SoZ Sozialistische Zeitung |
In der vermeintlichen Gewissheit, auf der Siegesstraße zu flanieren, wurden einige PDS-Obere vor dem Wahltag am 21.April 2002 in Sachsen-
Anhalt übermütig. Der Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag, Roland Claus, nahm das Ministerpräsidentenamt in Magdeburg für sich in Anspruch, was
dessen Inhaber Reinhard Höppner (SPD) als "absurde Kraftmeierei" abtat. Der Europaabgeordnete André Brie sah sich veranlasst, die eigene Partei zur
Bescheidenheit zu mahnen, damit nicht das geplante Bündnis mit der SPD gefährdet werde.
Der frischgebackene Mitregierer Berlins, Gregor Gysi, noch immer stärkster Mann der PDS, peilte am 3.April eine
alsbaldige Koalition mit Schröder und Fischer infolge der Sachsen-Anhalt-Wahl an. Den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten malte er als größtmögliches Übel an
die Wand und verkündete: "Eigentlich ist das Jahr 2002 noch nicht das geeignete Datum für die Beteiligung der PDS an einer Koalition auf Bundesebene, aber wir
werden mit Sicherheit nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass Stoiber Bundeskanzler wird."
Die Landtagswahl vom 21. April erwies sich vor allem für die SPD, aber auch für deren
Unterstützerpartei als Pleite. Entgegen gängigen Medienkommentaren muss dazu festgestellt werden, dass nicht das "Magdeburger Modell" der Tolerierung eines
Minderheitskabinetts gescheitert ist, sondern die einseitig auf Bedürfnisse der Herrschenden ausgerichtete, voll auf Bundeslinie liegende Politik dieser Regierung und der sie bisher
unterstützenden PDS.
Zwar rückte keine Schill-Partei anstelle der 1998 erfolgreichen, inzwischen aber verbrauchten DVU ins Parlament
ein. Doch verlor die SPD 15,9% ihres Wähleranteils von 35,9% und erlitt die bisher schwerste Niederlage. Die PDS kam auf 20,4% und überrundete den Tolerierungspartner.
Dafür erhöhten sich die Anteile der CDU von 22% auf 37,3% und die der FDP von 4,2% auf 13,3%. Höppner musste zurücktreten, und diese beiden Parteien
bilden die neue Landesregierung.
Das möglicherweise wichtigste Ergebnis war der enorme Anstieg des Nichtwähleranteils. Er betrug in
Sachsen-Anhalt 43,5% statt vorher 28,3%. Dies entspricht zwar einem Entwicklungstrend in allen führenden kapitalistischen Ländern. Doch ist zu berücksichtigen, dass
viele der 43,5% Nichtwähler, vielleicht die meisten, der Urne nicht deshalb fern blieben, weil sie zum Hingehen zu bequem waren.
Sie haben einfach alle Parteien ihrer Politik wegen satt. Wähler von SPD und PDS sowie Nichtwähler
zusammengenommen machen etwa 77% der Wahlberechtigten aus. Sie haben der bisherigen Landesregierung und ihrem Partner gegenüber zumindest Gleichgültigkeit
bekundet.
Die PDS erlitt bei der Wahl faktisch eine doppelte Niederlage. Erstens verlor sie die Anwartschaft auf herbeigesehnte
Ministerämter, vielleicht gar den Posten des Regierungschefs. Zweitens geriet die von Gysi anvisierte Kabinettsbeteiligung im Bund in tödliche Gefahr. Die Aussichten
für die gleichzeitig mit der Bundestagswahl anberaumte Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sind ungewiss.
Einige Parteiführer, so die Bundesvorsitzende Gabi Zimmer, gaben einseitig der SPD die Schuld am Desaster.
Andere redeten sich das Wahlresultat schön. Bundesgeschäftsführer Bartsch sprach von der sechzehnten Wahl in Folge, welche die PDS gewonnen habe. Er verwies auf
ihren um 0,8% höheren Stimmenanteil, verschwieg jedoch, dass dieser nur wegen der enormen Nichtwählerzahl so groß war.
1998 gegenüber hat die Partei mehr als 57000 Wähler verloren, was die größte Einbuße
zwischen zwei Landtagswahlen darstellt. Ihr Anteil bei den Jungwählern sank auf 17%. Im Überschwang tatsächlicher oder vorgetäuschter Zuversicht aber
äußerte die Vorsitzende der Landtagsfraktion, Petra Sitte, jetzt müsse die SPD ihr die Oppositionsführerschaft zuerkennen, denn: "Bei Gleichstand
zählt das Torverhältnis, und da sind wir besser."
Ähnlich schlecht wie um die Aussichten der PDS-Spitzenvertreter auf mehr Regierungsposten ist es um die
innerparteiliche Opposition bestellt. Es rührt sich bei weitem zu wenig. Streiter wie Winfried Wolf, die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum sind im
Wesentlichen inaktiv. Andererseits traten in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen neue Initiativen auf den Plan, die sich als oppositionelle Marxisten verstehen.
Monty Schädel, Konstantin Brandt, Karl Scheffsky und andere verabschiedeten eine
Gründungserklärung der Marxistischen Opposition Mecklenburg-Vorpommerns, in der konstatiert wird, angesichts der Verstöße führender PDS-Vertreter
gegen das geltende Parteiprogramm und angesichts der Übernahme von Begriffen bürgerlicher Parteien in Form und Inhalt sei es notwendig, "dem Opportunismus und
Revisionismus mit aller noch vorhandenen Kraft entgegenzutreten und neue Kräfte zu sammeln".
Konstantin Brandt (Pinnow) und Ekkehard Lieberam (Leipzig) legten am 15.April unter dem Titel "Rückkehr
zu Marx" Überlegungen zum innerparteilichen Opportunismus vor, die mit dem Satz enden, wichtig sei insbesondere, "dass die Marxisten in der PDS sich als
eigenständige Kraft konstituieren, sich der zunehmenden politischen Demoralisierung widersetzen, ein überzeugendes und praxistaugliches Konzept sozialistischer Politik
vorstellen und sich auch der von Pragmatismus und einem Schönreden des Kapitalismus geprägten Anpassung an die bürgerliche Politik unzweideutig
entgegenstellen".
Ellen Brombacher (Berlin) und Anton Latzo (Langerwisch) sind seit Anfang Mai bemüht, Meinungen von
Mitgliedern und Sympathisanten der PDS in der Krieg-Frieden-Frage zu ermitteln und zu dokumentieren, um die von Parteioberen angestrebte Aufhebung des Beschlusses von
Münster gegen jede Militäraktion in fremden Ländern, auch eine von der UNO abgesegnete, zu verhindern.
Im Berliner Karl-Liebknecht-Haus wurde am 7.Mai ein offenes Netzwerk "Linke Opposition in und bei der
PDS" gegründet. Es soll Stellungnahmen zur aktuellen Politik der Partei abgeben, besonders zu der ihrer Vertreter im Berliner Senat, und das Eingreifen Linker in die
Parteigremien koordinieren derzeit gibt es nicht einmal Absprachen zwischen den Parteitagsdelegierten aus der Hauptstadt.
Mitinitiator Sigurd Schulze forderte die Ausnutzung aller Möglichkeiten einer pluralistischen Partei für die
eigene Arbeit. Andere Redner merkten an, selbst auf der unteren Ebene seien zwei Drittel oder mehr PDS-Mitglieder systemkonform. Lothar Schwarz betonte: "Es darf auf keinen
Fall die Illusion geweckt werden, dass die PDS eine sozialistische Partei ist oder werden kann. Perspektivisch geht es darum, eine neue Partei aufzubauen."
Die Initiativen könnten zur Beantwortung der Frage beitragen, ob die bislang stärkste linke Kraft und einzige
Friedenspartei in Deutschland erhalten bleibt oder zerfällt, ob sie im letzterwähnten Fall durch eine neue Organisation ersetzt werden kann. Übereinstimmung
über den einzuschlagenden Weg gibt es bisher nicht. Zudem liegt ein wichtiger Mangel darin, dass vorwiegend ältere sowie fast ausschließlich männliche
Mitglieder und Sympathisanten hinter den Initiativen stehen. Prognosen, welche Aussichten diese haben könnten, sind momentan unmöglich.
Manfred Behrend