SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 6

Israel und der Internationalismus

Thomas Ebermann erklärte in Konkret, er habe am 14.April 2002 in Berlin auf der Pro-Israel-Demo mitdemonstriert, und er begründet dies mit den Worten: "Ich meine, dass man in Deutschland nicht gegen Israel und auch nicht gegen die je konkrete Regierungspolitik in Israel demonstrieren kann. Demonstrationen haben ja Botschaften, die aufs Transparent passen müssen … Man kann, wenn man kritisch über die Politik Israels diskutieren will, das nur in einer seminaristischen Atmosphäre tun." In derselben Ausgabe dieser Zeitschrift schreibt Hermann Gremliza: "Eine Linke, die aus eigener Kraft so gut wie nichts mehr vermag, sollte wenigstens alles unterlassen, was Israel im Kampf um seinen Bestand behindern könnte."
Beide weisen richtigerweise auf die Tatsache hin, dass die aktuelle PLO-Solidarität bei vielen, die sie vortragen, antisemitische Zungenschläge und oft einen unverhüllten Antisemitismus transportiert. Die Schlussfolgerung jedoch, dass eine Kritik des real existierenden Antisemitismus eine Kritik an der konkreten Politik Sharons und des israelischen Militärs nicht zulasse, ist Ausdruck einer Selbstaufgabe.
Bereits die Formulierung, eine solche kritische Debatte könne nur in einer "seminaristischen Atmosphäre" durchgeführt werden, klingt wie die Verabschiedung aus einer praktischen, sozialistischen Politik. Oder mit anderen Worten: "Derzeit bildet in Teilen der grünen und linken Friedensbewegung die Bedrohung Israels die Einstiegsdroge in die imperialistische Kriegspolitik, der gegenüber andere Folgen des Krieges … als weniger wichtig bewertet werden. Der Versuch, sich auch als Linker gegenüber der Geschichte der deutschen Judenvernichtung verantwortlich zu verhalten und in diesem Zusammenhang eigene Verdrängungen und Defizite zu reflektieren, gehört sicherlich zu den besseren Motiven. Sie werden aber dann problematisch, wenn aus Parteinahme für das Existenzrecht Israels Parteinahme für seine derzeit herrschende Politik sowie für den Krieg und seine wesentlichen Kriegsziele wird."
So schrieben Thomas Ebermann und Rainer Trampert — zusammen mit einigen engen politischen Freunden, darunter Jutta Ditfurth und Winfried Wolf — im Jahr 1990. Der Text thematisierte das Abdriften von Teilen der Linken in das Lager der Kriegsbefürworter am Beginn des Golfkriegs 1990/91 und war unter anderem gegen den Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza gerichtet.
Dieser grundsätzliche Text entstand in einer Situation, die erheblich komplizierter als die heutige war: Israel führte keinen aktiven Krieg. Der Staat Israel wurde von dem Regime Saddam Husseins in Bagdad angegriffen, das im Gefolge des US-Angriffs auf den Irak mit einzelnen Scud- Raketenangriffen auf israelisches Gebiet antwortete und versuchte, dadurch einen Flächenbrand auszulösen. Dennoch sah sich diese damalige "Radikale Linke", zu deren führenden Köpfen Thomas Ebermann und Rainer Trampert zählten, veranlasst, eine prinzipielle Kritik an dem Abdriften von Teilen der Linken ins Lager der Kriegsunterstützer zu führen.
Was damals richtig war, ist auch heute zutreffend. Wobei die Frontverläufe im Frühjahr 2002 noch klarer sind: Israel führt Krieg — teilweise als Antwort auf terroristische Selbstmordattentate, aber auch in Form umfassender militärischer Aktionen in den besetzten palästinensischen Gebieten, die sich in erheblichen Maß gegen die Zivilbevölkerung richten und die zivile Infrastruktur der Palästinensischen Autonomiebehörde zerstören.
Festzuhalten bleibt, dass es zu unterschiedlichen Zeiten immer gute Argumente gab, sich einer Selbstaufgabe zu widersetzen, die unter dem Vorwand der Kritik des Antisemitismus erfolgte. Beispielsweise mit den Worten:
"Die Solidarität der Linken mit Israel kann sich nicht von der Solidarität der US-Regierung und der Bild-Zeitung vereinnahmen lassen, die nicht Israel gilt, sondern eigenen, der Linken gegenüber feindlichen Interessen. Die Solidarität der Linken schließt selbst einen Mann wie Sharon mit ein, wenn er ermordet werden sollte. Seine Politik aber schließt sie aus: seinen Rechtsradikalismus, seine Macht- und Eroberungspolitik. So wie die Linke selbstverständlich mit dem arabischen Nationalismus sympathisiert, nicht aber mit Mubaraks Kommunistenverfolgung. Die Frage nach vernünftigen, stabilen, politischen Lösungen droht von einem pro- und antiisraelischen Freund-Feind-Denken erdrückt zu werden, dem auch die Linke erliegt … Wir unterdrücken die Frage nicht: Was will Israel — leben oder siegen?"
Diese Worte von Ulrike Meinhof aus dem Jahr 1968 finden sich im Vorwort der Schrift des polnischen Juden Isaac Deutscher "Der israelisch-arabische Konflikt". Die Namen Sharon und Mubarak wurden in den Text eingefügt, um die ursprünglich an derselben Stelle im Text wiedergegebenen Namen Moshe Dayan und Nasser zu ersetzen. Der Text ist mehr als dreißig Jahre alt und trotzdem brandaktuell.
Winfried Wolf


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