SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 22

Schmeiß Hirn hinab

Schon zweimal haben wir uns an dieser Stelle mit dem ideologischen Vehikel beschäftigt, mit dem einer der letzten maostalinistischen Organisationsversuche, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), seit Jahren hartnäckig versucht, die Buckelpiste des realen Kapitalismus herunter zu kommen. Die "proletarische Denkweise", die entdeckt zu haben, sich der Parteivorsitzende Stefan Engel unermüdlich an die Brust heftet, stellt ihren Usern aber immer wieder hübsche Fallen.
Wir haben bereits die Verwandlung dieser "Denkweise" in eine schnöde Disziplinierungspeitsche beschrieben, wenn es um innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten geht. Meinungsvielfalt und Meinungsgruppen innerhalb einer Partei oder auch innerhalb einer breiter verstandenen Linken als "Kampf zweier Linien" und als Defizit der jeweils anderen Meinung an "proletarischer Denkweise" zu brandmarken, führt schnurstracks zu den altbekannten Formen des Bürokratismus und der Erziehungsdiktatur, deren sich die MLPD schuldig macht, solange es sie gibt. Der tiefe Glauben, dass die "proletarische Denkweise" ein objektives Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte ist, und lediglich durch den Müll "nichtproletarischer Denkweisen" zugeschüttet wird, impliziert gleichzeitig einen mechanistischen Fortschrittsglauben, der seine Geburtsstunde sicher nicht am Schreibtisch des Genossen Engel, sondern in den idealistischen Konstruktionen der Aufklärung aus der Zeit vor (Friedrich) Engels hat.
Als wir die Freunde der MLPD deshalb jüngst darauf hinwiesen, dass ihre Begrüßung der Prä- Implantations-Diagnostik (PID) als sensationelle Bereicherung der Rechte der Frauen (so könnte zum Beispiel eine Frau ihre künstliche Befruchtung danach aussuchen, ob das neue Kind auch viele Anlagen zur "proletarischen Denkweise" mitbringt…), den tatsächlichen Charakter dieses "Fortschritts" vergisst, mussten wir uns in der Roten Fahne gleich doppelt die Todesstrafe abholen: "trotzkistische" Zeitung verherrlicht "Katholizismus".
Aber wir atmen noch und durften deshalb einen MLPD-Artikel von Christoph Klug zur Kenntnis nehmen, der sich mit den neuesten Ergebnissen der Hirnforschung beschäftigt. Darin wird das Buch von Professor Gerald Hüther, Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, überaus lobend besprochen. Es ist eine Studie, die neurobiologische Argumente zuhauf liefert, dass der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist und sein Gehirn im Laufe der Evolution immer mehr zu einem "frei programmierbaren" Ensemble von Zellen und Botenstoffen wurde. Das "Lernen durch Gene, das viele Millionen Jahre Schrittmacher unserer Höherentwicklung war, verlor seine bisherige Bedeutung. Erlerntes und Zweckmäßiges wurden von nun an durch Sprache, Kultur, Gewohnheiten, Sitten, Moral usw. an folgende Generationen übermittelt."
Das ist schön, dass die MLPD naturwissenschaftliche Bestätigung der materialistischen Dialektik ähnlich überzeugend findet wie wir auch. Wundern tut uns daher zunächst, warum die MLPD die gentechnischen Fantasien einer anderen, viel weniger materialistischen Wissenschaftsdisziplin so hoch jubelt. Und es kommt noch schöner: Genosse Klug verpasst dem neurobiologischen Professor gleich noch einen idealistischen Tsukahara. Um sich nämlich tatsächlich zu befreien, müssen "die Individuen mit der Wirkung des gesellschaftlichen Systems der kleinbürgerlichen Denkweise, insbesondere mit dem modernen Antikommunismus fertig werden". "In der Sprache der Hirnforscher ausgedrückt würde sich das so lesen: weil der Mensch lebenslang bewusst neue und dauerhafte Verknüpfungen in seiner Großhirnrinde schaffen kann, kann er auch mit der kleinbürgerlichen Denkweise fertig werden."
Ja, ja, so wird die gesellschaftliche Evolution des Menschen und die Nutzung der Großhirnrinde zu einem Kampf zweier Linien, der sich letztlich in jeder einzelnen Hirnschale abspielt. Am Anfang steht dann das gesunde Ideen-Implantat, zu deren Mehrung die MLPD angetreten ist. Die "kleinbürgerliche Denkweise" als Feind der "proletarischen" ist, so Christoph Klug, in den Sätzen "Das schafft ihr nie. Zu so etwas sind die Menschen nicht in der Lage" beispielhaft illustriert. Als notorische Feinde aller "Hoch-Kampf-Weg-mit-Stopp-den-für-den-Sieg"-Forderungen wünschen wir an dieser Stelle aber doch einmal eindringlich: Für den Sieg der kleinbürgerlichen Denkweise in der MLPD!

Thies Gleiss

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