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Sechs Monate nach den Anschlägen vom 11.September befindet sich die Bush-Regierung immer noch in der Offensive. Hat die Bewegung gegen die kapitalistische
Globalisierung in den USA diese Offensive überlebt?
Michael Albert: Sicher. Auf lokaler Ebene gibt es eine Organisierung zur Frage der "Terrorismus"-Kampagne ich zögere, es einen Krieg zu nennen, die
USA führen keine Kriege, sie verüben Massaker, wobei die andere Seite sich faktisch nicht verteidigen kann. Und es gibt eine Organisierung zur Frage der Globalisierung, wie
auch zu vielen anderen Fragen. Es gibt weitere Anzeichen für das große Interesse an Ideen gegen den Krieg und gegen die Globalisierung. So sind Michael Moores neues
Buch über die Bush-Regierung, Stupid White Men, und Noam Chomskys Buch über den 11. September erfolgreicher als alle anderen Bücher dieser beiden Autoren in
der Vergangenheit.
In meiner begrenzten Zeit im Ausland habe ich bemerkt, dass die Leute das von den Medien suggerierte Gefühl
haben, dass die Bevölkerung der USA faschistisch geworden sei, sich die Regierung zum Nazismus hin entwickele usw. Meiner Meinung nach ist das hauptsächlich
Medienrummel. Sicher, die Regierung versucht ihr Bestes, um den 11.September im Innern wie auch international auszunutzen. Wie kann es auch anders sein nach solchen Ereignissen und
mit Medien wie den unsrigen. Doch wie lange dies dauern wird und inwieweit dies erfolgreich ist, das sind völlig offene Fragen.
Welche Auswirkungen hatte der 11.September auf die Diskussion über die Taktik in der Bewegung?
Es gab eine kurzfristige praktische Folge, nämlich ein Nachlassen der Aktivitäten, was meines Erachtens über das erforderliche Maß hinausging. Aber was
die Einstellung zu taktischen Optionen betrifft, so hatte der 11.September keinen lang anhaltenden Einfluss auf Fragen wie ziviler Ungehorsam oder die Anwendung militanter
Aktionsformen.
Ich glaube, die Bewegungen in der ganzen Welt waren durch das Hochschwappen des Patriotismus eingeschüchtert,
besonders in den USA, und man bemerkte daher nicht die zunehmende Besorgnis und das Interesse breiterer Bevölkerungskreise auch an linken Analysen und Positionen. Viele
Aktivisten waren ruhig und irgendwie ängstlich. Meine Erfahrung war, dass ehrliche Erläuterungen sehr willkommen und auch erfolgreich waren und auch weiterhin sind.
Hat in dem Maße, wie die Bewegung gezwungen war, direkter auf die militärische Offensive der USA und ihrer Verbündeten einzugehen, unter den
Aktiven das Gefühl nachgelassen, dass es sich um eine "neue Bewegung" handelt, mit neuen Organisationsformen und einer neuen Politik?
Die wesentlichen neuen Züge der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung waren tatsächlich nicht ihr Herangehen an den Entscheidungsprozess, ihre Militanz
oder ihre Größe, wenngleich all dies oft aufgeführt wurde. Was stattdessen wirklich neu war, zumindest in der jüngsten Geschichte, war ihre internationale
Dimension und ihre Konzentration auf spezifische Institutionen wie IWF, Weltbank und sogar kapitalistische Konzerne, und nicht bloß auf Phänomene wie Armut oder Krieg.
Diese Konzentration auf die Institutionen besteht fort, aber zusätzlich gibt es nun die Opposition gegen das Projekt "Krieg gegen den Terror".
Die globale Solidarität ist zweifellos ein elementarer Wert für viele Aktive. Ist aber die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung in der Dritten Welt
wirklich nennenswert verbunden mit der in der Ersten Welt?
Ich denke, dass es bedeutende Verbindungen gibt. Das Weltsozialforum liefert einen deutlichen Beweis dafür. Es hat seinen Ursprung ja zum Teil in Europa und zum Teil in
Brasilien und anderen Teilen der Dritten Welt und kanalisiert Energien aus allen Teilen des Planeten für gegenseitige Unterstützung.
Wirklich schwach ist die Verbindung zwischen Bewegungen in den USA und den Bewegungen im Rest der Welt, sogar in
Europa und sicherlich anderswo. Die US-Linke ist ziemlich isoliert, mehr als die Linke in anderen Ländern, und dies muss sich ändern.
Während sowohl die kapitalistischen Medien als auch viele Aktive diese Bewegung oft als "antikapitalistisch" beschreiben, scheint ein bedeutender Teil
der Kräfte, die in den USA an Mobilisierungen beteiligt sind, für einen stärker regulierten und weniger monopolistischen Kapitalismus einzutreten und nicht für
die Beseitigung des Kapitalismus.
Jede Bewegung auf dem Planeten, die das Leben der leidenden Menschen verbessern will, kämpft für verschiedene Reformen. Nicht für Reformen zu
kämpfen scheint mir gefühllos und grausam. Zu diesen Reformen gehören Umverteilungsprogramme, Regulierungsprogramme, Programme gegen Benachteiligung, die
Verhinderung einer Politik, die zu Kriegen führt, das Ersetzen des IWF und der Weltbank usw. Manche Bewegungen betrachten solche Reformen als ein Ziel an sich und als
Korrektiv zu den bestehenden Verhältnissen, die ansonsten akzeptabel oder unvermeidlich wären. Dies ist ein reformistischer Standpunkt.
Andere Bewegungen sehen diese Reformen nicht nur als für sich genommen wertvoll an, sondern als Bestandteil
der Suche nach einer Dynamik zunehmender Veränderung, bis grundlegende Institutionen selbst neu bestimmt sind. Für diese Bewegungen sind Reformen teilweise Zweck,
zum Teil aber auch Mittel. Die Idee ist, die Bewegungen zu stärken und mit den Forderungen immer mehr zu gewinnen. Dies ist ein nichtreformistisches Herangehen an das
Erreichen von Reformen.
Manchmal werden diese beiden Arten von Bewegungen die Anstrengungen der jeweils anderen verstärken, ob
absichtlich oder nicht. Manchmal werden sie in Konflikt miteinander geraten, besonders wenn es darum geht, wie man sich organisieren soll, welche breiteren Ziele und Fragen
angesprochen werden sollen, welche Lehren zu ziehen sind usw.