SoZ Sozialistische Zeitung |
Wir haben 1997 wir den Aufruf "Kein Mensch ist illegal" veröffentlicht. Er traf auf breite Zustimmung. Immer mehr Menschen
erkannten, dass die systematische, politisch gewollte Entrechtung und Kriminalisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen nicht länger hinzunehmen ist.
Viele Initiativen, Institutionen und Gremien haben sich seitdem mit der Situation Illegalisierter befasst, Solidarität
mit ihnen eingefordert und praktiziert. Doch bis heute hat sich an ihrer Lage nichts geändert. Im Gegenteil: Mit der neuen Ausländer- und Antiterrorgesetzgebung droht den
Illegalisierten eine noch konsequentere Verfolgung als vor fünf Jahren. Die Zahl der illegalisierten MigrantInnen wird als Folge weiter wachsen.
Diese Politik hat nicht nur mit den Ereignissen am 11.September 2001 und dem in erster Linie von den G7-Staaten
erklärten internationalen Krieg gegen den Terrorismus zu tun.
Die Anschläge vom September 2001 markieren einen tiefen Einschnitt in die bisherige Strategie der G7-Staaten. Krieg und innerstaatliche Repression werden nicht mehr mit dem
"Schutz" von Menschenrechten legitimiert. Unter dem Motto "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!" werden terroristische, aber auch andere radikale Gegner
der herrschenden Weltwirtschaftsordnung ohne Rücksicht auf eigene demokratische Normen verfolgt. Besonders Flüchtlinge und MigrantInnen stehen unter Generalverdacht.
Die Instrumente der Repression sind totale Erfassung, Dauerüberwachung, Einschüchterung und Abschiebung.
1999 haben EU und NATO in Jugoslawien bzw. im Kosovo im Namen der Menschenrechte einen Krieg geführt,
der sich auch gegen Flüchtlinge richtete. In die NATO-Verträge wurde das Szenario, Massenflucht zu verhindern, als Kriegsgrund aufgenommen. Die Abwehr von
Flüchtlingen hat damit ein neues, nämlich offen kriegerisches Maß erreicht und tritt zur inneren und Grenzabwehrstrategie hinzu.
Die EU versucht schon seit einigen Jahren, ihre Flüchtlings- und Migrationspolitik auf unterstem Niveau zu
harmonisieren und die Methoden innerer Kriegführung gegen Flüchtlinge zu vereinheitlichen. Zwar wurde im Zuge der bereits vollzogenen Harmonisierung Deutschland
erfolgreich dazu gebracht, die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen. Es blieb jedoch bei diesem
singulären Erfolg. Die Absprachen auf EU-Ebene haben in erster Linie Verschlechterungen gebracht:
so werden Visabestimmungen und Grenzkontrollen
verschärft, wodurch die legalen Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge noch weiter verengt wurden;
die Lagebeurteilung von
Fluchtherkunftsländern wird vereinheitlicht, wodurch eine liberalere Asyl-Anerkennungspraxis in verschiedenen Ländern ausgemerzt wird;
Flüchtlinge im
Asylverfahren werden auf menschenunwürdigem Niedrigstniveau untergebracht und versorgt, abgelehnten Flüchtlingen werden sogar jegliche soziale Leistungen verweigert,
viele von ihnen werden so in die Illegalität abgedrängt;
Illegalisierte und ihre Unterstützer werden mit hohen Geld- und Haftstrafen belegt;
die
Abschiebung von "Ausländern ohne Aufenthaltsrecht" wird zur staatlichen Pflichtaufgabe gemacht;
auch in Deutschland werden zu diesem Zweck
"Ausreisezentren" für "vollziehbar Ausreisepflichtige" installiert. Die Abschiebungsgründe werden in Zuwanderungs- und Antiterrorgesetzen rabiat
ausgeweitet.
Im Rahmen der EU wollen die nationalen Regierungen in bedingtem Umfang Migration legalisieren. Mit einer neuen
Offenheit oder gar einem Verständnis von Gleichberechtigung hat das nichts zu tun. Das zeigt sich besonders in der Politik gegenüber den osteuropäischen EU-
Anwärterstaaten. Der teilweise Zutritt zum europäischen Arbeitsmarkt wird nur erteilt, wenn diese Staaten sich gleichzeitig zu Vorposten im Abwehrkrieg gegen Migration
und Flucht aufrüsten.
Weil die Vernutzung von Arbeitskräften, die in Osteuropa oder in Ländern der Dritten Welt ausgebildet
wurden, Profit verspricht, händigt die staatliche Bürokratie zeitlich befristete Zutrittsbillets zum europäischen Kernterritorium aus. Einwanderungs- und Asylpolitik sind
damit zu einer "Just-in-time-Migration" und einer "Just-in-time-Abschieberei" modernisiert worden. Die Migrations- und Asylpolitik wurde nahezu
vollständig dem Primat optimaler Ausbeutung von Humankapital unterworfen. Ausbeutung und Illegalisierung von MigrantInnen und Deregulierung der Lebens- und
Arbeitsverhältnisse von Einheimischen gehen Hand in Hand.
Und wieder sind es Frauen, die am heftigsten attackiert werden. Nicht nur verweigert Deutschland Frauen und
Mädchen jeglichen Schutz, denen sexuelle Gewalt in ihren Herkunftsländern angetan wurde und wird. Auch die Ausweitung der Billigstarbeiten gerade für Frauen
(Pflege- und Hausdienste) dient nicht der Anerkennung ihrer Würde und ihrer sozialen und politischen Rechte, sondern will vernutzen, was zu vernutzen sich gerade lohnt. Dass im
neuen, von den G7-Staaten jetzt eingeläuteten kriegerischen Zeitalter Frauen und Kinder die Hauptleidtragenden sind, wird ohnehin nicht weiter als störend
empfunden.
Kmii hat in den vergangenen Jahren mit einigem Erfolg die zielbewusste Illegalisierung angeprangert. Die von vielen erhoffte Selbstorganisation von Flüchtlingen und Illegalisierten
ist allerdings erst ansatzweise in Gang gekommen. Immerhin aber ist es uns und anderen gelungen, den Schutz von Illegalisierten wenigstens beispielhaft zu organisieren.
Die "Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten", das Wanderkirchenasyl in
NRW, die Kampagne gegen die Lufthansa und ihre Abschiebepolitik ("deportation-class"), der Aufbau von Gruppen, die Illegalisierten den Zugang zu medizinischer
Versorgung eröffnen, die Grenzcamps, die Kampagne der Flüchtlingsorganisation "The Voice" gegen die Residenzpflicht und gegen andere Formen von
amtlichem Rassismus sind Beispiele.
Wir haben in diesen Kämpfen erkannt, dass die Verbesserung der Lage von MigrantInnen legalen wie
illegalisierten nicht durchzusetzen ist, wenn die soziale oder politische Lage anderer gesellschaftlicher Gruppen verschlechtert wird, z.B. von abhängig Beschäftigten,
Arbeitslosen, gewerkschaftlichen, bürgerrechtlichen, linksradikalen Gruppen oder Individuen. Das gilt auch umgekehrt. Als Beispiel mag hier die Forderung gelten,
Flüchtlingen ein gleichberechtigtes Zugangsrecht zum Arbeitsmarkt zu verschaffen; sie war bei steigender Arbeitslosigkeit, die weitgehend widerstandslos hingenommen wird,
chancenlos.
Wir suchen deshalb in Zukunft verstärkt die Zusammenarbeit mit Einzelnen und mit Initiativen, die gleichfalls die
bisherigen Grenzen ihres politischen Engagements überwinden wollen. Wir beziehen uns dabei auf die positiven Erfahrungen in Frankreich oder in Italien, in den USA oder in
Kanada, wo im Kampf gegen die G7-Treffen und die WTO oder im Kampf der Sans Papiers neue Bündnisse geschmiedet wurden.
Wir haben aber ebenso die Dritte Welt im Blick, wo sich in Brasilien oder Indien, in Mexiko oder Argentinien die
Menschen den Zumutungen des global galoppierenden Kapitalismus der G7-Staaten und ihrer Statthalter widersetzen. Trotz der Hoffnung, die aus diesen Kämpfen spricht, treiben
die unerträglichen Verhältnisse Hunderttausende aus ihren Ländern. "Wir sind hier, weil ihr dort seid", macht die Flüchtlingsorganisation "The
Voice" die Zusammenhänge klar. Deshalb gilt den kämpfenden Menschen in der Dritten Welt ebenso unsere Solidarität wie den Flüchtlingen.
Wir setzen dem kalt kalkulierten Menschenverbrauch des Imperialismus und seinem funktionalen Menschenbild unsere Utopie entgegen: Wir kämpfen für gleiche soziale und
politische Rechte, für umfassende Menschenrechte. Unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit und Geschlecht. Wir kämpfen für offene Grenzen und
gerechte Lebensbedingungen für alle Menschen.
Deshalb schlagen wir vor, den Widerstand gegen die Ausgrenzung von MigrantInnen, von legalen wie illegalen, und von
Flüchtlingen mit dem Widerstand gegen den Abbau sozialer und politischer Rechte anderer Gruppen zusammen zu führen. Unter der Überschrift "Gleiche
politische und soziale Rechte für alle!" wollen wir die Spaltungspolitik der Herrschenden überwinden, die gerade in Deutschland die rassistische Ausgrenzung sozial
zementiert hat.
Jegliche Sonderbehandlung von "Ausländern", die ihnen Menschenrechte grob verwehrt und
stattdessen nur dosiert zumisst, lehnen wir ab. Wir fordern im Gegenteil die Abschaffung des Ausländer- bzw. des Zuwanderungsgesetzes, seiner diskriminierenden und
MigrantInnen illegalisierenden Bestimmungen. Gleichzeitig werden wir nicht aufhören, wie schon in unseren Gründungsaufruf von 1997 angekündigt, Illegalisierte in
ihrem alltäglichen Überlebenskampf und bei ihrer Selbstorganisation praktisch und propagandistisch zu unterstützen.
Wir schlagen für das Wahljahr 2002 bundesweite Aktionen gegen rassistische Sondergesetze, gegen die
totalitäre Überwachung und Kontrolle von Flüchtlingen und MigrantInnen, gegen die Kriminalisierung illegalisierter Arbeitskräfte und für die Abschaffung
der Ausländergesetze vor. Unsere konkreten Pläne:
Wir rufen zu einer Kampagne gegen das Ausländerzentralregister in Köln auf. Das AZR ist ein rassistisches
und totalitäres Instrument, in dem personenbezogene Daten der gesamten nichtdeutschen Bevölkerung erfasst und an Sozialämter, Ausländerbehörden,
Polizei, Geheimdienste und "befreundete" Staaten wie z.B. die Türkei zu deren freier Verfügung weitergeleitet werden.
Wir rufen zur Teilnahme am Aktionscamp gegen SIS auf. Dieses europäische Polizeiregister stellt allen
Mitgliedsstaaten und mittelbar auch außereuropäischen Geheimdiensten Daten über sogenannte unerwünschte Ausländer zur Verfügung und ist eine
wichtige Schaltstelle bei der europaweiten Vereinheitlichung des Abwehrkriegs gegen Flüchtlinge und MigrantInnen.
Wir rufen zu Aktionen gegen die "Ausreisezentren" auf, deren Vorläuferprojekt den Namen
"Projekt X" trägt und die errichtet werden, um Flüchtlinge durch menschenunwürdige Unterbringung, Kontrolle und Druck zu "freiwilliger"
Ausreise zu zwingen.
Wir rufen zu einer Kampagne gegen die Razzien auf, in denen Arbeitsämter und Ausländerpolizei
Illegalisierte aufspüren, festsetzen und abschieben. Denn der Zweck dieser Razzien besteht nicht etwa darin zu verhindern, dass Illegalisierte ihre Arbeitskraft zu übelsten
Bedingungen verkaufen müssen. Der Zweck ist im Gegenteil darauf gerichtet, jeden Widerstand Illegalisierter gegen solche Bedingungen zu unterbinden. Die Razzien dienen dazu,
die Kriminalisierung Illegalisierter zu festigen, ihre Angst vor Entdeckung zu erhöhen und ihre Bereitschaft zu öffentlichem Aufbegehren zu ersticken.
Da den Illegalisierten gleichzeitig das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluss verweigert wird, und sie nicht
einmal das Arbeitsgericht ohne Angst vor Abschiebung anrufen können, entpuppen sich die Razzien als Mittel, die üblen Ausbeutungsbedingungen zu erhalten, unter denen
Illegalisierte weiterhin als Lohndrücker und zur Spaltung der Beschäftigten eingesetzt werden können.
Wir richten unseren Aufruf an Flüchtlinge und an MigrantInnen, an Flüchtlingsorganisationen,
Menschenrechts- und an Antifa-Gruppen, an Menschen in den Gewerkschaften, in den Kirchen und in Schüler- und Studentenorganisationen, an Bürgerrechtler, Feministinnen
und an die AktivistInnen gegen die neoliberale Globalisierung. Überwinden wir die soziale und politische Ausgrenzung von MigrantInnen! Kämpfen wir für gleiche
politische und soziale Rechte!