SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 10

Buko 25 in Frankfurt

‘Internationalismus nach Seattle, Genua und dem 11.September‘

Als sich im letzten Oktober in Berlin 4000 Leute zum Attac-Kongress trafen, belegte der unerwartet hohe Besuch die auch nach dem 11.September fortdauernde Dynamik der globalisierungskritischen Bewegung.
Ein Wochenende zuvor hatten in München die 250 Gäste des 24. "Bundeskongresses der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen" (Buko) ähnliche Befürchtungen und Hoffnungen geteilt. Traf sich in Berlin der eher reformistische Teil der "GlobalisierungskritikerInnen", sammelte sich in München deren linksradikale Strömung.
Ein halbes Jahr später scheint sich die Dynamik der Bewegung nicht unerheblich zu verschieben. Denn am 25.Buko, der vom 9. bis 12.Mai in Frankfurt tagte, nahmen insgesamt tausend Leute teil — viermal so viel wie in München.
Der Frankfurter Kongress war aber nicht nur selbst ein Erfolg, sondern bereitete den nächsten vor. 25 Jahre lang koordinierte "der" Buko über "Arbeitsschwerpunkte", Kampagnen, Publikationen, Seminare und den alljährlichen Kongress die lokalen Gruppen der "Solibewegung". Künftig will "die" Buko zum Netzwerk nicht mehr nur der Dritte-Welt-Solidarität, sondern auch feministischer, ökologischer, antimilitaristischer, antifaschistischer und antirassistischer Gruppen werden.
Dem trägt der neue Name — "Bundeskoordination Internationalismus" — ebenso Rechnung wie die Liste der am Kongress beteiligten Gruppen, darunter Kanak Attak, die DFG-VK, die Antifaschistische Aktion Berlin, das Sozialistische Büro, die Redaktion Fantômas, die Kampagne Libertad! und die feministische Gruppe Respect-los.
Der Versuch, internationalistische Theorie und Praxis vom Horizont der klassischen Dritte-Welt-Solidarität abzulösen und mit sozialen Kämpfen im eigenen Land und, wichtiger noch, mit dem eigenen Alltag zu verbinden, ist beileibe keine Erfindung des Frankfurter Kongresses. Gelingt die Öffnung der Buko, bietet sich diesem Versuch allerdings erstmals ein organisatorischer Rahmen.
Dass aus einer erweiterten Buko kein Gemischtwarenladen wird, hängt organisatorisch an der Struktur eines nichthierarchischen Netzwerks selbstständiger Gruppen und Individuen und politisch am gemeinsamen, wenn auch unterschiedlichen Bezug dieser Gruppen auf die weitere globalisierungskritische Bewegung.
Kein Wunder, dass das Verhältnis zu Attac ein zentrales Thema des Kongresses war: auch Attac ist ein Netzwerk globalisierungskritischer Gruppen und Individuen. Deren Vielfalt richtet sich weltweit grob nach zwei Tendenzen aus. Bis jetzt vorherrschend ist die Tendenz einer "außerparlamentarischen Sozialdemokratie", die den verwaisten Platz der neoliberal verendenden Parteisozialdemokratie einnehmen will.
Neben ihr wächst eine antikapitalistische Strömung als Resonanzraum einer erneuerten radikalen Linken. In Deutschland könnten Attac und die Buko zu Orten dieser Ausdifferenzierung werden. An der politischen Form des nichtrepräsentativen offenen Forums liegt es, dass das nicht auf Abgrenzungsrituale hinaus laufen muss.
Im Unterschied zu Parteien oder Einheitsorganisationen ähnlichen Typs können netzwerkförmige Foren gar nicht in ein Konkurrenzverhältnis treten, wollen sie nicht aufhören, freies Medium eines freien Austauschs zu sein. Ihre Offenheit müssen beide Foren schon deshalb beibehalten, weil sie die Dynamik der Gesamtbewegung nur in dem Maß beeinflussen können, in dem sie eben diese Dynamik ausdrücken.
Die ist nicht nur in der Praxis ungebrochen, sondern radikalisiert sich auch in Analyse und Diskurs — auch innerhalb von Attac. Vereinheitlichungsversuche brechen sich dabei nicht zuletzt an Einzelpersonen und Organisationen wie Medico International oder der Informationsstelle Lateinamerika, die beiden Netzen angehören.
Dass die strukturelle Offenheit den Streit in der Sache nicht ausschließt, zeigten in Frankfurt die Debatten, an denen Vertreter von Attac mitwirkten. Neben der staatsnahen Ausrichtung des "offiziellen" Attac-Diskurses wurde vor allem dessen affirmativer Bezug auf die Medienindustrie scharf kritisiert. Hier setzt die Buko auf Praxen der Gegenöffentlichkeit, die im Alltagsleben wirken und Formen der direkten Aktion einschließen.
Dass internationale Solidarität im Nord-Süd-Verhältnis ein Schwerpunkt der Buko bleibt, bewies die größte Einzelveranstaltung, auf der es unter dem Titel "Der Nahostkonflikt und die Solidaritätsbewegung" um "Wege aus der Sackgasse" ging. Auf dem Podium diskutierten die der KP Israels angehörende palästinensische Feministin Aida Touma Souliman, der israelische Historiker Mosche Zuckermann und der Frankfurter Politologe Sabah Alnasseri.
Im mit 700 Leuten bis zum Bersten gefüllten Saal forderten sie eine politische Lösung, deren Kern das Ende der israelischen Besatzung, die Räumung der Siedlungen und die symbolische Anerkennung des Rückkehrrechts seien. Die tragische Dimension des Konflikts, dessen furchtbarste Tage noch vor uns lägen, sahen sie in der Blockade einer solchen Lösung durch die politischen, ökonomischen und ideologischen Machtverhältnisse auf israelischer und arabischer Seite.
Dass diese Situation die internationale Linke nicht von der praktischen Solidarität zuerst mit den Palästinensern und der israelischen Anti-Kriegs-Bewegung entbinde, fand im Saal, nicht aber unter allen Buko-Gruppen Zustimmung. Zu den Potenzialen der Buko gehört es anderswo undenkbares zu versuchen: ein Forum zu schaffen, in dem antideutsche und antiimperialistische Positionen wenigstens ihre Differenzen klären könnten. Der Ausgang dieses Versuchs wird zeigen, was die Linke in Deutschland von ihrer "Bundeskoordination Internationalismus" erwarten kann.
Thomas Seibert

Thomas Seibert vertritt Medico International in der Buko.




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