SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 4

Tarifergebnis Metall

Nichts als ‘Zwiebel-Huberei‘?

von TOM ADLER (Betriebsrat bei DaimlerChrysler)

Die Metall-Tarifrunde 2002 ist rund zwei Wochen nach der überaus erfolgreichen Urabstimmung und Streik wie gewohnt zu Ende gegangen: Verhandlungsführung und IG-Metall-Spitze präsentierten der Öffentlichkeit ihr faktisch unveränderbares Verhandlungsergebnis und damit das Ende der Streiks. Die Urabstimmung der Mitglieder über Annahme oder Ablehnung des Ergebnisses bleibt satzungsgemäße Pflichtübung und reine Formsache.
Das notwendige Quorum von nur 25% Ja-Stimmen wurden denn auch problemlos getoppt. Die nur 56,5% Zustimmung zeigten jedoch sehr deutlich, dass der Abbruch der Streiks für dieses Ergebnis nicht nur bei den üblichen Verdächtigen auf der Linken in der Kritik steht: Kritik an Streiktaktik, Strategie und materiellem Ergebnis.
Als Berthold Huber auf der Funktionärskonferenz am 27.April vor 4000 Metallern das 3,25%-Angebot von VMI- Chef Zwiebelhofer als unzumutbare Mogelpackung zerpflückte, sagte er unter tosendem Beifall, dass "unsere Mitglieder die Grundrechenarten, Prozentrechnen und den Umgang mit Excel beherrschen", dass deshalb alle "Zwiebelhoferei" zum Schönrechnen nichts nütze, und es eine "Zwiebel-Huberei" erst recht nicht geben werde.
Wendet man heute dieselben Grundrechenarten und Prozentrechnung — mit oder ohne Excel — auf die Tarifergebnisse an, so sind zwei Dinge sicher. Erstens: man bekommt scharfen Widerspruch von den Befürwortern des Abschlusses. Für die heißt die Parole jetzt nämlich: Hier gibt es nichts rumzurechnen, das Ergebnis heißt 4%. Zweitens: das Ergebnis heißt eben nicht glatt und sauber 4%. Ignoriert man die Null-Monate nicht einfach, so kommt man je nach betrachtetem Zeitraum — 22 oder 12 Monate seit Ende des alten Tarifvertrags — auf Werte zwischen rund 3,5 und 3,7%.
Selbst dieses Ergebnis war offensichtlich nicht ohne Streik zu haben. Wer argumentiert, für ein halbes Prozent wäre ein Streik nicht gerechtfertigt, übernimmt letztlich die Argumentation derjenigen, die von Anfang an auf Streikvermeidung um fast jeden Preis gesetzt hatten. Und verkennt eines: Streik als gelebte Erfahrung kollektiver Macht und Handlungsfähigkeit ist einer der Schlüssel für Bewegungen im Kopf, Voraussetzung für Bewusstseinsveränderung.
An diesen Erfahrungen waren Zehntausende von Metallern beteiligt. Zehntausende, die — mit Rückenwind durch breite Zustimmung in der Bevölkerung — die eigene Durchsetzungsfähigkeit zu spüren begannen, und, erst einmal in Bewegung, die Frage stellten: "Wie weiter?" Dass ein Ergebnis in der Nähe der Forderung nicht durchsetzbar wäre mit einfachem Fortsetzen wechselnder Tagesstreiks, wurde schnell Gemeingut in allen Diskussionen an der Werkbank oder in Versammlungen.
Diese unübersehbar notwendige Erhöhung des Drucks durch Ausweitung der Streiks hatte jedoch keinen Platz im Drehbuch der IG-Metall-Führung. Denn dies hätte eindeutig den von der Regierung, zuletzt von Wirtschaftsminister Werner Müller, vordefinierten Rahmen eines "venünftigen, verkraftbaren" Lohnabschlusses gefährdet und damit die SPD-Parteifreunde in der Regierung selbst.
Der Abbruch des Streiks ist somit beste Wahlkampfhilfe, Zurückstellen von Mitgliederinteressen hinter Regierungsinteressen, gelebtes "Bündnis für Arbeit", und das alles auch noch gratis: Die regierenden Spezialdemokraten stellen die Streichung des Antistreikparagrafen 146 SGB nicht einmal mehr für eine ferne Zukunft in Aussicht.
Angeblich war es auch wegen dieses §146 SGB nicht möglich, einen anderen Streik zu führen. Gewiss: eine Ausweitung ist mit der Gefahr von Aussperrungen verbunden. Doch wer vor einem solchen Szenario lieber gleich kapituliert, statt Szenarien des Kampfes gegen Aussperrung und Kalte Aussperrung breit zu diskutieren und in den Belegschaften vorzubereiten, der arrangiert sich mit der Schwächung von Gewerkschaften offenbar leichter als mit der Möglichkeit einer Situation, in der fest zementierte Verhältnisse in Bewegung geraten könnten.
Was hätte dagegen gesprochen, noch andere Bezirke urabstimmen zu lassen und weitere Belegschaften gezielt in den Streik zuführen? Wann, wenn nicht in solchen Situationen, könnte eine Auseinandersetzung gewagt werden, die die Kräfteverhältnisse wieder zu Gunsten der Gewerkschaften verschieben könnte?


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