SoZ Sozialistische Zeitung |
Schon zweimal haben wir uns an dieser Stelle mit dem ideologischen Vehikel beschäftigt, mit dem einer der letzten maostalinistischen
Organisationsversuche, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), seit Jahren hartnäckig versucht, die Buckelpiste des realen Kapitalismus herunter zu kommen. Die
"proletarische Denkweise", die entdeckt zu haben, sich der Parteivorsitzende Stefan Engel unermüdlich an die Brust heftet, stellt ihren Usern aber immer wieder
hübsche Fallen.
Wir haben bereits die Verwandlung dieser "Denkweise" in eine schnöde Disziplinierungspeitsche
beschrieben, wenn es um innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten geht. Meinungsvielfalt und Meinungsgruppen innerhalb einer Partei oder auch innerhalb einer breiter verstandenen Linken
als "Kampf zweier Linien" und als Defizit der jeweils anderen Meinung an "proletarischer Denkweise" zu brandmarken, führt schnurstracks zu den altbekannten
Formen des Bürokratismus und der Erziehungsdiktatur, deren sich die MLPD schuldig macht, solange es sie gibt. Der tiefe Glauben, dass die "proletarische Denkweise" ein
objektives Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte ist, und lediglich durch den Müll "nichtproletarischer Denkweisen" zugeschüttet wird, impliziert
gleichzeitig einen mechanistischen Fortschrittsglauben, der seine Geburtsstunde sicher nicht am Schreibtisch des Genossen Engel, sondern in den idealistischen Konstruktionen der
Aufklärung aus der Zeit vor (Friedrich) Engels hat.
Als wir die Freunde der MLPD deshalb jüngst darauf hinwiesen, dass ihre Begrüßung der Prä-
Implantations-Diagnostik (PID) als sensationelle Bereicherung der Rechte der Frauen (so könnte zum Beispiel eine Frau ihre künstliche Befruchtung danach aussuchen, ob das neue
Kind auch viele Anlagen zur "proletarischen Denkweise" mitbringt…), den tatsächlichen Charakter dieses "Fortschritts" vergisst, mussten wir uns in der Roten
Fahne gleich doppelt die Todesstrafe abholen: "trotzkistische" Zeitung verherrlicht "Katholizismus".
Aber wir atmen noch und durften deshalb einen MLPD-Artikel von Christoph Klug zur Kenntnis nehmen, der sich mit den
neuesten Ergebnissen der Hirnforschung beschäftigt. Darin wird das Buch von Professor Gerald Hüther, Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, überaus
lobend besprochen. Es ist eine Studie, die neurobiologische Argumente zuhauf liefert, dass der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist und sein Gehirn im Laufe der Evolution immer mehr zu
einem "frei programmierbaren" Ensemble von Zellen und Botenstoffen wurde. Das "Lernen durch Gene, das viele Millionen Jahre Schrittmacher unserer
Höherentwicklung war, verlor seine bisherige Bedeutung. Erlerntes und Zweckmäßiges wurden von nun an durch Sprache, Kultur, Gewohnheiten, Sitten, Moral usw. an
folgende Generationen übermittelt."
Das ist schön, dass die MLPD naturwissenschaftliche Bestätigung der materialistischen Dialektik ähnlich
überzeugend findet wie wir auch. Wundern tut uns daher zunächst, warum die MLPD die gentechnischen Fantasien einer anderen, viel weniger materialistischen
Wissenschaftsdisziplin so hoch jubelt. Und es kommt noch schöner: Genosse Klug verpasst dem neurobiologischen Professor gleich noch einen idealistischen Tsukahara. Um sich
nämlich tatsächlich zu befreien, müssen "die Individuen mit der Wirkung des gesellschaftlichen Systems der kleinbürgerlichen Denkweise, insbesondere mit dem
modernen Antikommunismus fertig werden". "In der Sprache der Hirnforscher ausgedrückt würde sich das so lesen: weil der Mensch lebenslang bewusst neue und
dauerhafte Verknüpfungen in seiner Großhirnrinde schaffen kann, kann er auch mit der kleinbürgerlichen Denkweise fertig werden."
Ja, ja, so wird die gesellschaftliche Evolution des Menschen und die Nutzung der Großhirnrinde zu einem Kampf zweier
Linien, der sich letztlich in jeder einzelnen Hirnschale abspielt. Am Anfang steht dann das gesunde Ideen-Implantat, zu deren Mehrung die MLPD angetreten ist. Die
"kleinbürgerliche Denkweise" als Feind der "proletarischen" ist, so Christoph Klug, in den Sätzen "Das schafft ihr nie. Zu so etwas sind die Menschen
nicht in der Lage" beispielhaft illustriert. Als notorische Feinde aller "Hoch-Kampf-Weg-mit-Stopp-den-für-den-Sieg"-Forderungen wünschen wir an dieser Stelle
aber doch einmal eindringlich: Für den Sieg der kleinbürgerlichen Denkweise in der MLPD!
Thies Gleiss
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04