SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 12

‘Gemeinsam für eine stärkere Opposition‘

Interview mit Fausto Bertinotti

Das folgende Interview mit Fausto Bertinotti, dem Generalsekretär der Partei der kommunistischen Neugründung (PRC), führte die italienische Tageszeitung L‘Unità eine Woche vor der Massendemonstration am 23.März, auf der, aufgerufen vom Gewerkschaftsverband CGIL, etwa 3 Millionen Menschen gegen das Vorhaben der Regierung demonstrierten, den Kündigungsschutz der Beschäftigten auszuhebeln (siehe SoZ 4/02). Anlass für das Interview war Bertinottis Plädoyer für ein gemeinsames Vorgehen der PRC, der sozialen Bewegungen und des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo (Olivenbaum) gegen die Regierung. Bertinottis konkreter Vorschlag: eine Versammlung aller Parlamentarier der Linken und von Mitte-Links, um auszuloten, zu welchen Fragen ein gemeinsames Vorgehen möglich ist, ohne die Differenzen zwischen den "beiden Linken" zu verwischen.

Zu welchen Gemeinsamkeiten könnte ein Zusammengehen möglich sein?
Fausto Bertinotti: Ich sehe die Notwendigkeit einer Aktion auf parlamentarischer, programmatischer und politischer Ebene. Auf parlamentarischer Ebene ist mein Vorschlag ganz einfach: den Widerstand gegen die Gesetze zur Veränderung des Artikels 18 organisieren. Die Linke muss die Gewerkschaftsbewegung unterstützen — ohne sie zu instrumentalisieren. Erforderlich ist ein Synergieeffekt zwischen dem gewerkschaftlichen Kampf und dem Kampf der Opposition im Parlament.

Und auf der Programmebene?
Wir müssen eine gemeinsame Plattform finden, so dass wir bei den grundlegenden Themen effizient sind. Wir könnten eine ganze Serie von Referenden initiieren, und zwar nicht nur, um uns gegenüber den Angriffen der Rechten zu verteidigen, sondern um zum Gegenangriff überzugehen. Das erste Referendum müsste die Ausweitung des Artikels 18 des Arbeitsstatuts, d.h. das Verbot ungerechtfertigter Entlassungen, auf die Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten sein. Denn die Tatsache, dass Artikel 18 nur einen Teil der Arbeiterklasse schützt, ist der schwache Punkt, an dem gerade die Rechte anknüpft. Diese will die soziale Spaltung verfestigen. Und hier muss der Gegenangriff ansetzen, wobei wir von einer offensichtlichen Tatsache ausgehen: Die industrielle Struktur hat sich verändert. Die Zahl der großen Betriebe hat im Verhältnis zu den kleineren und mittleren Betrieben abgenommen. Anfang der 70er Jahre, als das Statut verabschiedet wurde, bildeten die Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten noch nicht das Rückgrat des Systems.

Du sprichst von einer Serie von Referenden
Wir brauchen auch Referenden zu allgemeineren Themen, die nicht direkt mit den aktuellen politischen Kämpfen verbunden sind, z.B. zur Tobinsteuer. Das kann der Ausgangspunkt für Konvergenzen zwischen dem Olivenbaum und der radikalen Linken auch auf politischer Ebene sein. In dem Sinne, dass wir an einem Dialog und an gemeinsamen Aktionen mit den großen Bewegungen arbeiten müssen: die Bewegung der sog. "No global", die Gewerkschaftsbewegung und auch die Bewegung der girotondi [etwa: Menschenketten], die in den vergangenen Wochen die Gewässer von Mitte-Links aufgewühlt haben.
Die Antiglobalisierungsbewegung hat nicht nur in unsere Politik neue Ideen und neues Blut hineingetragen. Sie fungiert auch als "Multiplikator" für vieles andere. Als ob sie das Feld fruchtbar gemacht hätte, so dass wer auch immer einen Samen auf dieses Feld streut, ihn rasch keimen sieht, während der Same vor einiger Zeit noch verdorrte. Und so wie wir ein Wiederaufleben des sozialen Konflikts erlebt haben, haben wir eine neue Organisation und eine neue demokratische Bewegung nach der anderen aus der Zivilgesellschaft entstehen sehen, ja, wir haben sogar erlebt, dass Mitte-Links auf die Straße gegangen ist.

Aber du sagst, dass es "zwei Linken" gibt. Ist das nicht ein unnatürlicher Zustand? Es war vielleicht logisch, dass es zwei gab, als eine in der Regierung war und die andere sich für die Opposition entschieden hatte. Jetzt sind alle in der Opposition. Welchen Sinn macht die Spaltung?
Die Tatsache, dass eine der Linken regierte und die andere nicht, war eine Auswirkung der Spaltung und nicht ihre Ursache. Der Grund für die Spaltung liegt in der Beurteilung der Globalisierung. Mitte-Links (nicht nur in Italien, in der ganzen Welt) dachte, dass die Globalisierung als progressiver Faktor benutzt werden könnte, dass sie einen lebensfähigen Kern besitze, den der Modernisierung, und dass man mit der Erschließung dieses Kerns die liberale Politik mäßigen und die Modernisierung von links gestalten könne. Die andere Linke, nennen wir sie die radikale Linke, zu der wir gehören, sah, dass diese Globalisierung gegen die Moderne ist, dass sie etwas ist, das das außerordentliche innovative Potenzial, über das sie verfügt, statt in sozialen Fortschritt in sozialen Rückschritt verwandelt. Ich spreche bewusst von "zwei Linken". Die Spaltung ist sehr klar und sehr politisch.

Seit einigen Monaten aber hat sich anscheinend die Diskussion zu all diesen Themen um 360 Grad gedreht.
Es gibt bedeutende Neuerungen durch die Etablierung der Antiglobalisierungsbewegung. Sie hat alle Schemata durcheinander gebracht und zu einer gewaltigen Politisierung geführt. Sie hat die Grenzen und Gegensätze zwischen den beiden Linken zumindest fließend gemacht. Die Bewegung hat auch einen Einbruch in die "liberale Linke" erzielt. Sie hat die Diskussion, den Dialog neu eröffnet. Die Antiglobalisierungsbewegung weist zwei klare Kennzeichen auf: das Nein zum Krieg und das Nein zum Neoliberalismus. Das sind die Ordinate und die Abszisse eines enormen kartesianischen Koordinatensystems, in welchem die Linke neu aufgebaut werden kann.

Deine Meinung zur Rechten?
Ihre Linie zum Artikel 18 scheint mir eine Neuerung. Sie verändert das Panorama. Zumindest liefert sie Elemente für eine Beurteilung, über die wir vorher nicht verfügten. Die Entscheidung der Regierung, die harte Linie zu bestätigen, war — nach den halben Öffnungen der letzten Tage — für mich nicht ohne weiteres vorhersehbar. Ich erwartete eine Finte, die die Opposition verwirrt und der Regierungsmehrheit erlaubt, lange Zeit eine zweideutige Linie zu verfolgen. Stattdessen hat Berlusconi, als durchaus die Möglichkeit bestand, die Front der Gewerkschaften zu spalten und politische Ergebnisse von gewisser Bedeutung zu erzielen, den Weg der direkten Konfrontation gewählt. Er schickt seine Truppen an eine Front, die weder Waffenstillstand noch Unentschieden erlaubt: Entweder siegt die Regierung oder es siegen die Gewerkschaften.
Warum diese Entscheidung? Um die Versprechen gegenüber der Confindustria [dem Unternehmerverband] einzulösen? Ich glaube nicht. Auch die Confindustria war gespalten. Ich sehe einen tieferen Grund: die Idee, den Thatcherismus nach Italien zu importieren. Und zwar mit drei Zielen, die miteinander verbunden sind. Den Arbeitenden eine Niederlage beizubringen ist das erste. Das zweite besteht darin, die Gewerkschaften zu schlagen, sie zu zerstören. Das dritte Ziel ist die Abschaffung des gesamten tarifvertraglichen Systems in Italien, d.h. des letzten Bollwerks, das all diese Jahre standgehalten hat. Darin liegt die Kampfansage. Anders lässt sich die Hartnäckigkeit der Regierung nicht erklären.

Die Anfangsjahre von Thatcher und Reagan kommen einem in den Sinn. Auch sie begannen mit einer Kampfansage, Thatcher an die Bergleute, Reagan an die Fluglotsen. Und sie siegten.
Es ist nutzlos, das zu leugnen. Das Risiko einer Niederlage ist da. Man muss sich dessen bewusst sein. Daher ist es erforderlich, die Kräfte zu vereinen und zum Gegenangriff überzugehen. Man muss rauskommen aus der Resignation, aus der Unterwürfigkeit.
Aus: L‘Unità, 16.3.2002.


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