SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 10

Attac

Zwischen NGO-Netzwerk und Mitgliederorganisation

Der 6.Attac-Ratschlag am 25./26.6.2002 in Frankfurt am Main mit über 400 Teilnehmenden stand vor schweren Aufgaben. Vor allem musste für das rasant gewachsene Attac-Netzwerk in Deutschland eine neue Struktur gefunden werden. Vor einem Jahr zählte Attac nach eigenen Angaben 300 Mitglieder, heute sind es fast 7000. Der bundesweite Koordinierungskreis und seine rechte Hand, die Mitarbeiter des Attac-Büros in Verden an der Aller, sind dem massiven Andrang von neuen Mitgliedern und Ortsgruppen kaum noch gewachsen, der nach den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel im vergangenen Jahr in Genua einsetzte.
Bei der "Strukturdebatte" ging es um verschiedene Modelle der Basisdemokratie: Vollversammlungen versus Delegiertenprinzip, Konsensentscheidungen versus Mehrheitsvotum.
Misstrauen hatte sich vor allem zwischen einigen der mittlerweile 120 Regionalgruppen und jenen Organisationen entwickelt, die im Januar 2000 den deutschen Attac-Ableger des internationalen Netzwerks ins Leben riefen. Während die einen vor allem die individuellen Mitglieder stärken wollten, ging es zweiten um ihre Position als Gruppe. Die Mitgliedsorganisationen reichen heute von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di über kirchliche Gruppen bis hin zu kleinen NGOs.
"Es schon erstaunlich, dass Ortsgruppen meinen, den beteiligten Organisationen nicht einmal eine quotierte Beteiligung von Delegierten ermöglichen wollen", beschwerte sich Werner Rätz von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Als Mitgründer von Attac und Mitglied des Koordinierungsausschusses hatte er nicht viel Verständnis für die Sprecher der Ortsgruppen, die den Einfluss der Organisationen weiter beschneiden wollten, obgleich ein bereits ausgearbeiteter Kompromissentwurf zur Attac-Struktur vorlag.
Der Entwurf gab den Ortsgruppen bereits deutlich mehr Rechte. Nun können sie in den Koordinierungskreis als auch in den Attac-Rat doppelt so viele Mitglieder entsenden wie die Organisationen. Vielen der kleineren NGOs, die in der Gründungsphase von Attac Deutschland viel geleistet hatten, ging das zu weit.
"Seitdem hat sich viel geändert", sagt Rüdiger Heescher von der Ortsgruppe Dortmund, der den Kompromissvorschlag mit ausgearbeitet hat. "Die Gruppen schießen aus dem Boden, pro Woche gibt es 150 neue Mitglieder, das muss berücksichtigt werden." Bis zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien war er Mitglied bei den Grünen, dann hat er seine Mitgliedschaft quittiert.
Wie Heescher geht es vielen bei Attac. "Die parlamentarische Demokratie steckt in einer Krise", meint auch Claudia Meyer von der Jugendorganisation des DGB. Sie warnt davor, dass es eine "rechte Antwort auf die Akzeptanzkrise des Neoliberalismus" gibt. Angesichts der Wahlerfolge rechter Parteien im europäischen Ausland drängen einige bei Attac zur Eile. Sie wollen baldmöglichst eine Alternative finden und nicht den rechten Gegnern der Globalisierung das Feld überlassen.
Das heißt nicht, dass sie selbst eine Partei werden wollen — auch wenn der Ablauf des Ratschlags bisweilen diesen Eindruck erweckt hat. Attac, so wird immer wieder betont, setzt auf partizipative statt auf repräsentative Demokratie. Deshalb wurde die Vorstellung, als Attac zu Wahlen zu kandidieren, auch einhellig abgelehnt. Das Netzwerk ist eher von den demokratischen Potenzialen einer außerparlamentarischen Bewegung überzeugt. Der deutsche Attac- Ableger mobilisiert nicht nur zusammen mit den Jugendorganisationen des DGB für eine Großdemonstration eine Woche vor der Bundestagswahl in Köln, sondern auch gegen den kommenden Regierungsgipfel der Europäischen Union im spanischen Sevilla.
Attac schwingt heute keine radikalen Parolen. Viele Mitglieder sind sehr pragmatisch. Einige würden gerne den IWF und die Welthandelsorganisation reformieren und legen dabei ein ausgeprägtes Abgrenzungsbedürfnis gegen weitergehende Forderungen an den Tag, die von linken Gruppen in Attac vorgetragen werden. Der Weg zu einer außerparlamentarischen Sozialdemokratie ist deswegen noch nicht vorgezeichnet.
Auch auf dem nächsten Ratschlag nach der Bundestagswahl wird um Positionen und Strukturen gestritten werden. Das Schicksal von Attac jedoch wird zunächst davon abhängen, wie die vielen neuen Mitglieder integriert werden können. Das wiederum kann kein bundesweiter Ratschlag und kein Koordinationskreis leisten, sondern an dieser Stelle sind die Ortsgruppen gefragt.
Gerhard Klas


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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