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Vom 9. bis 12.Mai fand in Berlin die alljährliche Tagung des Inkrit e.V. statt. Inkrit ist der Trägerverein für das Historisch-Kritische
Wörterbuch des Marxismus (HKWM), dessen Herausgeber ein mittlerweile emeritierter Professor der Philosophie an der Freien Universität Berlin ist, der marxistische
Theoretiker Wolfgang Fritz Haug.
Das Projekt des HKWM ist auf 1800 Stichwörter in 12 bis 15 Bänden angelegt, alle zwei Jahre erscheint ein
neuer Band, zuletzt im November 2001 Band 5 (Gegenöffentlichkeit bis Hegemonialapparat). Die alljährlichen Tagungen dienen dazu, aktuelle politische Debatten unter
Marxisten unterschiedlicher Traditionen zu führen.
Gleichzeitig werden mit dem Thema der Tagung verbundenen Begriffe des gerade zu produzierenden Wörterbuchs
zur Diskussion gestellt. Dort wird der Begriff in seiner Entwicklungsgeschichte und die sich daraus ergebenden theoretischen Ansätze sowie diesbezügliche Kontroversen
vorgestellt. Koreferenten erläutern in kurzen Statements daraufhin ihre Position zu dem vorgestellten Begriff. Der Autor ist angehalten, diese Anregungen für seinen Artikel
aufzunehmen.
Das Thema der Tagung diesmal lautete "Islamischer Fundamentalismus vs. Informationeller Kapitalismus"?
Auf der Podiumsdiskussion zu Globalisierung und Terror hob Boris Kagarlitzki hervor, dass sich die Situation in Tschetschenien nach dem 11.September verschlechtert habe. Den Terror
gegen die Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet zu kaschieren, wie es der Westen versucht, fällt Putin erst überhaupt nicht ein, potenzielle Unterstützer der
Terroristen könnten somit gleich mitbeseitigt werden.
Trotz der proamerikanischen Politik Putins nehmen die antiamerikanischen Gefühle in der russischen
Bevölkerung zu. Das russische Regime befinde sich im Tschetschenienkrieg in einer Sackgasse, denn der Krieg sei nicht zu gewinnen und die ökonomischen Kosten immens.
Wenn es möglich wäre, diese Sackgasse in eine Niederlage für das russische Regime umzumünzen, dann könnte dies auch ein Zeichen dafür sein,
das der "Krieg gegen den Terror" nicht gewinnbar ist.
Mario Candeias aus Berlin fragte in seinem Redebeitrag, ob durch die augenblickliche militärische Kampagne der
USA und ihrer Verbündeten nicht im Grunde versucht werde, einen neuen weltweiten Konsens zu schaffen, nachdem die Globalisierung in den letzten Jahren immer mehr in Frage
gestellt wurde. Die Deregulierungspolitik sei in Wirklichkeit eine Reregulierungspolitik für mehr Profiteffizienz. Den Abbau von demokratischen Rechten müsse man auch
vor dem Hintergrund verstehen, dass ein "spontaner Konsens" (Gramsci) der Unterdrückten mit den Unterdrückern nicht hergestellt sei. Eine neue Form des
autoritären Nationalismus stehe uns möglicherweise bevor.
In einer der nun folgenden Werkstätten wurden u.a. der Begriff Imperium/Empire von Jens Wissel und John
Kannankulam aus Frankfurt diskutiert. Beide arbeiteten heraus, warum trotz aller Kritik der Begriff des Empire von Hardt/Negri Tendenzen beschreibe, die real vorzufinden seien: Eine
einzige Macht gäbe es nicht, die Form der nationalstaatlichen Souveränität hat sich geändert, Klassenstrukturen würden sich globalisieren, ein System
globaler Interdependenz entstehe.
Der Begriff Imperialismus sei problematisch, da er meist ökonomistisch gebraucht werde, nur als Diktat eines
Staates verstanden würde, und damit die dahinter stehenden komplexen Strukturen zu sehr vereinfacht würden. Ihr Ansatz ist es, den heutigen Imperialismus als über
das Empire vermittelt anzusehen. Dieser Prozess würde durch den "globalen Feldzug gegen den Terror" jedoch aufgehalten.
Bei der Plenumsdiskussion zu den "neuen Akteuren der Globalisierung und des Prozesses von Porto Alegre",
an der Elisabeth Gauthier von Espaces Marx, Thomas Salblowski (Berlin), Bas Wielenga (Madurei) und Sascha Kimpel (Attac) teilnahmen, bestand große Einigkeit darüber,
dass die neue weltweite Bewegung auch eine Herausforderung für die marxistischen Intellektuellen sowie die Arbeiterbewegung darstelle. Seattle als Geburtsstunde des
21.Jahrhunderts hat einen neuen Zyklus für die antagonistische Linke eröffnet. Insgesamt fand diese Plenumsdebatte eine positive Resonanz unter den Zuhörern, da der
frische Wind der globalen Bewegung und die kritische Debatte gut ankamen.
Insbesondere in den Werkstätten fanden noch zahlreiche Diskussionen zu Begriffen wie
"Herrschaftsfreiheit", "Intelligenz" oder "Himmel/Hölle" statt. In allen Diskussionen war sichtbar, dass der Marxismus ein fruchtbares und
nützliches Instrument ist, um die Entwicklung der Gesellschaft und der Geschichte zu erklären und zu verändern. Mit dem Absterben des akademischen Marxismus in
Deutschland und der Öffnung eines neuen Zyklus von Klassenkämpfen und Krisen ergibt sich die Möglichkeit, die "Theorie der proletarischen Revolution"
(Lukács) wieder einer neuen Generation von Aktivisten und Radikalen zu vermitteln. Dieser Marxismus muss sie dazu befähigen, konsequent bürgerliche Politik zu
analysieren und zu bekämpfen.
Sascha Kimpel