SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 7

Statt Familiengeld — Arbeit neu verteilen

In der Familienpolitik muss das Geschlechterverhältnis auf die Tagesordnung

Im Wahlkampfjahr haben alle Parteien in der Bundesrepublik die Familie neu entdeckt. Familienpolitik ist nicht nur ein sozialpolitisches, sondern auch ein wichtiges ökonomisches Problem geworden und — seit die Ergebnisse der PISA-Studie bekannt wurden — ein bildungspolitisches obendrein. Wie und mit welchen Ressourcen und Methoden die Familie gestärkt werden soll, darüber sind sich die Parteien untereinander überhaupt nicht einig. Vorerst wird unisono die Bevorzugung der Kinderlosen beklagt.
Das Kernstück des familienpolitischen Konzepts von CDU und CSU ist das "Familiengeld". Es soll ab 2003 einkommensunabhängig in Höhe von 600 Euro monatlich an alle Familien gezahlt werden und zu einer echten "Wahlfreiheit" zwischen Familie und Beruf führen. Das versteckte Ziel dürfte sein, die "Erwerbsneigung" der Frauen zu senken.
Die Kosten für das Familiengeld werden auf 20 Mrd. Euro beziffert. Das Geld soll durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eingespart werden. Rot-grün kritisiert diese Finanzierung als "völlig illusorisch", Bundeskanzler Schröder nennt das Konzept "Wahlkampfgetöse".
SPD und Grüne haben erkannt, dass monetäre Leistungen für Familien alleine nicht ausreichen. In einer Regierungserklärung zur Familienpolitik hat Schröder am 18. April 2002 ein milliardenschweres "Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung" angekündigt.
"Flexible Kinderbetreuung" fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm. Praktische Umsetzungsschritte und pädagogische Konzepte werden dabei offensichtlich auf die nächste Legislaturperiode vertagt. 4 Milliarden Euro sollen für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten für eine flächendeckende Kinderbetreuung werden aber auf bis zu 11,2 Mrd. Euro geschätzt.
Die Grünen fordern eine Kindergrundsicherung, die PDS ein existenzsicherndes Kindergeld für alle Kinder und Kindertagesstätten und Ganztagsschulen. Auf die Konzepte der Regierungsparteien reagiert die CDU ihrerseits, indem sie sie als lehre Wahlversprechen abtut.

Die Vorgeschichte

Die Möglichkeit der außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen war seit Beginn der Industrialisierung eng mit der wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklung der Industriegesellschaft verbunden. Zu Zeiten eines Überangebots von um bezahlte Arbeit Nachsuchenden wird die Notwendigkeit der kindlichen Versorgung und der Hilfe von Pflegebedürftigen im eigenen Haushalt ganz hoch aufgehängt.
Die bürgerlichen Parteien fordern nun für etwas Bezahlung, das bisher im Rahmen ihrer Ideologie als selbstverständlich und unbezahlbar gegolten hat. Warum kommen sie auf diese Idee? Vor allem, weil die Frauen das Haus verlassen und berufstätig sein wollen.
Die ungebührliche "Erwerbsneigung" der Frauen ist es angeblich, die die Arbeitslosenzahlen hochschnellen lässt. Weil es — dank Frauenbewegung — in der BRD schwierig ist, Frauen direkt nach Hause zu schicken, lässt man sich subtilere Maßnahmen einfallen, um sozialstaatliche Kosten zu sparen und gleichzeitig den Arbeitsmarkt zu entlasten.
1986 führte die konservativ-liberale Regierung Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ein, die an dem veralteten Familienmodell "Haupternährer" und kinderversorgender Ehefrau orientiert waren, was dem seit 1949 verbrieften Recht auf Gleichberechtigung widerspricht.
Das ist auch nah der Reformierung durch Rot-Grün und der Umbenennung in "Elternzeit" zum 1.Januar 2001 nicht anders. Sie beträgt weiterhin drei Jahre. Innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt eines Kindes wird ein Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro gezahlt (bzw. 450 Euro bei einer Elternzeit von einem Jahr), aber nur dann, wenn der erziehende Elternteil nicht erwerbstätig ist oder eine Teilzeitarbeit von höchstens 30 Wochenstunden ausübt und das Einkommen des Ehepartners einen bestimmten Betrag nicht überschreitet.
Alleinerziehende bekommen zusätzlich Sozialhilfe, eine deklassierende und diskriminierende Regelung. Es besteht ein Recht auf Arbeitszeitreduzierung für beide Elternteile, falls sie in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten arbeiten und dringende betriebliche Gründe nicht dagegen sprechen.
Während der Elternzeit besteht ein erweiterter Kündigungsschutz, jedoch keine Garantie auf den alten Arbeitsplatz. Mit der gesetzlichen Neuregelung kann die Elternzeit auch gleichzeitig oder abwechselnd durch Vater und Mutter in Anspruch genommen werden. Vor allem finanzielle Gründe, aber auch Gründe des Statusverlust, halten Väter immer noch davon ab, Elternzeit zu nehmen, sie haben die 2%-Grenze nie überschritten.
Um die finanziellen Einbußen auszugleichen, sind viele sogar zur Mehrarbeit bereit. Das Gesetz hat viel Kritik geerntet, die sich vor allem auf den phasenweisen Ausstieg von fast ausschließlich Frauen aus dem Arbeitsmarkt bezieht.
In vielen Verlautbarungen aus Politik, Praxis und Wissenschaft wird es als ein Gesetz angesehen, das für junge Frauen ein erhebliches Beschäftigungsrisiko mit sich bringt, für die Berufschancen junger Männer jedoch keine Auswirkungen hat. Etwa die Hälfte der Frauen kehrt nach Ablauf der drei Jahre nicht mehr in den Beruf zurück.
Andere Optionen als die "Elternzeit" stehen für viele Eltern — auch Alleinerziehende — nicht zur Verfügung, weil in der BRD (West) nur für 3,8% der Kinder unter drei Jahren Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen (Ost noch 37,3%).

Erziehungsgehalt oder Familiengeld

Seit einiger Zeit wird in der Bundesrepublik das Konzept "Erziehungsgehalt" oder "Familiengeld" diskutiert. Als Begründung für die finanzielle Aufwertung der Erziehungsarbeit werden Geburtenrückgang und zunehmende Vernachlässigung von Kindern genannt.
Nach den Konzepen sollen Eltern zwischen 500 und 1000 Euro für das erste und 500 Euro für jedes weitere Kind bekommen, bis zum Alter von sieben Jahren. Wer drei Kinder hat, hätte dann ein Erziehungsgehalt, das einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entspricht. Für Alleinerziehende ist ein Zuschlag von 15% vorgesehen, weil sie keinen "Haupternährer" zu Hause haben. Faktisch würde so ein Anreiz zum Ausstieg für diejenigen Einkommensgruppen gegeben, bei denen das Erziehungsgehalt höher ist als das durch Erwerbsarbeit erzielte Einkommen.
Für Väter wäre es wahrscheinlich ebenso wenig attraktiv, wie das Erziehungsgeld. Letztlich gehen auch diese Modelle von einem traditionellen Rollenverständnis aus und an der gelebten Realität einer Pluralität von Lebensformen vorbei.
Familienverbände fürchten einen Abbau von sowieso schon nicht ausreichenden Betreuungsplätzen sowie die Senkung professioneller Standards. Die Modelle sind geeignet, Frauen noch weiter aus dem Erwerbsarbeitsmarkt zu verdrängen. In einem langen Qualifizierungsprozess angeeigneten Qualifikationen werden entwertet und Armut im Alter wäre weiterhin die Folge.
Seit Beginn der "neuen" Frauenbewegung in der Bundesrepublik West wird die Frage nach Lohn für Hausarbeit diskutiert. Teile der Frauenbewegung erhofften sich durch eine Entlohnung der Hausarbeit, dass diese Arbeit gesellschaftlich sichtbar und wertvoll wird und diejenigen Technologien eingesetzt werden, die die Hausarbeit wirklich reduzieren.
Wenn Frauen materiell unabhängig sind, so wurde gehofft, sind sie auch imstande, die Hausarbeit und ihre Organisation in Frage zu stellen, also diese Arbeitsform zu verweigern und ihre Vergesellschaftung zu fordern oder zumindest eine Gleichverteilung zwischen den Geschlechtern.
Konzepte zur Vergesellschaftung der Hausarbeit standen allerdings auch damals kaum zur Debatte und außer in einigen Wohngemeinschaften studentischer oder intellektueller Individuen wurde wenig von der Notwendigkeit der Einbeziehung der Männer in diese Arbeitsform gesprochen.
Gerade weil die Propagierung von häuslicher Kindererziehung und Altenpflegearbeit in der "Kernfamilie" kritisch betrachtet werden muss, ist es fraglich, ob alle jetzt unbezahlt geleisteten Hausarbeiten vergesellschaftet und in bezahlte Arbeiten umgewandelt werden sollten. Das würde zur Folge haben, dass alle Arbeiten, die der Befriedigung immaterieller Bedürfnisse nach Kommunikation, Zuwendung, Zärtlichkeit etc. dienen, den Kriterien der Lohnarbeit unterworfen und damit kaufbar und zur Ware würden.
An der geschlechtsspezifischen Zuweisung dieser Arbeiten würde eine Bezahlung kaum etwas ändern. Das wird am Beispiel bezahlter Erziehungsarbeit und Altenpflege deutlich: Es sind immer noch vereinzelte Männer, die in diese Berufe eindringen. Argumente gegen ein Hausfrauen- oder Familiengehalt sind vor allem die mangelnde Kollektivität dieser Arbeit, deren Bezahlung letztendlich dazu führen würde, dass es für einzelne Männer noch leichter ist, von der gesamten Alltagsarbeit befreit zu werden.
Es kann nicht darum gehen, Menschen — vorwiegend Frauen —, die Familienarbeit schmackhaft zu machen, weil Berufstätigkeit und Kinderhaben so schlecht zu kombinieren ist und weil der Arbeitsmarkt ohnehin entlastet werden muss. Die Frage, die bei allen Maßnahmen gestellt werden muss, heißt: Führen sie zu einer Veränderung des traditionellen Geschlechterarrangements?
Um dies zu erreichen, wird eine Neuverteilung von jetzt bezahlt und unbezahlt geleisteter Arbeit zwischen den Geschlechtern notwendig. Voraussetzung ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollzeitarbeit, eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie die Professionalisierung etlicher jetzt unbezahlt geleisteten Arbeiten im Haushalt und im Sozial- und Gesundheitsbereich.
Die Elternzeit müsste eine steuerpflichtige Lohnersatzleistung, Rückkehrgarantie auf den alten Arbeitsplatz nach der Phase der ca. zwölfmonatigen Unterbrechung, die durch Männer und Frauen, die gemeinsam Kinder erziehen wollen, verbindlich zu teilen wäre, vorsehen.
Für Alleinerziehende müsste die gesamte Zeit zur Verfügung stehen, sie müsste aber auch auf Antrag auf andere Bezugspersonen übertragbar sein. Zudem werden flächendeckende pädagogisch wertvolle Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen und Ganztagsschulen notwendig.
Besser als die Bezahlung von isoliert geleisteter Haus- und Erziehungsarbeit ist die Förderung von Rahmenbedingungen, die es beiden Geschlechtern und Menschen, die in unterschiedlichen Formen zusammenleben, ermöglichen, sinnvolle Erwerbstätigkeit mit Haus- und Sorgearbeiten, künstlerischen, kulturellen, politischen oder gemeinwesenorientierten Arbeiten zu verbinden.
Visionen einer humanen Ökonomie sind bereits bestehende innovative Formen gemeinschaftlichen, egalitären Lebens und Arbeitens, wie es durch zahlreiche Wohnprojekte, Wohngemeinschaften, selbstverwaltete Betriebe, Genossenschaften und kommunitäre Lebens- und Arbeitsformen praktiziert wird.
Gisela Notz


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