SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 12

Friedenspolitik am Ende?

Israels Aggression und die imperialen Interessen der USA

Israel war traditionell immer ein Bestandteil der US-Strategie im Nahen Osten. Wie allgemein bekannt ist, drehte sich diese Strategie in erster Linie ums Öl: Die wachsende Bedeutung des Öls im Allgemeinen und insbesondere des Öls im Nahen und Mittleren Osten für die westlichen Ökonomien seit dem Zweiten Weltkrieg erklärt das wachsende Engagement der USA in dieser Region.
Dieses Engagement konzentrierte sich auf die Vormundschaft über das saudische Königreich — bereits seit 1945, noch vor der Schaffung des Staates Israel. Letzterer sollte zum Kettenhund der regionalen Interessen der USA werden: Da Israel von Geburt an ein militarisierter Staat war — d.h. ein Staat mit einem hohen Grad an militärischer Bereitschaft, mit hohen Militärausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und mit einem hohen Grad an militärischer Mobilisierung seiner Bevölkerung — und aufgrund seines kolonialen Ursprungs und der feindlichen Beziehung zu seiner Umwelt auch nichts anderes sein konnte, war es für diese Rolle geradezu prädestiniert.
Dadurch sollte es eine Bedrohung für jedes benachbarte arabische Regime werden, das die US-Interessen in der Region, hauptsächlich die Kontrolle der USA über das Öl der Saudis, gefährden würde.
Doch Israels Bedeutung für die regionalen Interessen der USA wurde erst in den späten 50er Jahren entscheidend: Davor gab es keine ernsthafte Infragestellung der US-Interessen im Mittleren Osten. Der aufkommende arabische Nationalismus war noch schwach und richtete sich in erster Linie gegen den traditionellen westeuropäischen Kolonialismus. Seine Radikalisierung fand in der Folge unter Nasser statt, der zum Hauptfeind der saudischen Monarchie werden sollte.
Nassers Projekt der Einigung der arabischen Nation unter seiner Führung und die Allianz, die er mit der Sowjetunion bildete, der er so einen Zugang zu diesem Teil der Welt verschaffte, waren die Faktoren, die Israel in den Rang eines entscheidenden regionalen Verbündeten der USA erhoben.
Dieser Wandel fand seinen Ausdruck in der veränderten Haltung der USA — vom Suezkrieg 1956 bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967. 1956 attackierte Israel Nassers Ägypten im Bündnis mit den beiden traditionellen Repräsentanten europäischer Vorherrschaft in der Region — Frankreich und Großbritannien. Dagegen wandten sich die USA: nicht nur, weil sie sich von den traditionellen kolonialen Interessen distanzierten, sondern auch weil diese Dreierkoalition die antiwestlichen Gefühle unter den Arabern zu einer Zeit nur schüren konnte, als die USA noch darauf hofften, mit Ägypten freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten.
1967 befand sich jedoch der arabische Nationalismus auf dem Höhepunkt seiner "sozialistischen" Radikalisierung, in Ägypten seit den frühen 60er Jahren, in Syrien seit 1966; die Feindschaft beider Staaten gegenüber Saudi-Arabien war intensiv. Die USA fürchteten, dass eine radikale Allianz Kairo—Damaskus, zusammen mit dem Irak, wo die arabischen Nationalisten bereits an der Macht waren, einen machtvollen Schraubstock um die Saudis legen könnte. Deshalb erhielt Israel für seine Aggression am 5.Juni 1967 grünes Licht.
In diesem Krieg, der zum entscheidenden Wendepunkt in der Region nach 1948 wurde — der Nahe Osten knabbert immer noch an den Resultaten des Krieges von 1967 —, standen zwei verschiedene, aber konvergierende Interessen auf dem Spiel. Einerseits die US-Interessen wie oben erläutert, andererseits die Interessen des Staates Israel, der niemals nur eine bloße "Marionette" der USA war, sondern stets eine eigenständige Politik verfolgte, was 1956 deutlich wurde und bis heute gilt. Für Israel passte die US-Mission, den Regimen in Kairo und Damaskus einen tödlichen Schlag zu versetzen, perfekt in die eigenen Pläne, die Arbeit zu beenden, die es 1948 begonnen hatte, indem es nun das Westjordanland und den Gazastreifen besetzte.
Die Belohnung der USA für Israels militärische Leistung war die Unterstützung zweier Ansprüche, die die zionistische Regierung gegenüber ihren arabischen Nachbarn erhob: die Neuordnung der Grenzen Israels unter dem Aspekt der "Sicherheit" Israels und die Anerkennung des Staates Israel durch die arabischen Regime, um so den seit 1948 bestehenden Kriegszustand zu beenden. Diese Ansprüche standen im Zentrum der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats, dem im November 1967 die USA zustimmten.
Israels Gebietsansprüche kamen den USA um so mehr entgegen, als die palästinensische Bevölkerung nach Juni 1967 eine starke Radikalisierung durchmachte und klar wurde, dass jede direkte Rückkehr ins Westjordanland die haschemitische Monarchie gefährden würde. Somit konnte die israelische Regierung an die Durchsetzung des Allonplans gehen, d.h. an die Errichtung strategischer Positionen im Westjordanland, um das Gebiet zu kontrollieren, mit Blick auf eine spätere Entlastung eigener übervölkerter Gebiete.
Dieser Plan sollte die wichtigste Säule der zionistischen Friedensangebote werden, einschließlich der Osloer Abkommen und Baraks Angebot bei den Verhandlungen in Camp David im Jahr 2000. Dieses Konzept wurde und wird immer noch von den USA unterstützt.
Viele Beobachter dachten, Israels strategische Bedeutung für die USA werde nach 1991 drastisch abnehmen: dies war das Jahr des Golfkriegs mit einer massiven direkten US-Militärintervention in der Region und der Etablierung einer permanenten militärischen Präsenz der USA in den arabischen Golfstaaten — und es war das Jahr des Zerfalls der UdSSR. Tatsächlich könnte man sogar Ägyptens Wende von der UdSSR zu den USA im Jahr 1972, unter Sadat, als Wendepunkt betrachten, was die "ausgewogenere" Haltung Washingtons bei der Vermittlung eines Friedens zwischen Ägypten und Israel nach dem Krieg von 1973 erklärt.
Sicher markierten sowohl 1972 als auch 1991 wesentliche Wendepunkte, die die USA veranlassten, auf Israel einen größeren Druck auszuüben, Zugeständnisse zugunsten einer pax americana zu machen. Vor diesem Hintergrund konnte der Friedensvertrag zwischen dem Israel Begins und dem Ägypten Sadats geschlossen werden, vor diesem Hintergrund übten die USA auch 1991 Druck auf die Regierung Shamir aus, damit diese sich am "Friedensprozess" beteiligte.
Doch Israels Bedeutung als strategischer Trumpf der USA hat sich nicht in Luft aufgelöst. Angesichts der instabilen und explosiven sozialen und politischen Situation in den arabischen Ländern wissen die USA nur zu gut, dass sie sich nicht auf die Stabilität irgendeiner Allianz dort verlassen können. Die Tatsache, dass Israel als politische Einheit von den USA strategisch abhängig ist, macht es zu ihrem stabilsten Verbündeten.
Die USA wissen, dass der Truppenstärke, die sie in der Region stationieren können, enge Grenzen gesetzt sind; das zeigt der hohen Preis, den sie für die Stationierung von 5000 Soldaten in Saudi-Arabien gezahlt haben, darunter die Anschläge vom 11.September. Sie wissen darüber hinaus, dass die Entsendung von Truppen in die Region zeitraubend und keineswegs garantiert ist, dass sie so leicht gelingt wie während des militärischen Aufmarschs gegen den Irak 1990.
In diesem Sinne ist Israels Rolle als militärischer Vorposten der USA in diesem Teil der Welt immer noch sehr wertvoll, und die 5 Milliarden Dollar, die die amerikanischen Steuerzahler dafür jedes Jahr bezahlen, sind eine sehr solide Investition, wenn man vergleicht, was erreicht würde, wenn dieselbe Summe zum riesigen Militäretat der USA einfach addiert würde.
Das führt uns zur aktuellen Lage. Die militärische Aggression Israels gegen die von den Palästinensern kontrollierten Gebiete im Westjordanland ist das Produkt eines Zusammenfließens verschiedener Faktoren. Der erste Faktor ist die Sackgasse, in die der Allonplan, d.h. der "Friedensprozess", geraten ist: Es ist klargeworden, dass die palästinensische Bevölkerung nicht akzeptieren würde, was sich nach den ersten Illusionen von 1993/94 zunehmend als Scheingeschäft entpuppte.
Es ist auch klargeworden, dass Arafat nicht das Risiko eingehen wird, sich gegen sein Volk zu stellen für etwas, was auch ihm immer mehr als krumme Tour und tödliche Falle erscheinen musste. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden: Die palästinensische Bevölkerung hätte nur dazu gebracht werden können, die bitteren Pillen der amerikanisch-zionistischen Medizin zu schlucken, wenn sie einer brutalen Diktatur unterworfen worden wäre.
Der zweite Faktor ist offensichtlich Sharons Machtantritt in Israel — Ausdruck der nahezu einmütigen Entscheidung des zionistischen Establishments, mit den Palästinensern abzurechnen. Mit Unterstützung der Arbeitspartei macht Sharon, was diese selbst nicht hätten tun können, ohne ihr spezifisches politisches Kapital zu Hause und im Westen zu gefährden.
Der dritte Faktor ist offensichtlich der 11.September mit seinen Folgen: Indem der "Krieg gegen den Terrorismus" zur neuen Schlagzeile der weltweiten Interventionspolitik der USA gemacht wurde, lieferten die Anschläge auf Washington und New York Sharon den erforderlichen Vorwand für seine eigenen Zwecke.
Wir nähern uns jetzt einem Punkt, wo sich diese Konvergenz wahrscheinlich erschöpft und die vorübergehenden Verbündeten ihre eigenen Wege gehen. Sharons Plan besteht nicht darin, die "terroristische Infrastruktur" zu zerstören, um den Weg für einen erneuten Versuch der Errichtung eines palästinensischen Bantustans zu ebnen. Sein wirklicher Plan ist die Zerstörung der "Palästinensischen Autonomiebehörde" (PA), um eine direkte Herrschaft über die palästinensische Bevölkerung auszuüben, was diese zwingen würde, das Westjordanland zu verlassen, womit das Projekt des Bevölkerungstransfers, das Sharon stets mit seinem ermordeten Freund Zeevi teilte, verwirklicht würde.
Die USA und ihre treuen Verbündeten in der zionistischen Arbeitspartei zielen auf eine wiederhergestellte PA, die mit repressiveren Mitteln über eine deutlich geschwächte palästinensische Bevölkerung herrscht, im Rahmen eines mehr oder weniger auf Baraks Angebot in Camp David basierenden Friedens und kombiniert mit dem saudischen Angebot "normalisierter" Beziehungen Israels mit der arabischen Welt.
Das saudische Angebot ist in Wirklichkeit vom US-Außenministerium ausgearbeitet worden, um dem sterbenden "Friedensprozess" wieder Schwung zu verleihen: Es enthält grundsätzlich nichts Neues, außer dass es vom saudischen Königreich formuliert wurde, das es bislang vorgezogen hat, aus Furcht vor den politischen Auswirkungen eines solchen chaotischen "Friedensprozesses" nicht im Rampenlicht zu stehen.
Das riesige Problem ist jedoch, dass Sharons Aggression gegen die Palästinenser in der ganzen arabischen Welt eine derart große Verbitterung gegen Israel und die USA hervorgerufen hat, dass sie selbst zu einem ernsthaften Hindernis für jede Wiederaufnahme des "Friedensprozesses" geworden ist. Dass dies auch Sharons Ziel war, darüber besteht kein Zweifel.
Das gilt jedoch nicht für Bush oder Peres — allerdings zeichnen sich beide durch politische Kurzsichtigkeit und mangelnde Intelligenz aus. Was sie Sharon mit einer Mischung aus Duldung und Nachsicht erreichen ließen, könnte sich wahrscheinlich als historischer Wendepunkt erweisen, der jede Perspektive eines von den USA geförderten arabisch-israelischen Friedens zunichte macht und zur Destabilisierung der ganzen Region führt, sehr zum Schaden der US-Interessen, wie die riesigen Massenmobilisierungen, die fast ausnahmslos in allen arabischen Ländern stattfanden, zeigen.
Es wäre nicht das erste — und sicher auch nicht das letzte — Mal, dass die USA die Saat der Rebellion gegen ihre eigenen Interessen säen. Bush und Sharon bereiten für die USA und Israel zukünftige Desaster vor, so dass der 11.September in der Rückschau womöglich nur als ein Anfang erscheint.
Gilbert Achcar

Der Autor lehrt politische Wissenschaft und internationale Beziehungen an der Universität Paris VIII. Der Artikel erschien ursprünglich in der Zeitschrift "Between the Lines" (Jerusalem), Mai 2002.




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