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Eine Äußerung des jetzigen Wirtschaftssenators von Berlin, Gregor Gysi, auf einer Funktionärsversammlung der IG Metall über
die laufende Tarifrunde, hat die AG Betrieb & Gewerkschaft in der PDS zu einem öffentlichen Protest veranlasst. Wir entnehmen den nachstehenden Artikel der Mai-Ausgabe
ihrer Zeitung.
Die IG-Metaller, die am 14.Februar in Berlin zu einer Funktionärskonferenz zusammen gekommen waren, staunten
nicht schlecht, als ihnen vom frisch gebackenen PDS-Wirtschaftssenator Gregor Gysi unvermutet Altbackenes aus dem Unternehmerlager aufgetischt wurde. Um die Erosion des
Flächentarifvertrags aufzuhalten, sei es notwendig, in einem Tarifabschluss die Differenz zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Unternehmen zu berücksichtigen.
Die Forderung ist weder neu noch originell, sie gehört gewissermaßen zur Standardargumentation aller neoliberalen Modernisierer, von der FDP bis zum Arbeitgeberlager,
aber für einen sozialistischen Politiker ist sie mindestens ungewöhnlich.
Zunächst einmal fallen an Gysis Argumentation zwei Dinge auf:
Erstens müsste dem Wirtschaftssenator geläufig sein, dass mittlerweile fast alle Tarifverträge
Härtefallregelungen und Öffnungsklauseln enthalten, die den Unternehmen eine bestimmte Bandbreite an Flexibilität ermöglichen. Daneben werden
Einzelfälle einvernehmlich zwischen den Tarifpartnern mit zeitlich begrenzten Vereinbarungen gesondert geregelt. Das also kann mit der erwähnten Differenzierung nicht
gemeint gewesen sein.
Zweitens aber ist ein Flächentarifvertrag, der Tariferhöhungen von der Leistung des Betriebs abhängig
macht, natürlich kein Flächentarifvertrag mehr, sondern ein Rahmen für unzählige betriebliche Tarifabkommen. Das wissen natürlich auch die Arbeitgeber,
die mit dem scheinheiligen Argument, die Erosion des Flächentarifvertrags aufhalten zu wollen, nichts anderes als Gregor Gysi vorschlagen. Und sie wissen auch warum. Der
Flächentarifvertrag ist die einzige Möglichkeit der Gewerkschaften, kollektive Interessen durchzusetzen und ein solidarisches Band zwischen Starken und Schwachen zu
knüpfen. Fällt die einheitliche Forderung im Tarifkampf, dann zerfällt auch die gewerkschaftliche Solidarität. […]
Man muss aber wirklich kein Marxist sein, um einen Widerspruch in der Argumentation zu finden, die den Lohn von der
Leistungsfähigkeit des Unternehmens abhängig machen will. Da die Arbeitskraft im Kapitalismus nun einmal eine Ware ist, muss sie auch wie eine Ware gekauft werden,
nämlich zu ihrem Marktwert und nicht nach Maßgabe des Zahlungsfähigkeit des Käufers. Kein Unternehmer käme auf die Idee, dass sich ein
Verkäufer von Maschinen oder Rohstoffen zuerst nach seiner Leistungsfähigkeit erkundigte, bevor er den Preis der Lieferung vereinbart. Der Verkäufer will seinen
Preis, und damit basta. Von Rabatten und konkurrenzbedingten Sonderangeboten einmal abgesehen kann sich kein Warenproduzent erlauben, auf Dauer unter den Herstellungskosten und
dem marktüblichen Preis zu verkaufen. Warum sollten dies nun ausgerechnet diejenigen tun, die nichts anderes als sich selbst zu verkaufen haben?
Natürlich wäre es mehr als blauäugig, von einem PDS-Wirtschaftssenator anderes zu verlangen, als
sich unter kapitalistischen Bedingungen auch an kapitalistische Spielregeln zu halten. Niemand versteht dies besser als Gewerkschafter […]. Wir kennen aber auch die Gefahr, dass man
sich dabei allzu leicht die Denkweise und den ideologischen Tunnelblick seiner Kontrahenten aneignet.
Achim Meyer-Heithuis