SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2002, Seite 2

Jihad und Fundamentalismus

Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschijad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, München/Zürich: Pieper, 2002, 532 Seiten, 29 Euro

Tariq Ali, Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung. Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln, Kreuztlingen/München: Diederichs, 2002, 416 Seiten, 23 Euro

Wie zu erwarten, hat der Terroranschlag vom 11.September weltweit auch zu einer Flut von Publikationen geführt. Größtensteils handelt es sich dabei um Kompilierungen älterer Arbeiten oder um offene Machwerke, die durch Abwertung "des Islam" "den Westen" und seine imperialistische Politik mehr oder weniger geschickt zu rechtfertigen suchen.
Zwei Bücher, die sich davon abheben, sind "Jihad" von dem französischen Islamwissenschaftler Gilles Kepel und "The Clash of Fundamentalisms" von Tariq Ali. "Jihad" ist seit 2000 in mehreren Auflagen erschienen und heißt nun auf deutsch "Das Schwarzbuch des Dschihad", wohl weil der gleiche Verlag auch "Das Schwarzbuch des Kommunismus" mit dem bekannten unsäglichen Vorwort von Courtois herausgegeben hat.
Für "The Clash of Fundamentalisms" hat der Verlag auch nichts Besseres als "Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung" gefunden. Die Eile der Produktion führte dann auch zu so vielsagenden Schnitzern auf dem Klappentext wie den "Konflikten zwischen der arabischen und der weltlichen [sic] Welt", um die es in Alis Analyse angeblich gehe.
Kepels Buch bietet eine Fülle von Material und Analysen zur Lage der islamischen Welt seit dem neuerlichen Aufkommen des Islamismus. Er beginnt mit einer guten Zusammenfassung der politischen Ideologie jener Strömung, ihrer wichtigsten Vertreter und ihres Kampfes gegen die alternativen ideologischen Positionen, den arabischen Nationalismus und den Sozialismus. Dabei beschreibt er auch, welches Interesse die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich zu gewissen Zeiten an der Förderung dieser politischen Richtung besaßen.
Im ersten Hauptteil analysiert Kepel die Bedingungen für den Aufstieg des Islamismus bis zur iranischen Revolution. Ein Kapitel geht auf das Verhältnis von Islam und Business in Malaysia ein, um die These von der "Modernisierungsfeindlichkeit" dieser Religion einer Überprüfung zu unterziehen.
Der irakisch-iranische Krieg, der Kampf der Mudjaheddin gegen die Sowjetunion in Afghanistan, der von den USA via Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Pakistan massiv unterstützt wurde, die Intifada und die Hamas in Palästina, der Aufstieg der FIS in Algerien, der Putsch der sudanesischen Islamisten und islamische Strömungen in Europa kommen im zweiten Teil zur Sprache. Besonders interessant sind die Beschreibungen der finanziellen Verflechtungen des Saudi-Staates und von arabischen Geschäftsleuten in einer sich globalisierenden Ökonomie.
Der dritte Teil setzt mit dem Golfkrieg ein, bei dem ein islamischer Staat einen anderen überfiel und dieser dann von saudischem Boden aus durch eine westliche Militärarmada bekriegt wurde. Danach zerfielen die islamistischen Massenbewegungen, es entstanden Terrorgruppen, die häufig von früheren Söldnern des Afghanistan-Krieges in vielen muslimischen Ländern aufgebaut oder infiltriert wurden. Bekanntlich fiel in diese Zeit auch die Gründung von Bin Ladens Al-Qaida.
Laut Kepel ist diese Entwicklung auf das Ende des Bündnisses zwischen frommer Bourgeoisie und den in den Städten ohne Perspektive aufwachsenden Jugendlichen zurückzuführen. Dabei soll die massive Gewaltbereitschaft den Mittelstand erschreckt haben. Erhebliche Teile der Mittelschichten seien inzwischen auch in die Wirtschaft integriert und deswegen nicht mehr bereit, die radikalen Strömungen des Islam zu unterstützen.
Das Buch von Tariq Ali hat weniger wissenschaftlichen als vielmehr journalistischen und explizit politisch- aufklärerischen Charakter. Wie viele Intellektuelle aus der Dritten Welt wurde Ali in den 60er Jahren revolutionärer Sozialist. Für den Islam interessierte er sich nie — trotz der Versuche seiner Familie, ihm die muslimische Religion nahe zu bringen. Erst das beim Golfkrieg sichtbar werdende "Ausmaß der Ignoranz" — auf beiden Seiten — brachte ihn dazu, sich intensiv mit der Geschichte des Islam zu beschäftigen.
Seitdem sind dazu drei Romane erschienen und in viele Weltsprachen übersetzt worden, zuletzt "Die steinerne Frau" über das Osmanische Reich. Die Arbeiten am vierten brach er vorläufig ab, um das vorliegende Buch über den islamischen, aber auch den US- Fundamentalismus und deren Zusammenwirken zu schreiben.
Zunächst schildert er die Geschichte des Aufstiegs des Islam auf materialistischer Grundlage und zertrümmert dabei die bei vielen Muslimen vorhandenen Vorstellungen über die paradiesischen Verhältnisse in der Gründerzeit; dies vor allem deshalb, weil die Islamisten aller Schattierungen immer wieder die Rückkehr in diese Zeit des Propheten predigen und die heutigen Verhältnisse mit der Zeit des Unglaubens vor Mohammed vergleichen. Besonders interessant ist sein Kapitel über die Durchsetzung eines extremen Patriarchats gegen eine Gesellschaft, in der noch starke matriarchalische Verhältnisse bestanden.
"Hundert Jahre Knechtschaft", der zweite Teil, handelt von der imperialistischen Politik in den islamischen Ländern. Besonders deutlich werden die Zusammenarbeit der Zionisten mit den Briten und die Folgen, die die Art der israelischen Staatsgründung mit der Massenvertreibung der Palästinenser für die arabische Welt hatte, herausgearbeitet.
Auf die enge Verbindung zwischen der Militärdiktatur in Pakistan, den Mudjaheddin und später den Taliban in Afghanistan, den Saudis und islamistischen Gruppen, über die die USA ihre schützende Hand hielten, kommt er im dritten Teil zu sprechen, bevor er abschließend den Aufstieg des US-Imperialismus zulasten seines britischen Kontrahenten schildert.
Kepels Buch ist in vielen Details genauer und ausgewogener und behandelt Länder wie Algerien, Malaysia oder den Sudan, die bei Ali ausgespart sind. Der Vorteil von Alis Buch ist, dass der Autor aus einem islamischen Land stammt und viele Geschichten und Anekdoten erzählen kann. Sein Blick fällt in politischer Hinsicht klarer aus.

Paul B. Kleiser


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