisten berichteten, wie israelische Soldaten die Möbel und Kleider von Familien willkürlich zerstörten.
Bei militärischen Überfällen auf die Flüchtlingslager wurden fast 2000 Männer verhaftet. Die Betroffenen wurden auf zentralen Plätzen der Flüchtlingslager zusammengetrieben, mit Augenbinden gefesselt und je nach politischer Zugehörigkeit mit roten (für die PFLP) und schwarzen (für Fatah) Binden gekennzeichnet. Der israelische Knessetabgeordnete Lapid empörte sich darüber, dass die Gefangenen wie in den Nazi-KZs mit blauen Nummern auf ihren Armen und Stirnen markiert wurden.
Mit Unterstützung der USA wiederholt Sharon die Politik von 1948 und 1967. Seine Absicht ist nicht nur die militärische Rückeroberung der besetzten Gebiete. Sein Vorgehen deutet auch darauf hin, dass er die palästinensische Bevölkerung aus den besetzten Gebieten vertreiben möchte. Die rassistische Stimmung machende Politik von ihm und seinen Vorgängern führte bereits dazu, dass laut Umfrageergebnissen 46% der israelischen Bevölkerung für die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen sind. 31% wollen auch alle Araber, mit oder ohne israelischen Pass aus Israel "transferieren".
Das Vorgehen der israelischen Armee tritt alle Vereinbarungen über Menschenrechte und die Genfer Konvention (zum Schutz der Zivilbevölkerung) mit Füßen. Doch das scheint die internationale Presse nicht zu interessieren. Während sie detailliert über die Auswirkungen und Opfer der Selbstmordattentate in Israel berichtet, werden die Opfer auf palästinensischer Seite immer nur an zweiter Stelle erwähnt.
Hoffnung macht die fast tot geglaubte Friedenbewegung in Israel. Zusammen mit der ansteigenden Zahl von Militärdienstverweigerern wendet sie sich immer konsequenter und unabhängiger gegen die Besatzungspolitik und fordert das Ende der Besatzung. Auch die 80000 Menschen Anfang März in Rom, die gegen das militärische Vorgehen Israels protestierten und den sofortigen und bedingungslosen Rückzug verlangten, machen Hoffnung, dass die Solidaritätsblockade in Europa endlich überwunden werden kann.
Das Ende der Besatzung ist die Voraussetzung für jede Friedenslösung in Palästina. Doch wie wird ein Palästina ohne Mauern, Ausgrenzung und Vertreibung möglich? Die Frage muss von der Linken beantwortet werden. Welche Lebensgrundlage erhält die palästinensische Bevölkerung in einem palästinensischen Staat der Westbank und dem Gazastreifen? Sind die Grenzen zu Israel offen für Handel und Arbeit oder — wie in den Plänen der Regierung — von einer Mauer oder einem Zaun abgetrennt? Was passiert mit den palästinensischen Flüchtlingen? Wie wird ihr völkerrechtlich anerkanntes Recht auf Rückkehr auch nach Israel umgesetzt? Was geschieht mit der multinationalen Gesellschaft in Israel? Welche Rechte haben die große arabische Bevölkerungsminderheit, die zahlreiche nichtreligiöse russische Emigration oder die arabischen Jüdinnen? Der Weg zu einem gerechten Frieden in Palästina wird schwierig und fordert grundlegende Visionen einer gerechten Gesellschaft, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Religion, Nationalität oder ihrem Geschlecht frei und selbstbestimmt leben und sich bewegen können.

Urs Diethelm

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