SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 3

Die Heilige Allianz steht

Bush auf Europa-Tournee

Noch bevor George W. Bush in Berlin landete, durfte ein Vertreter des europäischen Ablegers der einflussreichen US-Wirtschaftszeitung Wall Street Journal im ARD-Morgenmagazin sinngemäß verkünden: "Es ist für den US-Präsidenten nicht entscheidend, ob er die Zustimmung der europäischen Staaten zum Irak-Krieg bekommt. Die US-Administration ist darauf vorbereitet, notfalls auch allein loszulegen. Natürlich ist es besser, wenn die europäischen Alliierten ihm dabei zumindest nicht in den Rücken fallen." Und auf die Proteste gegen Bush befragt antwortete er wiederum sinngemäß: "Wissen Sie, es hat in Europa schon größere Demonstrationen gegen US-Präsidenten gegeben. In Amerika interessiert sich ohnehin keiner dafür. Es gehört zur Demokratie, dass andere anders denken."
Eine gut informierte Zeitung. Genauso hat Bush später auf die eilfertige Entschuldigung des Fraktionsvorsitzenden der PDS, Roland Claus, wegen der Protestaktion dreier Abgeordneter im Bundestag reagiert: "Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, das gehört zur Demokratie." In Paris wiederholte er das; in Moskau brauchte er es nicht, da blieben die Proteste fast aus.
In Washington scheint man die Kritik europäischer Regierungen an den US-Kriegen richtig eingeschätzt zu haben: "Viel Lärm um nichts." Die Bush-Reise hat dies voll bestätigt: Wichtige europäische Regierungen wie die deutsche, die französische, die britische, die italienische und die russische sind derzeit nicht bereit, den Anspruch der USA auf die globale Führungsrolle in der Welt in Frage zu stellen. Es gibt viel Konfliktstoff im Verhältnis zu den USA, aber keine Bereitschaft, eigene Wege zu gehen. Stimmen, die das fordern, sind randständig. (Nebenbei gesagt hat die PDS in Berlin durchaus eine Gelegenheit verstreichen lassen, durch Beteiligung ihrer Senatoren an den Demonstrationen die Debatte anzustacheln, was eine andere, auf internationale Kooperation mit den sog. Verlierern der Globalisierung setzende außenpolitische Orientierung für Deutschland bedeuten könnte.)
Den wesentlichen Trumpf, den Bush im Ärmel führte, war der sog. Abrüstungsvertrag, der sogleich als "neue Partnerschaft zwischen Amerika und Russland" gefeiert wurde. Die Unterzeichnung dieses Vertrags in Moskau war ein diplomatischer Erfolg für Bush: die Abrüstung ist unsymmetrisch — sie schwächt Moskau bedeutend mehr als Washington; der neue Russland-NATO-Rat, der auf dem Treffen der NATO- Außenminister in Rom eingeweiht wurde, setzt die Methode der nichtgleichberechtigten Zusammenarbeit fort. In einer vertrauliche Deklaration sind die Vorhaben aufgelistet, die die NATO mit Russland zusammen durchsetzen will. Dazu gehören: Die NATO will Russland bei der "Reform" des Verteidigungsministeriums, bei der militärischen Ausbildung, beim "Umbau" der Militärausgaben u.v.m. "unterstützen". Der russische Staatspräsident Putin ist dem US- Imperialismus bei seinem Bestreben, eine Kontrolle über die inneren Angelegenheiten der russischen Politik und Wirtschaft zu erlangen, weit entgegengekommen. Die Gegenleistung heißt wie immer Geld, wenngleich die USA Moskau noch ein bisschen zappeln lassen werden, bevor sie ihm den ersehnten Status einer Marktwirtschaft gewähren — Voraussetzung für die von Russland angestrebte Aufnahme in die WTO, aber auch für die Öffnung US-amerikanischer Märkte für russische Hightechfirmen.
Die Gewinnung Russlands war eine wichtige Voraussetzung dafür, die Gemüter auch in Berlin zu beschwichtigen. Hinzu kamen hier wohlfeile Floskeln wie die, man werde mit den europäischen Bündnispartnern natürlich Konsultationen führen und den Kampf nicht nur militärisch führen. Sehr nachdrücklich spielte Bush die Klaviatur der "gemeinsamen Bedrohung" durch den Terrorismus: Die Europäer wären auf dem Holzweg, wenn sie glaubten, Terroranschläge seien nur gegen die USA zu erwarten. Das Argument ist psychologisch so wichtig, dass man sich sogar vorstellen kann, die CIA könnte einen Anschlag auch selber inszenieren, wenn es ernsthaft darum gehen sollte, die europäischen Regierungen bei der Stange zu halten.
Während es also unterhalb der großen Politik gärt und brodelt — Stichwort Kyoto-Protokoll, Stichwort Handelskrieg — drängt der "Krieg gegen den Terror" die europäischen, insbesondere auch den deutschen Partner, in ein zunehmend unkomfortables Bündnis. In der Phrase wie in der Konzeption eiert die deutsche Politik herum: Führende Politiker von Union und FDP kritisierten, dass Politiker der Grünen sich an amerikakritischen Demonstrationen beteiligten. Der FDP-Vorsitzende Westerwelle nannte das gar eine schizophrene Haltung — und hat im Vorstand einen Möllemann sitzen, der gerade seinen Freischwimmer in Sachen Kritik an Israel macht.
Der frühere CDU-Vorsitzende Schäuble erinnerte daran, dass "Berlin" den USA 50 Jahre lang seine Freiheit und Sicherheit verdankte, das heiße jedoch nicht, dass es in Einzelfragen nicht unterschiedliche Meinungen geben könne. Die Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer warf Bush beim Kampf gegen den Terrorismus wachsenden Fundamentalismus vor. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck distanzierte sich von der Wortwahl der Grünen-Politikerin und erklärte sogleich: "Solange nicht klar ist, dass Saddam zu denjenigen gehört, die die Al-Qaida-Terroristen beherbergen und unterstützen, gibt es keinen Grund, gegen den Irak vorzugehen." Die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer verteidigte die Teilnahme von Parteimitgliedern an den Demonstrationen, verurteilte aber den Protest dreier PDS-Abgeordneter im Bundestag.
Möllemanns Ausbrüche zu neuen Ufern und die Reaktionen darauf sprechen Bände über einen derzeit unlösbaren Widerspruch in der herrschenden deutschen Politik: Deutsche Großmachtinteressen brechen sich an der Unfähigkeit, sich — mit und ohne EU — aus dem Bündnis mit den USA zu lösen. Unterhalb dieser "großen Frage" findet die deutsche Rüstungsindustrie in allen Kriegen, die die USA führen, genügend Anknüpfungsmöglichkeiten, ihre Waffen zu testen, Geld für neue Waffenprogramme zu fordern und alles zu unternehmen, damit der Aufbau einer europäischen Rüstungsmacht beschleunigt wird.
Dem angekündigten Krieg gegen den Irak stehen somit derzeit nur zwei Hindernisse im Weg: Das aktuell größere ist der Widerstand des US-Generalstabs. Er sperrt sich gegen einen baldigen Krieg gegen den Irak, weil er das Szenario für unrealistisch hält. Nach Aussagen einer früheren Abteilungsleiterin im Pentagon und Beraterin von Kriegsminister Donald Rumsfeld liefen die Pläne der US-Regierung darauf raus, massive Bombardierungen aus der Luft zu starten und dann auf einen Aufstand der oppositionellen Kräfte zu hoffen. Ein solches Szenario werde aber nicht funktionieren, weil die irakische Opposition nicht besonders kampfstark sei. Das Interesse an ihr ist abgeflaut; die US-Administration hat eine geplante Konferenz mit irakischen Exil-Offizieren abgesagt.
Die Generäle befürchten, US-Bodentruppen könnten in einen Guerillakrieg verwickelt werden, bei dem Tausende amerikanische Soldaten ums Leben kommen. Die Fähigkeit der USA, einen — für sie — "sauberen" Krieg zu führen, bestimmt also nach wie vor die strategischen Überlegungen des Militärs. Die Tageszeitung Washington Post vermeldet jetzt, die Regierung wolle sich darauf konzentrieren, Saddam Hussein durch Geheimdienstaktionen zu destabilisieren. Wenn das gelänge, würde es nicht den Krieg ersetzen, sondern seine Erfolgschancen erhöhen.
Das zweite Hindernis wird längerfristig das entscheidende sein: ein Wiederanschwellen der Antikriegsbewegung — auch und vor allem in den USA selbst. In Europa wirft sie zwangsläufig die Frage nach dem Verhältnis zu den USA, richtiger gesagt: zum US-Imperialismus auf. Imperialismuskritik ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die neue Friedensbewegung eine internationalistische Ausrichtung erhält und sich nicht vor den Karren innerimperialistischer Konkurrenz — und damit bürgerlicher Alternativen — spannen lässt. Die Gefahr eines neuen Lagerdenkens — in diesem Fall USA vs. EU/Europa — ist groß.
Die Mobilisierungen gegen die NATO-Tagung in München wie auch die Demonstrationen gegen Bush haben gezeigt, dass sich in Deutschland eine neue Friedensbewegung formiert, die die Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Kriegs mit ihren teilweise konträren außenpolitischen Orientierungen mit den neuen Fragen der globalisierungskritischen Bewegung verbindet.
Es ist möglich, dass sich der Kriegsbeginn wegen der US-internen Einwände noch etwas hinauszögert. Diese Zeit muss genutzt werden, auf Bundesebene für die neue Bewegung neue gemeinsame Strukturen zu finden. Die Aktionen gegen den drohenden Irakkrieg müssen ausgebaut werden.
Angela Klein


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