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Über 100 Tage hält die Berliner Koalition aus SPD und PDS. Gründe sie jetzt schon wieder abzuwählen, gäbe es bereits
genug.
Unter den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, den Lehrern, Schülern, den ErzieherInnen in den
Kitas und den Eltern ist der Unmut und die Enttäuschung über "Rot-Rot" groß. An Demonstrationen gegen die Kürzungsmaßnahmen mangelt
es nicht: Den Anfang machte der öffentliche Dienst im Dezember letzten Jahres, dann die Schüler im Februar und März, zuletzt die Kita-Beschäftigten und die
Eltern mit 10000 Teilnehmenden an einem dreistündigen, von Ver.di und der GEW organisierten Warnstreik am 19.April.
Im Rahmen dieses Warnstreiks blieben 550 von 890 städtischen Einrichtungen geschlossen. Der Grund ist, dass der
Berliner Senat gemäß seinen neuen Kürzungsbeschlüssen 900 der 15000 Erzieherstellen streichen will, d.h. die Hortgruppen sollen vergrößert
werden. Die Forderung der Gewerkschaften lautet dagegen: eine tarifvertragliche Regelung der Arbeitsbedingungen in den Kindertagesstätten, um nicht der Willkür von
Senatsbeschlüssen ausgeliefert zu sein. Diese Forderung stammt bereits aus der Zeit des großen Kita-Streiks 1990. Auch damals gab es eine weiterverbreitete Streikstimmung,
doch die Gewerkschaftsspitzen bliesen die Mobilisierung ab, weil sie die weitere Konfrontation mit der damaligen SPD-Grünen-Koalition scheuten.
Es sieht so aus, als ob sich an dieser Konstellation nichts ändern wird, jedenfalls solange nicht, wie die
Gewerkschaftsspitzen bereit sind, der Logik des kleineren Übels zu folgen. Etwa die Vorsitzende von Ver.di Berlin, Susanne Stumpenhusen, wenn sie sagt: " Wir wollen die
SPD-PDS-Koalition nicht gefährden, eine CDU an der Macht wäre noch schlimmer."
Hinzu kommt, das die Gewerkschaftsspitzen zwar einerseits gegen die Kürzungen sind, andererseits zu dem allseits
geforderten "sparen, sparen" keine Alternative aufzeigen. Im Gegenteil, sie tragen die Logik des "sozialen Sparens" selbst mit, wenn sie sich an den Vor-
Verhandlungen für einen "Sozialpakt" beteiligen, dessen einziges Ziel es ist, die Kürzungsmaßnahmen von "Rot-Rot" abzusegnen: 250
Millionen Euro sollen im Jahr 2003, 500 Millionen Euro in den Folgejahren eingespart werden. Bereits jetzt ist klar, dass dabei 15000 der 140000 Stellen im öffentlichen Dienst
vernichtet werden ohne nennenswerte Kritik von Ver.di.
Das harmonische Duo Wowereit/Gysi hat mittlerweile hinlänglich bewiesen, dass es mit seiner Drohung ernst
macht zu sparen, "bis die Berliner quietschen" (Wowereit). Der Senat hat einen Haushalt für 2002/2003 beschlossen. Quer durch alle Ressorts und Bereiche werden die
Sachausgaben um 331 Millionen, und die Investitionsausgaben um 1,7 Mrd. Euro gekürzt. Die Sozialhilfe wird in diesem Jahr um 100 Millionen Euro und im kommenden Jahr um
150 Millionen Euro zusammengestrichen, im Kitabereich sind es 60 Millionen Euro.
Die Bezirke erhalten 2002 ca. 178 Millionen Euro und 2003 ca. 138 Millionen Euro weniger als 2001. In den Berliner
Bezirken existieren bereits Krisenpläne, um die Grundversorgung aufrecht zu erhalten, weil diese nicht mehr überall gewährleistet ist. Geld fehlt für die
Aufrechterhaltung von Klubs, Parks, Freizeiteinrichtungen; Schulen verkommen, Schlaglöcher werden nicht ausgebessert, Auszubildende können nur für sechs Monate
übernommen werden wegen der Stellenstreichungen in der Verwaltung.
Trotz dieser Kürzungsmaßnahmen reicht das Geld nicht, die Einnahmen sollen müssen noch durch
höhere Gebühren aufgebessert werden. Die Schließung und Privatisierung von zehn Bädern und die Erhöhung der Eintrittspreise ist mit Zustimmung der
Gewerkschaften bereits beschlossene Sache.
Der Senat, insbesondere Finanzsenator Thilo Sarrazin, lässt keinen Taschenspielertrick aus, um zu sagen: Den
abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Sozialhilfeempfängern und Schülern geht es immer noch zu gut, im Vergleich zu Hamburg, Köln, Hamburg und
München lägen die Ausgaben für Soziales höher und müssten deshalb gesenkt werden. Selbst der Berliner Presse fielen diese Tricks auf und das Gegenteil
wurde bewiesen: Sozialhilfebeziehende bekommen in Berlin durchschnittlich weniger als in besagten Städten, nämlich nur 285 Euro.
Etwa 270000 Menschen, 8% der Gesamtbevölkerung, leben gegenwärtig von Sozialhilfe, davon ein Drittel
Kinder und Jugendliche, über ein Viertel Ausländer und 11% alleinerziehende Mütter. Auch für die Bereiche Schulen, Wohnungsbau, Verkehr sind seine Zahlen
entweder falsch oder wenig aussagekräftig. Sarrazins "Benchmarking" folgt immer einer Spirale nach unten, da die Sozialausgaben ja auch in den anderen Städten
seit Jahren gekürzt werden. Von der Kritik ließ er sich jedoch wenig beirren.
Seine Maßnahmen sind auch nur ein Vorgeschmack auf das, was noch folgt, denn nach dem Haushaltsbeschluss
verkündete er: "Wir sind an die Grenze der systemimmanenten Einsparungen gelangt." Damit sei jedoch erst eine "sehr sehr kleine Scheibe erreicht", denn
in Berlin lägen die Ausgaben pro Kopf noch 43% über vergleichbaren Bundesländern. Wowereit legte nach und betonte, die eigentlichen Strukturmaßnahmen
müssten bis zur Haushaltsaufstellung 2004 in Angriff genommen werden. Gysi betonte für die PDS, sie stehe zu den Beschlüssen, die Berliner Bevölkerung sei
damit nicht überfordert.
Die Sparpolitik in Berlin soll angeblich dazu dienen, den Schuldenberg abzubauen. Dieser beläuft sich zur Zeit auf
40 Mrd. Euro und wird sich bis 2009 auf 50 Mrd. Euro auftürmen optimistisch gerechnet. Aufgrund der Risikoübernahme für die Bankgesellschaft und weiterer
Löcher, die bspw. die Schulden der Berliner Wohnungsbaugesellschaften reißen und die sich auf 10 Mrd. Euro belaufen, fällt er eher höher aus.
Das Wirtschaftswachstum ist im Keller und wird aufgrund der schwachen industriellen Basis auch niedrig bleiben. Unter
diesen Bedingungen ist ein ausgeglichener Haushalt ab 2006 (Zinsausgaben nicht gerechnet), wie der Senat es will, nur auf Kosten der abhängig Beschäftigten und Armen zu
haben.
Der Widerstand gegen die Senatspolitik ist zersplittert, es fehlt eine zusammenfassende Initiative für alle Bereiche,
die von der Kürzungspolitik betroffen sind. Druck für solch eine Initiative muss von den Betroffenen selbst kommen, eine große Vertreterversammlung
sämtlicher Bereiche wäre ein erster Schritt, um den Widerstand zusammenzufassen. Das könnte auch ein geeignetes Forum sein, um politische Alternativen zu
diskutieren.
Sascha Kimpel