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Im Wahlkampfjahr haben alle Parteien in der Bundesrepublik die Familie neu entdeckt. Familienpolitik ist nicht nur ein sozialpolitisches, sondern auch ein
wichtiges ökonomisches Problem geworden und seit die Ergebnisse der PISA-Studie bekannt wurden ein bildungspolitisches obendrein. Wie und mit welchen
Ressourcen und Methoden die Familie gestärkt werden soll, darüber sind sich die Parteien untereinander überhaupt nicht einig. Vorerst wird unisono die Bevorzugung
der Kinderlosen beklagt.
Das Kernstück des familienpolitischen Konzepts von CDU und CSU ist das "Familiengeld". Es soll ab
2003 einkommensunabhängig in Höhe von 600 Euro monatlich an alle Familien gezahlt werden und zu einer echten "Wahlfreiheit" zwischen Familie und Beruf
führen. Das versteckte Ziel dürfte sein, die "Erwerbsneigung" der Frauen zu senken.
Die Kosten für das Familiengeld werden auf 20 Mrd. Euro beziffert. Das Geld soll durch die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe eingespart werden. Rot-grün kritisiert diese Finanzierung als "völlig illusorisch", Bundeskanzler Schröder nennt das Konzept
"Wahlkampfgetöse".
SPD und Grüne haben erkannt, dass monetäre Leistungen für Familien alleine nicht ausreichen. In
einer Regierungserklärung zur Familienpolitik hat Schröder am 18. April 2002 ein milliardenschweres "Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung"
angekündigt.
"Flexible Kinderbetreuung" fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm. Praktische Umsetzungsschritte und
pädagogische Konzepte werden dabei offensichtlich auf die nächste Legislaturperiode vertagt. 4 Milliarden Euro sollen für den Ausbau von Ganztagsschulen zur
Verfügung gestellt werden. Die Kosten für eine flächendeckende Kinderbetreuung werden aber auf bis zu 11,2 Mrd. Euro geschätzt.
Die Grünen fordern eine Kindergrundsicherung, die PDS ein existenzsicherndes Kindergeld für alle Kinder
und Kindertagesstätten und Ganztagsschulen. Auf die Konzepte der Regierungsparteien reagiert die CDU ihrerseits, indem sie sie als lehre Wahlversprechen abtut.
Die Möglichkeit der außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen war seit Beginn der Industrialisierung eng mit der wirtschaftlichen und strukturellen
Entwicklung der Industriegesellschaft verbunden. Zu Zeiten eines Überangebots von um bezahlte Arbeit Nachsuchenden wird die Notwendigkeit der kindlichen Versorgung und der
Hilfe von Pflegebedürftigen im eigenen Haushalt ganz hoch aufgehängt.
Die bürgerlichen Parteien fordern nun für etwas Bezahlung, das bisher im Rahmen ihrer Ideologie als
selbstverständlich und unbezahlbar gegolten hat. Warum kommen sie auf diese Idee? Vor allem, weil die Frauen das Haus verlassen und berufstätig sein wollen.
Die ungebührliche "Erwerbsneigung" der Frauen ist es angeblich, die die Arbeitslosenzahlen
hochschnellen lässt. Weil es dank Frauenbewegung in der BRD schwierig ist, Frauen direkt nach Hause zu schicken, lässt man sich subtilere
Maßnahmen einfallen, um sozialstaatliche Kosten zu sparen und gleichzeitig den Arbeitsmarkt zu entlasten.
1986 führte die konservativ-liberale Regierung Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ein, die an dem veralteten
Familienmodell "Haupternährer" und kinderversorgender Ehefrau orientiert waren, was dem seit 1949 verbrieften Recht auf Gleichberechtigung widerspricht.
Das ist auch nah der Reformierung durch Rot-Grün und der Umbenennung in "Elternzeit" zum 1.Januar
2001 nicht anders. Sie beträgt weiterhin drei Jahre. Innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt eines Kindes wird ein Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro gezahlt (bzw.
450 Euro bei einer Elternzeit von einem Jahr), aber nur dann, wenn der erziehende Elternteil nicht erwerbstätig ist oder eine Teilzeitarbeit von höchstens 30 Wochenstunden
ausübt und das Einkommen des Ehepartners einen bestimmten Betrag nicht überschreitet.
Alleinerziehende bekommen zusätzlich Sozialhilfe, eine deklassierende und diskriminierende Regelung. Es besteht
ein Recht auf Arbeitszeitreduzierung für beide Elternteile, falls sie in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten arbeiten und dringende betriebliche Gründe nicht
dagegen sprechen.
Während der Elternzeit besteht ein erweiterter Kündigungsschutz, jedoch keine Garantie auf den alten
Arbeitsplatz. Mit der gesetzlichen Neuregelung kann die Elternzeit auch gleichzeitig oder abwechselnd durch Vater und Mutter in Anspruch genommen werden. Vor allem finanzielle
Gründe, aber auch Gründe des Statusverlust, halten Väter immer noch davon ab, Elternzeit zu nehmen, sie haben die 2%-Grenze nie überschritten.
Um die finanziellen Einbußen auszugleichen, sind viele sogar zur Mehrarbeit bereit. Das Gesetz hat viel Kritik
geerntet, die sich vor allem auf den phasenweisen Ausstieg von fast ausschließlich Frauen aus dem Arbeitsmarkt bezieht.
In vielen Verlautbarungen aus Politik, Praxis und Wissenschaft wird es als ein Gesetz angesehen, das für junge
Frauen ein erhebliches Beschäftigungsrisiko mit sich bringt, für die Berufschancen junger Männer jedoch keine Auswirkungen hat. Etwa die Hälfte der Frauen
kehrt nach Ablauf der drei Jahre nicht mehr in den Beruf zurück.
Andere Optionen als die "Elternzeit" stehen für viele Eltern auch Alleinerziehende
nicht zur Verfügung, weil in der BRD (West) nur für 3,8% der Kinder unter drei Jahren Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen (Ost noch 37,3%).
Seit einiger Zeit wird in der Bundesrepublik das Konzept "Erziehungsgehalt" oder "Familiengeld" diskutiert. Als Begründung für die finanzielle
Aufwertung der Erziehungsarbeit werden Geburtenrückgang und zunehmende Vernachlässigung von Kindern genannt.
Nach den Konzepen sollen Eltern zwischen 500 und 1000 Euro für das erste und 500 Euro für jedes weitere
Kind bekommen, bis zum Alter von sieben Jahren. Wer drei Kinder hat, hätte dann ein Erziehungsgehalt, das einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entspricht.
Für Alleinerziehende ist ein Zuschlag von 15% vorgesehen, weil sie keinen "Haupternährer" zu Hause haben. Faktisch würde so ein Anreiz zum Ausstieg
für diejenigen Einkommensgruppen gegeben, bei denen das Erziehungsgehalt höher ist als das durch Erwerbsarbeit erzielte Einkommen.
Für Väter wäre es wahrscheinlich ebenso wenig attraktiv, wie das Erziehungsgeld. Letztlich gehen
auch diese Modelle von einem traditionellen Rollenverständnis aus und an der gelebten Realität einer Pluralität von Lebensformen vorbei.
Familienverbände fürchten einen Abbau von sowieso schon nicht ausreichenden Betreuungsplätzen
sowie die Senkung professioneller Standards. Die Modelle sind geeignet, Frauen noch weiter aus dem Erwerbsarbeitsmarkt zu verdrängen. In einem langen Qualifizierungsprozess
angeeigneten Qualifikationen werden entwertet und Armut im Alter wäre weiterhin die Folge.
Seit Beginn der "neuen" Frauenbewegung in der Bundesrepublik West wird die Frage nach Lohn für
Hausarbeit diskutiert. Teile der Frauenbewegung erhofften sich durch eine Entlohnung der Hausarbeit, dass diese Arbeit gesellschaftlich sichtbar und wertvoll wird und diejenigen
Technologien eingesetzt werden, die die Hausarbeit wirklich reduzieren.
Wenn Frauen materiell unabhängig sind, so wurde gehofft, sind sie auch imstande, die Hausarbeit und ihre
Organisation in Frage zu stellen, also diese Arbeitsform zu verweigern und ihre Vergesellschaftung zu fordern oder zumindest eine Gleichverteilung zwischen den Geschlechtern.
Konzepte zur Vergesellschaftung der Hausarbeit standen allerdings auch damals kaum zur Debatte und außer in
einigen Wohngemeinschaften studentischer oder intellektueller Individuen wurde wenig von der Notwendigkeit der Einbeziehung der Männer in diese Arbeitsform gesprochen.
Gerade weil die Propagierung von häuslicher Kindererziehung und Altenpflegearbeit in der
"Kernfamilie" kritisch betrachtet werden muss, ist es fraglich, ob alle jetzt unbezahlt geleisteten Hausarbeiten vergesellschaftet und in bezahlte Arbeiten umgewandelt werden
sollten. Das würde zur Folge haben, dass alle Arbeiten, die der Befriedigung immaterieller Bedürfnisse nach Kommunikation, Zuwendung, Zärtlichkeit etc. dienen, den
Kriterien der Lohnarbeit unterworfen und damit kaufbar und zur Ware würden.
An der geschlechtsspezifischen Zuweisung dieser Arbeiten würde eine Bezahlung kaum etwas ändern. Das
wird am Beispiel bezahlter Erziehungsarbeit und Altenpflege deutlich: Es sind immer noch vereinzelte Männer, die in diese Berufe eindringen. Argumente gegen ein Hausfrauen-
oder Familiengehalt sind vor allem die mangelnde Kollektivität dieser Arbeit, deren Bezahlung letztendlich dazu führen würde, dass es für einzelne
Männer noch leichter ist, von der gesamten Alltagsarbeit befreit zu werden.
Es kann nicht darum gehen, Menschen vorwiegend Frauen , die Familienarbeit schmackhaft zu machen,
weil Berufstätigkeit und Kinderhaben so schlecht zu kombinieren ist und weil der Arbeitsmarkt ohnehin entlastet werden muss. Die Frage, die bei allen Maßnahmen gestellt
werden muss, heißt: Führen sie zu einer Veränderung des traditionellen Geschlechterarrangements?
Um dies zu erreichen, wird eine Neuverteilung von jetzt bezahlt und unbezahlt geleisteter Arbeit zwischen den
Geschlechtern notwendig. Voraussetzung ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollzeitarbeit, eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie die Professionalisierung
etlicher jetzt unbezahlt geleisteten Arbeiten im Haushalt und im Sozial- und Gesundheitsbereich.
Die Elternzeit müsste eine steuerpflichtige Lohnersatzleistung, Rückkehrgarantie auf den alten Arbeitsplatz
nach der Phase der ca. zwölfmonatigen Unterbrechung, die durch Männer und Frauen, die gemeinsam Kinder erziehen wollen, verbindlich zu teilen wäre, vorsehen.
Für Alleinerziehende müsste die gesamte Zeit zur Verfügung stehen, sie müsste aber auch auf
Antrag auf andere Bezugspersonen übertragbar sein. Zudem werden flächendeckende pädagogisch wertvolle Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder aller
Altersgruppen und Ganztagsschulen notwendig.
Besser als die Bezahlung von isoliert geleisteter Haus- und Erziehungsarbeit ist die Förderung von
Rahmenbedingungen, die es beiden Geschlechtern und Menschen, die in unterschiedlichen Formen zusammenleben, ermöglichen, sinnvolle Erwerbstätigkeit mit Haus- und
Sorgearbeiten, künstlerischen, kulturellen, politischen oder gemeinwesenorientierten Arbeiten zu verbinden.
Visionen einer humanen Ökonomie sind bereits bestehende innovative Formen gemeinschaftlichen,
egalitären Lebens und Arbeitens, wie es durch zahlreiche Wohnprojekte, Wohngemeinschaften, selbstverwaltete Betriebe, Genossenschaften und kommunitäre Lebens- und
Arbeitsformen praktiziert wird.
Gisela Notz