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Die SoZ hat vor einiger Zeit (SoZ 18/2001) bereits Auszüge aus dem neuen Buch des aus Indien stammenden und seit langem in Deutschland lebenden
Saral Sarkar veröffentlicht.
Es ist unter dem Titel Die nachhaltige Gesellschaft eine kritische Analyse der Systemalternativen im Schweizer
Rotpunktverlag erschienen. Der deutsche Titel zielt auf Leser und Leserinnen der aktuellen Variante der "Ökologie-Bewegung", auf an einer modischen Diskussion um den
"Nachhaltigkeitsbegriff" Interessierte, auf Aktive der in zahllose Einzelproteste zurück entwickelten Widerstandsbewegung gegen die fortschreitende Umweltzerstörung
und nicht zuletzt auf die vielen mit konkreter Umweltpolitik Beschäftigten in Regierungen, Behörden, Parteien und Gewerkschaften. Der englische Originaltitel Eco-Socialism or
Eco-Capitalism liegt näher an dem, worum es Sarkar geht: eine kritische Bestandsaufnahme der Linken vor dem Hintergrund des Scheiterns der sozialistischen Großversuche in der
UdSSR und Osteuropa und der vielen sich daran orientierenden Gruppen und Parteien sowie auch des Scheiterns der realpolitischen Verbrüderung von "Sozialismus" und
"Ökologismus" in Form von Grünen und ähnlichen Parteien und Organisationen.
In zwei langen Kapiteln untermauert Sarkar seine These, dass die "real-sozialistischen" Länder an den
gleichen Problemen zu Grunde gegangen sind, an denen der kapitalistische Westen noch nicht gescheitert ist: den Grenzen des wirtschaftlichen, Ressourcen verschlingenden Wachstums. Der
besondere Grund, warum ausgerechnet die zentral-planwirtschaftlichen Gesellschaften zuerst untergingen, liegt Sarkar zu Folge am Verlust jeglichen moralischen Wachstums. Stattdessen
hätte sich eine quasi feudalistische "neue Klasse" an die Macht gebracht und das Volk erfolgreich dumm und opportunistisch gehalten.
In den folgenden Kapiteln bilanziert Sarkar die reale Entwicklung in den kapitalistischen Ländern als ebenso wenig
erfolgreich. Die kapitalistische Produktion sei grundsätzlich auf nichtrückholbaren Verbrauch von Ressourcen aufgebaut. Sämtliche den Kapitalismus von seinen
ökologischen Sünden befreiende Reformstrategien seien zum Scheitern verurteilt. Das reiche von der "Ökologisierung der Marktbeziehungen", über
ökologische Steuerreformen bis zu Theorien eines Kapitalismus ohne Wachstum. Sie alle ignorieren die gesetzmäßige Zerstörung der Lebensgrundlagen durch die auf
"Wachstum" orientierten Wirtschaftsweisen oder würden sich zwangsläufig immer wieder dem Wachstumszwang unterwerfen. "Nachhaltigkeit",
"Suffizienz- und Effizienz-Revolution", regenerative Energien und all die schönen Mode- und Zauberbegriffe der heutigen Ökologiebewegung wären deshalb im
besten Falle Ideenlieferanten, wie das eine oder andere besser gemacht werden könnte, aber böten keine grundsätzliche Lösung.
Die absolute Begrenztheit des Wachstums ist für Sarkar ein unumstößliches Gesetz. Er bedient sich zur
Untermauerung nicht gerade subtil ausgesuchter Zeugen. So ist für ihn Malthus und sein Gesetz, dass die Nahrungsmittelproduktion immer langsamer steigen wird als die Zahl der
Bevölkerung, unumstritten. Mit Linken, die Malthus und die daraus abgeleiteten bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahmen kritisieren, wird er schnell fertig, in dem er sagt,
man müsse die malthusianischen Erkenntnisse demokratisch und ökosozialistisch anwenden und nicht diktatorisch.
Ebenso kaum hinterfragt werden die bürgerlichen konservativen Apokalyptiker, vom Club of Rome oder ähnlichen
Strukturen, die vor allem in den 70er Jahren, aber durchaus auch noch heute, ein absolutes Wachstumsende nach dem anderen diagnostizieren.
Zu guter Letzt ist auch Sarkar ein begeisterter Anhänger der Anwendung des Entropie-Gesetzes auf gesellschaftliche
Untersuchungen. Alle menschliche Produktion, die auf Wachstum aus ist, müsse zwangsweise zur Entropie-Steigerung beitragen und damit den Zustand der für jegliches Leben
unverzichtbaren geordneten Ungleichverteilung aller Ressourcen in Richtung einer alles abtötenden ungeordneten Gleichverteilung aufheben. Die besonders in den frühen 80er
Jahren viel diskutierten Texte von Georgescu-Roegen und anderen sind für Sarkar heute brandaktuelle Theorien.
Als Schlussfolgerung bleibt für Sarkar nur noch ein zentrales Anliegen: eine ökosozialistische Bewegung
müsse sich heute in erster Linie um ein Konzept der "geplanten Schrumpfung" aller industriellen Wirtschaften aufbauen. Der Lebensstandard müsse generell niedriger
werden. Damit dies aber zu einer Steigerung des Glücksgefühls beitrage, werde zu aller erst ein moralisches Wachstum erforderlich. Diese zwei Komponenten geplante
Reduzierung und ideologische Mobilmachung sind die zwei Stützpfeiler der ökosozialistischen Bewegung, die als Bewegung von unten beginnen wird, aber zu
Regierungsübernahmen und einem "starken Staat" dieser neuen Vernunft vor allem in den dominierenden reichen Teilen der Welt führen müsse.
Alle emanzipatorischen Bewegungen, die Gewerkschaftsbewegung, die Menschenrechtsbewegung, die Frauenbewegung, die
Ökologiebewegung und die Bauernbewegung bekämen nur Sinn, wenn sie sich in eine solche ökosozialistische Bewegung einreihen. Und umgekehrt müsse die
ökosozialistische Bewegung die elementaren Inhalte der anderen aufgreifen. Nötig sei ein Programm der kleinräumigen, arbeitsintensiven und verbrauchsarmen Produktion.
Sarkar grenzt sich vehement von klerikalen, faschistischen und menschenfeindlichen Verzichtspropheten ab. Er kritisiert ebenso
die heute so beliebten Differenztheorien und Forderungen nach "Respekt gegenüber allen Kulturen". Er bleibt klassisch ganzheitlich, global und letztlich in dieser Frage
marxistisch. Ansonsten konstruiert er jedoch einen gewaltigen Traum einer Welt umspannenden Aufklärungsbewegung und die Schaffung einer moralischen Elite, die völlig
klassenunspezifisch zusammengesetzt sein wird. Er entlehnt sein "Revolutionsmodell" der Revolution der Engagierten gegen die Gleichgültigen vor allem bei rigiden
Umwelttheoretikern wie Lester Brown vom World-Watch-Institut.
Es bleibt zu befürchten, dass dieser Traum im realen Konflikt von Klassenauseinandersetzungen, von sozialen Revolten
und Machtkämpfen schnell zu einem Alptraum werden kann, weil die "Engagierten" sich plötzlich in gegenüber stehenden Lagern für angeblich ein und die
selbe Sache wiederfinden. Der Ökosozialismus wird entweder Ergebnis solcher Kämpfe gegen die Verhältnisse in der realen Welt sein oder gar nicht. Eine
Erweckungsbewegung im Stile Ghandis kann diese Perspektive nicht ersetzen.
Thies Gleiss
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