SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 7

Metalltarifrunde

IG Metall knickt nicht ein

Am 19.April hätte alles gelaufen sein können. Der Vorstand der IG Metall und alle Bezirksleiter waren zusammengezogen worden, um ohne Verzögerung die Verhandlungsstände der Baden-Württemberger Kollegen beurteilen zu können, in der Annahme, die Beteiligung an den Warnstreiks seien für ein akzeptables Verhandlungsergebnis eindrucksvoll genug gewesen.
Die Bekanntgabe des 3,3%igen Abschlusses der IG BCE, von deren Tarifexperten Bischof auf 3,6% hochgerechnet, schien dann plötzlich den Spielraum der IG Metall für ein eigenständiges Ergebnis bei Lohn und Gehalt drastisch zusammenschmelzen zu lassen. Doch das Angebot des Arbeitgeberverbands Südwestmetall mit 3,3% über 13 Monate plus einer Einmalzahlung von 190 Euro war so niedrig und damit so provokativ, dass es von der IG Metall nicht angenommen werden konnte.
Selbst das vom Vorstand anvisierte Konzept einer 4 vor dem Komma, die sich dann über Einmalzahlungen und einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten relativieren würde, hätte im Süden bei den Metallern für erheblichen Krach gesorgt. Jetzt wird die Urabstimmung über das volle Forderungspaket vorbereitet und wahrscheinlich sind Baden-Württemberg und der Bezirk Küste die Tarifgebiete, in denen sie stattfinden wird.
Von unterschiedlichen Blickwinkeln her deutet sich an, dass diese Tarifauseinandersetzung eine historische Bedeutung haben kann, ähnlich der Tarifauseinandersetzung 1984 um die Einführung der 35-Stunden-Woche.

Warnstreiks gut gelaufen


Die betrieblichen Mobilisierungen zu den Warnstreiks der vergangenen Wochen waren beeindruckend und ermöglichten einen kleinen Einblick in das, was "Arbeiterbewegung" in Deutschland sein könnte. Es nahmen über 700000 Menschen daran teil, mehr als an den Aktionen 1999, und es waren nicht nur organisierte Metaller.
Auffällig war der gestiegene Anteil von Angestellten. Die Mobilisierung war — entgegen Befürchtungen mancher Funktionäre — leichter, in der Regel mussten nicht Schwergewichte wie Betriebsratsvorsitzende oder Gewerkschaftssekretäre ihre persönliche Autorität in die Wagschaale werfen, um die Kolleginnen und Kollegen zum Warnstreik zu motivieren. Auch dort, wo in der Vergangenheit Warnstreiks mehr schamhaft als verlängerte Pausen, Besuche beim Betriebsrat oder früheres Schichtende durchgeführt wurden, entschloss man sich jetzt häufiger für offensivere und länger andauernde Formen des Protests.
Deutlich wurde, dass es nicht nur um die Tarifrunde im engeren Sinne geht. So manche Belegschaften hat noch eine oder mehrere Rechnungen mit ihrer Geschäftsleitung offen, und das klar zu stellen, dafür boten die Warnstreiks eine gute Gelegenheit. Das gilt für viele kleinere und mittlere Betriebe, aber auch in großen Unternehmen wie bei Ford in Köln sorgten innerbetriebliche Konflikte für einen zusätzlichen Mobilisierungsschub.
Bei Opel, dessen Belegschaften in Bochum und Rüsselsheim sich in den letzten Wochen mehr Sorgen um ihren Arbeitsplatz als Hoffnungen auf mehr Geld machten, brachten diese in die Warnstreikaktionen die Verteidigung des Weihnachtsgelds ein.
Trotz mancher Befürchtungen, genährt durch Zeitungsmeldungen über Geheimabkommen zwischen Schröder und Zwickel, liess sich der IG-Metall-Vorstand bzw. die Verhandlungskommission bis heute nicht in das Korsett von Kanzlerunterwürfigkeit und falscher zwischengewerkschaftlicher Solidarität mit der Chemiegewerkschaft zwängen. Noch am Donnerstag wurde verbreitet, es gäbe eine Absprache, die IG BCE würde nicht vor der IG Metall abschließen.
Am gleichen Abend stellte der Vorsitzende der BCE, Hubertus Schmoldt, der Presse das Verhandlungsergebnis vor, bewertete es zugleich als eine gute Grundlage für die Tarifverhandlungen in anderen Wirtschaftszweigen. Nicht nur das Tarifergebnis und seine positive Bewertung durch das Kanzleramt waren ein direkter Affront gegen die IG Metall.
Auch die Tatsache, dass der Abschluss über zentrale Verhandlungen, ohne Beteiligung der Belegschaften zustandegekommen war, sollte deutlich machen, wie in Zukunft gewerkschaftliche Tarifpolitik auszusehen hat und wie die vorsichtigen Absetzbewegungen der IG Metall aus dem Bündnis für Arbeit durch andere Gewerkschaften durchkreuzt werden können.
Gesamtmetall setzte auf die narkotisierende Wirkung des Chemieabschlusses und die Tatsache, dass sowohl in Süddeutschland als auch in NRW beim Entgeltrahmenabkommen (ERA) Durchbrüche erzielt worden waren, von denen man annahm, die IG Metall würde sie nicht aufs Spiel setzen. Das war eine Fehlkalkulation. Selbst ein Spitzengespräch zwischen Zwickel und Kannegiesser (Chef von Gesamtmetall) brachte kein für die IG Metall akzeptables Ergebnis. Die einmütige Zustimmung der großen Tarifkommission, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären, zeigt die Stimmung unter den Funktionären, aber auch an der gewerkschaftlichen Basis, in Baden-Württemberg.

Gute Kampftaktik


An der taktischen Aufkündigung des Verhandlungsergebnisses zu ERA durch Gesamtmetall wird die IG Metall nicht allzulange zu knabbern haben. Für die Mitglieder steht der Einstieg nicht so im Vordergrund wie die Lohn-und Gehaltsforderung, so dass sich jetzt kaum Enttäuschung einschleichen wird. Die Unternehmer haben an der gemeinsamen Eingruppierung von Arbeitern und Angestellten selber so viel Interesse, dass auch nach einem Streik mit einer Vereinbarung zu ERA zu rechnen ist.
Kommt es zur Urabstimmung und ab dem 6.Mai zum Streik, sind gerade die süddeutschen Bezirke bestens vorbereitet. Seit längerem gibt es eine Diskussion, wie die IG Metall effektive Arbeitskämpfe führen kann, ohne in die tödliche Falle der kalten Aussperrung zu tappen.
Durch die Intervention von Arbeitsminister Blüm während des Kampfs um die 35-Stunden-Woche wurde die "MiniMax-Taktik" — also die Bestreikung von Zuliefererbetrieben und damit Lahmlegung von Großbetrieben in kürzester Zeit — ausgehöhlt. 1995 bestreikte die IG Metall in Bayern deshalb ausschließlich Betriebe wie Maschinen- und Lkw-Bauer, von denen keine Folgewirkung auf andere Betriebe ausgehen konnte.
Die innergewerkschaftliche Bilanz danach fiel allerdings nicht besonders positiv aus, denn die Streikbetriebe waren nicht die großen Unternehmen wie BMW, die während des Arbeitskampfs munter weiter produzierten. Und es waren auch nicht unbedingt die bestorganisierten und kämpferischsten Belegschaften, die streikten.
Das jetzt geplante Konzept der IG Metall, rotierende Streiks von ein, zwei, drei oder mehr Tagen in den wichtigsten Betrieben eines Tarifbezirks durchzuführen, ist die Antwort auf diese Erfahrungen und die Weigerung der Bundesregierung, den Antistreikparagrafen 416 (ehemals 116) abzuschaffen. Richtig durchgeführt, kann ein solches Streikkonzept nicht nur die verheerenden finanziellen Folgen einer kalten Aussperrung für die Betroffenen und den damit verbundenen Druck auf die Gewerkschaft weitgehend auschalten. Es ermöglicht, mehr Belegschaften in die Auseinandersetzungen zu führen, Streiks und Warnstreiks zu verbinden und eine eigene Öffentlichkeit herzustellen. Die Chance, einen Wechsel in der Politik eigenständig einzuleiten, hat die IG Metall.

Udo Bonn


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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