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Als dies israelische Armee an Ostern ihre Offensive gegen Bethlehem und Ramallah begann, kam es in Frankreich zu antisemitischen Anschläge: in
Marseille wurde eine Synagoge in Brand gesetzt, in Lyon Autos als Rammböcke gegen eine Synagoge benutzt, Mollis flogen auf Gebetshäuser, jüdische
Fußballspieler wurden mit Eisenstangen verprügelt; die Polizei vermeldete täglich zehn bis zwölf Angriffe auf jüdische Institutionen.
Am 7.April reagierte der Repräsentative Rat der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF) mit einer
Demonstration von 50000 Menschen (nach Angaben der Polizei) in Paris gegen den Antisemitismus und für die Unterstützung Israels. Am Rande der Demonstration griff eine
kleine Gruppe "arabisch aussehende" Passanten mit Baseballschlägern und Tränengas an; ein Polizist, der versucht hatte einzugreifen, wurde dabei schwer
verletzt.
Dem Aufruf des CRIF war ein Vorspiel vorausgegangen. Der Vorsitzende des CRIF, der im Mai 2001 gewählte
Roger Crukierman, hatte den Beschluss dazu in Absprache mit anderen jüdischen Einrichtungen wie dem Konsistorialrat und der Vereinigung der Söhne und Töchter
von deportierten Juden in Frankreich sowie einigen Organisationen getroffen, die der äußersten israelischen Rechten nahestehen (wie die Föderation der zionistischen
Organisationen in Frankreich und die Vereinigung für das Wohl der israelischen Soldaten) aber ohne Rücksprache mit dem Sekretariat des CRIF. Ein entsprechendes
Kommuniqué sprach von einer zu organisierenden Demonstration "zur Unterstützung des Staates Israel und der jüdischen Gemeinde in Frankreich".
Die Mitglieder des Sekretariats des CRIF erhielten den Text erst einen Tag nach Bekanntgabe des Kommuniqués
und hatten erst auf der zwei Tage später stattfindenden Vorstandssitzung Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Eine starke Minderheit kritisierte dort inhaltlich wie formal
den Alleingang des Vorsitzenden und forderte, die Demonstration müsse sich auf den Protest gegen den Antisemitismus und gegen die Anschläge auf jüdische
Einrichtungen konzentrieren. Sie beriefen sich dabei auf die große Demonstration, die am 14.Mai 1990 in Paris 200000 in Reaktion auf die Schändung eines jüdischen
Friedhofs in Carpentras versammelt hatte; diese Demonstration hatte die Unteilbarkeit der republikanisch-demokratischen Werte betont.
Der Aufruf wurde schließlich abgeschwächt in die Richtung, man wolle Solidarität "mit dem
Volk Israel für Frieden und Sicherheit" bekunden. Der Vorsitzende Cukierman bleibt aber dabei, man könne sich "nicht öffentlich über
antijüdische Akte in Frankreich äußern, ohne auf die Lage im Nahen Osten und den Terrorismus gegen Israel einzugehen". "Wir erleben täglich
propalästinensische Demonstrationen. Es ist normal, dass die jüdische Gemeinde dann auch demonstriert."
Seine Kritiker halten ihm entgegen, er leiste damit einem neuen Kommunitarismus Vorschub. Die jüdische
Gemeinde dürfe sich nicht isolieren, sondern müsse einen republikanischen Konsens um sich schaffen. Olivier Guland, Chefredakteur der Zweimonatszeitschrift Tribune
Juive, schreibt: "Wir stehen vor einem neuen Phänomen: ein Teil des französischen Judentums ist laut genug, um den Eindruck zu erwecken, die jüdische
Gemeinde [sie zählt 500000600000 Mitglieder] habe sich in eine Sekte verwandelt. Wenn Juden bislang auf die Straße gegangen sind, dann haben sie das nicht nur
für sich selbst getan, sondern auch für die Verteidigung der demokratischen und moralischen Werte, die untrennbar mit ihren eigenen Werten verbunden sind. Angesichts der
derzeitigen Welle von Kritik gegen Israel, die für Juden sehr schwer auszuhalten ist, ergreifen die extremistischen Ränder ihrer organisierten Gemeinde das Wort. Die
große Mehrheit der Juden in Frankreich erkennt sich darin nicht wieder, aber sie wagt nicht sich zu äußern, aus Angst, den Gegnern Israels den geringsten Vorschub zu
leisten."
Für den Vorsitzenden der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA), Patrick Gaubert, ist
es "inakzeptabel, dass ein Konflikt, der sich Tausende von Kilometern von hier abspielt, nach Frankreich übertragen wird". Ähnlich äußerte sich die
Vertreterin der Palästinensischen Autonomiebehörde in Frankreich, Leila Shahid; damit werde der palästinensischen Sache schwerer Schaden zugefügt.
Die Liga für Menschenrechte beklagt, der Vorsitzende des CRIF "instrumentalisiert den Kampf gegen den
Antisemitismus zugunsten einer der beiden Konfliktparteien, wenn er die Organisationen, die er vertritt, mit der Politik der israelischen Regierung in eins setzt; er verwandelt einen
universellen Kampf in einen kommunitaristischen Ansatz".
Die jüdische Friedensbewegung Peace Now und der Zirkel linker jüdischer Intellektueller "Bernard
Lazare" riefen zum selben Tag (7.4.) in Absetzung von der Demonstration des CRIF, die sie als Unterstützung der Regierung Sharon interpretierte, zu einer eigenen
Demonstration auf. Sie protestierten gleichfalls gegen den Antisemitismus, forderten aber "zwei Staaten für den Frieden". Diesem Aufruf hat sich auch die
französische Liga für Menschenrechte angeschlossen.
In diesem Rahmen kreiste auch eine öffentliche Stellungnahme einer Reihe jüdischer Intellektueller,
darunter Pierre Khalfa von Attac, Suzanne de Brunhoff, Gisèle Halimi, Pierre Vidal-Naquet, Catherine Samary und Daniel Bensaïd, gegen die Position des CRIF. Sie trägt die
Überschrift: "Israel unterstützen? Nicht in unserem Namen" in Anlehnung an ähnlich lautende Stellungnahme von Eltern, die bei den
Terroranschlägen vom 11.September ihre Kinder verloren hatten und von der Bush-Regierung nicht für Patriotismus vereinnahmt werden wollten. Sie wirft den Sprechern der
israelischen Gemeinde vor, "das kollektive Gedächtnis des Judenmords widerrechtlich für sich zu beschlagnahmen" und in Sharon einen Politiker zu
unterstützen, der dabei ist, dem palästinensischen Volk einen neuen Exodus vorzubereiten. Sie fordert die Umsetzung der UN-Resolutionen.
Eine gemeinsame Initiative "wider den Kommunitarismus" haben die arabisch geführte
antirassistischen Organisation SOS Racisme und die französische Union der jüdischen Studenten ergriffen. Ihr haben sich auch Vertreter der muslimischen Gemeinde
angeschlossen.
Der Vertretung der jüdischen Gemeinde aber droht ein Rechtsruck: Die Vereinigung für das Wohl der
israelischen Soldaten und die Föderation der zionstischen Organisationen haben ihren Beitritt zum CRIF angekündigt.
Angela Klein