SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2002, Seite 18

‘Ein skandalöser Text‘

Neues aus der Amalgam-Küche des Konkret-Herausgebers Gremliza

Allgemeine Kritik am "antideutschen" Prozionismus wurde schon des Öfteren geleistet. Dabei wurde den "antinationalen/ antideutschen" Wortführern zu Recht vorgehalten, dass ihr Anspruch, marxistisch zu argumentieren, in krassem Gegensatz dazu steht, dass sie Marx‘ Diktum, die Geschichte der Menschheit sei die Geschichte der Klassenkämpfe, durch eine Geschichtskonzeption ersetzt hätten, nach der zumindest die Geschichte der Deutschen die einer Ideologie — des Antisemitismus — und ihrer Folgen im 20.Jahrhundert — des Holocaust — ist.
Ein neues Beispiel hat Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza geliefert. Der auf einen Vortrag bei der DKP-nahen Marx-Engels-Stiftung zurückgehende und nun in einem Buch dokumentierte Beitrag "Ein skandalöser Text" setzt sich mit dem Vorwort zum Israel/Palästina-Heft der DKP-Zeitschrift Marxistische Blätter (MBl 4/2001) auseinander.

Gremliza liest Améry

Gremlizas Beitrag besteht formal aus zwei Teilen. Nach wenigen Zeilen der Einleitung hat er zunächst über zwei Seiten einen von Jean Améry unter dem Titel "Der ehrbare Antisemitismus" verfassten Essay verlesen. Da Gremliza auch nicht die geringste Kritik an Amérys Text äußert, scheint es mir zulässig zu sein, diesen Text wie den von Gremliza selbst verfassten zu behandeln.
Améry begann mit der Feststellung, dass "der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Antizionismus wie das Gewitter in der Wolke" wieder ehrbar sei. Er könne "ordinär reden, dann heißt das ‚Verbrecherstaat Israel‘. Er kann es auch auf manierliche Art machen und vom ‚Brückenkopf des Imperialismus‘ sprechen."
Damit ist bereits der Ton des gesamten Essays und im Übrigen auch der Gremliza-Rede vorgegeben. Es gibt kein Entrinnen mehr. Was immer man vorbringen mag: Eine konsequente Kritik an Israel ist antisemitisch, denn "das Bestehen dieses Staatswesens" ist Améry "wichtiger als das irgend eines anderen". Wieso man sich durch die vehemente Verteidigung irgendeines bürgerlichen Staates als "radikaler Linker" auszeichnet, bleibt Gremlizas Geheimnis.
Im Übrigen bedarf natürlich das Gewitter der Wolke, aber es ist beileibe nicht so, dass alle Wolken Gewitter bringen. Ebenso ist es natürlich eine grundlegend andere Sache, zu sagen "Brückenkopf des Imperialismus" und "Verbrecherstaat". Die erste Aussage ist eine richtige oder falsche Sachaussage, die zweite hingegen ist eine auf Emotionen zielende agitatorische.
Wir werden sehen, dass die systematische "Verwechslung" beider Ebenen einer der grundlegendsten Bestandteile der Methode von Gremliza & Co ist. Von dieser Seite gibt es meines Wissens nach keinen einzigen Versuch, diese und andere nicht die angebliche Befindlichkeit deutscher Linker, sondern die Situation im Nahen Osten betreffenden Fragen wissenschaftlich zu untersuchen.
Das deutet darauf hin, dass es gerade diese Kräfte, die den hiesigen "Antiimperialisten/Antizionisten" schnell — und nicht notwendigerweise stets unberechtigt — vorwerfen, ihre ach so deutschen Bedürfnisse nach außen zu projizieren, sind, die genau das in verschärftem Maße tun.
Améry schließt sein Essay mit den Worten: "Die Allianz des antisemitischen Spießer- Stammtisches mit den Barrikaden ist wider die Natur, Sünde wieder den Geist, um in der vom Thema erzwungenen Terminologie zu bleiben … Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus."
An diesem Schluss ist nicht ein Wort falsch. Aber der Antizionismus ist stets eher links und hat mit dem Antisemitismus in Wirklichkeit nichts zu tun, wie die nicht zufällige Kollaboration aller möglichen Antisemiten einschließlich der Nazis mit zionistischen Organisationen zeigte. Wenn doch, ist er kein Antizionismus, sondern objektiv Verbündeter des Antisemitismus.

Gremliza liest Marxistische Blätter

Doch nun zu Gremliza: Seine erste Kritik betrifft die Tatsache, dass im Vorwort der MBl die Juden ein "Volk" in Anführungszeichen seien. Sein Verdikt lautet: "Angehörige des Kollektivs ‚die Deutschen‘ sollten ... nicht mit Juden darüber rechten, wie sich die der Mordlust unserer Väter nach Israel Entkommenen nennen wollen. Wer Jude ist und ob sie sich ein Volk nennen sollen, möge bestimmen wer will, nur für die nächsten tausend Jahre eine Menschensorte nicht: Deutsche."
Im kritisierten Text jedoch wird Volk keineswegs maliziös stets in Anführungszeichen gesetzt. Dort heißt es vielmehr: "Mit Israel hat sich jenes Volk — genauer gesagt: hat sich jener Teil der Judenheit, der sich selbst als ‚Volk‘ verstand — einen Staat geschaffen, das der deutsche Faschismus ‚mit Stumpf und Stiel‘ ausrotten wollte." Die Verweigerung des Rechts von Juden, sich als Angehörige eines Volkes zu sehen, ist ganz offensichtlich nicht Anliegen der Autoren.
Wohl aber stellt das von Gremliza ausschließlich für Deutsche ausgesprochene Verbot — auch für solche des Jahres 3000 —, über die Frage zu befinden, ob Juden ein Volk sind, eine völlige Negation seines eigenen "antinationalen" Anspruchs dar. Die hier konstruierte Kollektivschuld ist originär nationalistisch.
Weiter kritisiert Gremliza dann die Aussage der MBl, dass der Zionismus bis zum Holocaust zahllosen Juden als "abseitige Ideologie" erschienen sei. Gremlizas sarkastische Reaktion: "und wenn es die Juden … selbst so gesehen haben, wird der Zionismus schon eine abseitige Ideologie sein. ‚Plausibel‘ gemacht haben diese abseitige Ideologie, dem Subtext Ihres Vorworts zufolge, die deutschen Faschisten. Die gibt es nicht mehr. Und deshalb ist der Zionismus auch nicht mehr plausibel, sondern abseitig. (Warum, übrigens, keine ‚abartige‘?)"
Nun ist es zum einen so, dass die Autoren des Vorworts lediglich einen historischen Tatbestand in Erinnerung rufen. Kein Grund zum Sarkasmus, es sei denn man habe Beweise für die Unrichtigkeit der Behauptung. Weiterhin ist es so, dass die Autoren eben nicht den tendenziell biologistischen Begriff "abartig" verwandt haben.
Was ist das für eine Diskussionskultur, in der man den Gegner anschwärzt, indem man belastete Begriffe findet, die er benutzt haben könnte — aber eben nicht benutzt hat? Darüber hinaus argumentieren die Autoren des Vorworts auch keineswegs, dass der Zionismus durch dass Ende der Existenz des deutschen Faschismus nicht länger plausibel sei.
Vielmehr konstatieren sie: "Deutsche, die sich ihrer Geschichte bewusst sind, werden diese Tatsachen bei jedem Blick auf Israel vor Augen treten. Hinzu kommt, dass sich der Antisemitismus — der Begriff im landläufigen Sinne verstanden, bekanntlich sind auch die Araber ‚Semiten‘ — mit der militärischen Zerschlagung des Nazifaschismus ja nicht erledigt hat."
Als nächstes ereifert sich Gremliza darüber, dass die Autoren es gewagt haben, darauf hinzuweisen, dass der Begriff "Antisemitismus" im Grunde ungenau ist, da er keineswegs alle Semiten, wie etwa die Araber, einschließe. Für Gremliza nämlich bedeutet die Erwähnung der Araber und mehr noch die Feststellung, dass der Antisemitismus in Deutschland "Hand in Hand mit anderen (auch antiarabischen und antiislamischen!) Formen des Rassismus" wiederauflebe, dass die Autoren "Antisemitismus mit Antiarabismus oder Antiislamismus gleichsetzen" und den Antisemitismus "beschönigen und leugnen".
Nun heißt Hand in Hand gehen keineswegs identisch sein. Und Nichtidentität bedeutet nicht notwendigerweise, dass das eine dem anderen vorzuziehen sei. Die Besonderheit des Antisemitismus kann darüber hinaus kein Grund sein, den mörderischen Charakter anderer Formen des Rassismus mit der linken Hand abzutun, wie das Gremliza mit dem Hinweis darauf tut, dass schließlich noch kein Araber in eine deutsche Gaskammer geführt worden sei.
Weiter empört sich Gremliza darüber, dass es die Autoren wagen, ihre Position zu Israel/Palästina nicht ausschließlich am Holocaust auszurichten, sondern auf der Notwendigkeit bestehen, die "Wirklichkeit" nach dem Holocaust und außerhalb Deutschlands — und Israels — zu bedenken. Das genügt ihm, um sie als Antisemiten zu entlarven.
Er tut das mit um so größerer Verve, als sich die Autoren des Vorworts angeblich erdreistet haben festzustellen, dass der Zionismus, "also das jüdische Übel" älter ist als der deutsche Faschismus. Vom "jüdischen Übel" — einem stark nach Julius Streicher riechenden Begriff — ist allerdings ausschließlich bei Gremliza die Rede.
In die letzte Runde geht Gremliza mit den Worten "und es geht immer noch ein bisschen schlimmer". Der Mann hat Recht — allerdings auf ihn selbst bezogen. Die Aussage des Vorworts, dass der "Zionismus als Antwort auf die antijüdischen europäischen Nationalismen, doch zugleich deren Denkmuster folgend" der arabischen Bevölkerung Palästinas von Anfang an als feindliche Verdrängungsideologie und -praxis begegnete, kontert Gremliza nicht etwa mit einer historischen Widerlegung.
Vielmehr behauptet er, in diesem Satz solle mitschwingen, dass der Zionismus den Denkmustern der Nazis folge. Doch die Autoren hatten von europäischen Nationalismen geschrieben, deren antisemitischen Seiten sich keineswegs nur in der Nazi-Ideologie finden.
Darüber hinaus jedoch hätten sie Recht, wenn sie gewisse Parallelen zwischen der Ideologie des deutschen Faschismus und des Zionismus festgestellt hätten — beide sind bei allen Unterschieden Ausdruck eines völkisch verstandenen und natürlich gegen die Einheit der internationalen Arbeiterklasse gerichtete Nationalismus.
Und in der Tat ergeben sich auch daraus die Verbrechen der zionistischen Bewegung gegen die im von ihr zu besiedelnden Land vorgefundenen Araber. Gremliza versucht nun nicht, dieses historische Faktum zu bestreiten, sondern dessen Nennung durch die Behauptung, es sei antisemitisch, zu verhindern.
Er formuliert nämlich: "Und deshalb, kein Wunder, begehen die Juden alle möglichen Verbrechen, die bei uns seit den Nürnberger Prozessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit genannt werden." Im MBl-Text ist aber gar keine Rede davon, dass "die Juden" alle möglichen Verbrechen begehen, sondern jüdische Nationalisten (Zionisten). Was hier politisch ist, schreibt Gremliza rassistisch um.
Trotzki hatte sich immer wieder gegen die bei der stalinistischen Konterrevolution so beliebte Methode des Amalgams gewandt. Das ist die Methode, die Position einer linken politischen Kraft dadurch zu erledigen, dass man sie mit oberflächlich ähnlichen Positionen der Rechten gleichsetzt.
Etwa so: Trotzki ist ein Faschist, weil er Stalin kritisiert. Hitler ist auch gegen Stalin. Auch Gremliza bedient sich dieser Methode gegenüber den DKP-Autoren. Nur dass er die Gleichartigkeit ihrer Positionen mit denen offener, rechtsextremer Antisemiten erst noch durch die hier aufgeführten Pseudozitate konstruieren muss.
Anton Holberg

H.L.Gremliza, "Ein skandalöser Text", in: Israel, die Palästinenser und die deutsche Linke, Essen (Neue Impulse) 2001.




LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang