SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 17

Nahost: Seit 35 Jahren werden Friedensinitiativen blockiert

Sie sollen leben wie die Hunde

Der Schlüssel für eine Lösung des Nahost-Problems liegt in Washington, das den israelischen Regierungen immer wieder die Ablehnung von Verhandlungen ermöglicht.
In der Entwicklung im Nahostkonflikt ist eine qualitative Veränderung eingetreten. Vor vier Jahren hat der israelische Wissenschaftler Shlomo Ben-Ami das Ziel des Prozesses von Oslo akkurat so beschrieben: "In der Praxis basierten die Vereinbarungen von Oslo auf einer neokolonialen Strategie, auf der dauerhaften Abhängigkeit der einen von der anderen Seite."
Das war kurz bevor er in die Regierung des vormaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak eintrat und Baraks Chefunterhändler bei den Camp-David-Gesprächen wurde. Clinton, Barak und Perez seien sich einig gewesen, dass die Vereinbarungen den Palästinensern auf Dauer eine "fast völlige Abhängigkeit von Israel" aufzwingen und eine "koloniale Situation" schaffen sollten. Im Rahmen der neokolonialen Abhängigkeit von Israel sollte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) die Rolle zukommen, die eigene Bevölkerung in Schach zu halten.
Der "Friedensprozess" entwickelte sich Schritt für Schritt unter dieser Vorgabe. Die von Clinton und Barak formulierten Vorschläge von Camp David wurden damals als "bemerkenswert" und "großmütig" gefeiert, tatsächlich liefen sie auf die Schaffung eines Bantustans hinaus. Das wird auch der Grund gewesen sein, warum die US-Presse es damals sorgfältig vermied, Landkarten zu veröffentlichen.
Gewiss, der Clinton-Barak-Vorschlag enthielt einige Verbesserungen gegenüber den Bantustan-ähnlichen Siedlungen, die in Südafrika in den finstersten Tagen der Apartheid eingerichtet wurden. Vor Camp David waren die Palästinenser in der Westbank auf über 200 Gebiete verstreut.
Demgegenüber schlugen Clinton und Barak eine Konzentration auf drei Kantone unter israelischer Kontrolle vor, die voneinander und von einem vierten Kanton, einem kleinen Gebiet am Stadtrand von Ostjerusalem — das Herzstück des Lebens und Kommunizierens der Palästinenser in der Region — getrennt sein sollten. Natürlich auch getrennt vom Gazastreifen, dessen Zukunft im Ungewissen gehalten wurde.
Dieser Plan ist nun offenkundig zugunsten der Zerschlagung der Palästinensischen Autonomiebehörde begraben worden. Das bedeutet die Zerstörung der Institutionen des potenziellen Bantustans, das Clinton und seine damaligen israelischen Partner planten. Selbst das Zentrum einer Menschenrechtsorganisation wurde angegriffen.
Jetzt stehen die palästinensischen Führer unter Beschuss, denen vor kurzem noch eine ähnliche Kollaborateursrolle zugedacht war wie den schwarzen Führern in den Bantustans; dass sie nicht getötet werden, hat wohl mit den drohenden internationalen Konsequenzen zu tun.
Wie die israelische Führung dieses Programm genau durchsetzen will, ist unklar — ihr selbst wahrscheinlich auch.
Man macht es sich in den USA und im Westen aber zu einfach, wenn man dafür nur Israel und Sharon schilt. Viele seiner schlimmsten Gräueltaten hat Sharon unter Regierungen der Arbeitspartei begangen. Als Kriegsverbrecher ist Shimon Perez von Sharon nicht weit entfernt. Die Hauptverantwortung aber liegt bei Washington, und das seit 30 Jahren. Das gilt für den allgemeinen außenpolitischen Rahmen, aber auch für konkrete Aktionen. Israel kann nur in den Grenzen handeln, die ihm sein Meister in Washington absteckt.

Die UN-Resolution vom 30.März

Die Hauptfrage bei der Abfassung dieser Resolution war, ob die Forderung die nach dem sofortigen Rückzug Israels aus Ramallah und den anderen palästinensischen Gebieten, in die israelische Truppen gerade eingedrungen waren, sein oder mindestens der Zeitpunkt für einen solchen Rückzug genannt werden sollte. Die USA haben sich mit ihrer Position durchgesetzt. So kam ein vager Aufruf für einen "Rückzug der israelischen Truppen aus den palästinensischen Städten" ohne Nennung eines Zeitrahmens heraus.
Die Resolution entspricht deshalb voll und ganz der Position der US-Regierung: Israel stehe unter Beschuss und habe das Recht auf Selbstverteidigung, es solle aber bei der Bestrafung der Palästinenser nicht zu weit gehen.
Die — kaum kontroversen — Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Palästinenser versuchen seit 35 Jahren, unter der militärischen Okkupation Israels zu überleben. Das ist hart und brutal genug, angesichts der massiven militärischen, ökonomischen und diplomatischen US-Hilfe für Israel einschließlich der Blockade einer politischen Lösung. In dieser Konfrontation gibt es nicht die mindeste Symmetrie; hier von "Selbstverteidigung Israels" zu reden geht weit über das Maß an Verzerrung der Wirklichkeit hinaus, das üblicherweise im Interesse der Macht gepflegt wird. Daran ändern auch die schärfsten Verurteilungen des palästinensischen Terrors nichts — obgleich sie richtig sind und dies seit über 30 Jahren.

Was wollen die USA?

Die USA sind eine globale Macht. Was in Israel und Palästina geschieht, spielt für sie nur eine untergeordnete Rolle. Für ihre Politik sind viele Faktoren ausschlaggebend — insbesondere die Kontrolle über die wichtigsten Energiequellen der Welt. Die US-amerikanisch-israelische Allianz hat sich vor diesem Hintergrund entwickelt. 1958 kam der Nationale Sicherheitsrat zu dem Schluss, "eine logische Konsequenz" der Eindämmung des aufsteigenden arabischen Nationalismus sei "die Unterstützung Israels als die einzige starke prowestliche Macht, die im Nahen Osten übrig geblieben" sei.
Das Bündnis festigte sich 1967, als Israel der US-Macht einen wichtigen Dienst leistete, indem es die Hauptkräfte des säkularen arabischen Nationalismus zerschlug, die als ernsthafte Bedrohung der US-Herrschaft über die Golfregion galten. Das Bündnis überdauerte auch den Zusammenbruch der Sowjetunion.
Heute bildet die Allianz zwischen den USA, Israel und der Türkei das Herzstück der US-Strategie in dieser Region, und Israel ist fast eine Militärbasis der USA, zudem eng verflochten mit der militarisierten US-Hightechwirtschaft.
Vor diesem Hintegrund ist es verständlich, dass Washington die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die Einverleibung der besetzten Gebiete unterstützt, einschließlich des neokolonialen Projekts, das Ben-Ami skizziert hat, obgleich die USA in ihren Entscheidungen natürlich die jeweiligen Umstände berücksichtigen müssen.
Die Bush-Regierung blockiert weiterhin jeden Schritt in Richtung auf eine diplomatische Lösung, ja selbst auf Minderung der Gewalt. Sie blockierte am 15.Dezember 2001 mit ihrem Veto eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, der konkrete Schritte zur Umsetzung des Mitchell-Plans und zur Entsendung internationaler Beobachter zum Zweck der Eindämmung der Gewalt forderte.
Sie boykottierte eine internationale Konferenz in Genf am 5.Dezember 2001 (an der auch die EU, sogar Großbritannien teilnahm), die bekräftigte, dass die Vierte Genfer Konvention auf die besetzten Gebiete anzuwenden ist, womit kritische Aktionen der USA und Israels als Verstöße gegen die Konvention — mithin als Kriegsverbrechen — eingestuft werden können. Dabei hat die Konferenz nur bestätigt, was der UN- Sicherheitsrat im Oktober 2000 (bei Stimmenthaltung der USA) beschlossen hat und was lange Zeit auch offizielle US-Position gewesen ist — noch George Bush Sr. hat sie förmlich während seiner Amtszeit als UN-Botschafter verkündet.
In solchen Fällen üben die USA entweder Stimmenthaltung oder sie legen ihr Veto ein, weil sie nicht öffentlich eine Position beziehen wollen, die im Gegensatz zu den Grundsätzen des Internationalen Rechts steht, zumal in Anbetracht der Umstände, unter denen die Genfer Konventionen entstanden sind — nämlich als Instrument, die Verbrechen der Nazis als solche zu ahnden, auch jene, die sie in den von ihnen besetzten Gebieten begangen haben.
Die Medien und die Intellektuellen stützen diese Position, indem sie die Hinterfragung solcher unangenehmen Tatsachen "boykottieren", vor allem der Tatsache, dass die USA als vertragsschließende Partei gesetzlich verpflichtet sind, diejenigen zu bestrafen, die gegen die Konvention verstoßen, auch ihre eigene politische Führung.

Der Arabische Gipfel

Der Gipfel der Arabischen Liga ging mit der Annahme des saudi-arabischen Friedensplans zu Ende. Er wiederholt die Grundsätze, die seit vielen Jahren Konsens sind: Israel soll sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, im Rahmen eines allgemeinen Friedensabkommens, das jedem Staat in der Region — einschließlich Israel und einem neuen Palästinenserstaat — das Recht auf Frieden und Sicherheit innerhalb der anerkannten Grenzen zusichert. Er wiederholt, was schon in der UN-Resolution 242 steht, erweitert um einen Palästinenserstaat.
An dem Plan ist nichts neu. Dieselben Grundsätze enthält bereits eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Januar 1976, den damals praktisch die gesamte Welt — einschließlich der PLO, der wichtigsten arabischen Länder, Europas, der Sowjetunion und der blockfreien Staaten — befürwortete. Nur Israel und die USA waren dagegen — die Resolution scheiterte am Veto der USA. Nachfolgende ähnlich gerichtete Initiativen der arabischen Staaten, der PLO und Westeuropas wurden gleichfalls bis heute von den USA abgeblockt. Das betrifft auch den Fahd-Plan von 1981.
Die Blockadehaltung der USA reicht in Wirklichkeit bis Februar 1971 zurück, als der damalige ägyptische Präsident Anwar al-Sadat Israel einen vollwertigen Friedensvertrag anbot, wenn Israel sich dafür aus Ägypten zurückzöge — von den nationalen Rechten der Palästinenser und dem Schicksal der anderen besetzten Gebiete war damals nicht die Rede.
Die seinerzeit in Israel regierende Arbeitspartei erkannte den Vorstoß als ehrliches Friedensangebot an, beschloss aber es abzulehnen, weil sie die israelischen Siedlungen bis zum nordöstlichen Sinai ausdehnen wollte; sie tat dies mit äußerster Brutalität und löste damit den Krieg von 1973 aus.
Mosche Dayan, einer der wenigen Führer der Arbeitspartei, die etwas Sympathie für das Schicksal der Palästinenser aufbrachten, sagte damals offen im Kreis seiner Kabinettskollegen, Israel solle klarstellen, "dass wir keine Lösung haben, ihr sollt weiter wie die Hunde leben und wer gehen will, soll gehen, wir werden sehen, wohin dieser Prozess führen wird".
Dieser Empfehlung folgend ist das Leitprinzip der israelischen Besetzung unaufhörliche Entwürdigung, begleitet von Folter, Terror, Zerstörung von Eigentum, Vertreibung, illegale Siedlung und die Beschlagnahmung elementarer Ressourcen, vor allem Wasser.
Sadats Angebot von 1971 kam der Politik der US-Regierung damals entgegen, aber Außenminister Kissinger erreichte, dass eine Situation der Sackgasse geschaffen wurde: keine Verhandlungen, nur Gewalt. Jordanische Friedensangebote wurden gleichfalls abgelehnt.
Seit der Zeit zollte die US-Regierung dem internationalen Konsens über einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten ein Lippenbekenntnis — bis Clinton kam und UN-Resolutionen und internationales Völkerrecht beiseite fegte. Aber in der Praxis ist sie den Grundsätzen Kissingers gefolgt und hat Verhandlungen nur dann akzeptiert, wenn sie dazu gezwungen war — so Kissinger selbst nach dem Beinahedebakel des Krieges von 1973, für das er die Hauptverantwortung trägt —, oder wenn sie unter den von Ben-Ami skizzierten Bedingungen erfolgen sollten.
Die Öffentlichkeit wird aufgefordert, auf den arabischen Gipfel zu achten, als seien die arabischen Staaten und die PLO das Problem, vor allem ihr unbeugsamer Wille, Israel ins Meer zu treiben. Es gibt wenig Positives, was man über die arabischen Staaten und die PLO sagen kann, aber das ist einfach unwahr.
Die etwas seriösere Presse erkennt an, dass der Plan Saudi-Arabiens im Großen und Ganzen eine Neuauflage des Fahd-Plans von 1981 ist, und behauptet, Fahds damalige Initiative sei durch die arabische Weigerung zunichte gemacht worden, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Die Fakten sind wiederum ganz andere. Der Plan von 1981 wurde durch eine Reaktion Israels gegen die Wand gefahren, die selbst die damalige Landespresse als "hysterisch" bezeichnete. Das bezog sich auf sog. "Tauben" wie Shimon Perez, die warnten, die Annahme des Fahd-Plans werde "Israel in seiner Existenz bedrohen".
Staatspräsident Chaim Herzog, der ebenfalls als moderater Politiker galt, behauptete gar, beim Fahd-Plan habe in Wirklichkeit die PLO Pate gestanden; er sei noch extremer als die Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Januar 1976, die ebenfalls von der PLO "vorbereitet" worden sei — dabei war er damals selbst Botschafter bei der UNO. All diese Behauptungen sind falsch, aber sie zeigen, wie verzweifelt die Angst der politischen Führung in Israel vor einer politischen Lösung ist. Auch diese Reaktion erfuhr die Rückendeckung der USA.
Solange so elementare Tatsachen wie diese Gegenstand der Debatte sein können, geht sie am Kern der Sache vorbei. Und wir sollten uns da nicht reinziehen lassen, z.B. indem wir zustimmen, dass der Verlauf des arabischen Gipfels problematisch gewesen sei. Das hauptsächliche Problem liegt in den USA, und es ist unsere Verantwortung, es anzupacken, wir dürfen es nicht auf andere abwälzen.
Noam Chomsky

Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachussetts Institute of Technology (MIT). Quelle: www.zmag.org.




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