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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 5

Neue Gefahren, neue Chancen

Heinz Stehr über Globalisierungskritik, den Zustand der DKP und die Perspektiven der antikapitalistischen Linken

Auf einer internationalen Konferenz diskutierte die DKP mit 32 anderen Bruderparteien über die Herausforderungen der Globalisierung und die Möglichkeiten der Gegenwehr (vgl. Bericht auf S.23). Christoph Jünke und Manuel Kellner nahmen das Ereignis für die SoZ zum Anlass, mit dem DKP-Vorsitzenden Heinz Stehr über Lage und Perspektiven seiner Partei zu sprechen.

Auch die DKP ist auf der Suche nach Alternativen zur kapitalistischen Globalisierung. Für welche gesellschaftspolitische Alternative steht die DKP und wie wollt ihr sie verwirklichen?
Heinz Stehr: Seit Mitte der 90er Jahre haben wir uns zunehmend mit den Fragen: Was ist die Globalisierung, was sind ihre wirkenden Kräfte und was ihre politischen Auswirkungen, auseinandergesetzt. Wir sind durch diese Diskussionen auf die vielleicht etwas vereinfachte Losung gekommen, dass Globalisierung einen Entwicklungsprozess bezeichnet, in dem es große Gefahren wie große Chancen gibt. Große Gefahren meint: Es ist eindeutig, dass die Kriegsgefahr angesichts der kapitalistischen oder imperialistischen Globalisierung stark zugenommen hat. Da geht es zunächst noch nicht um gegenseitige Konflikte zwischen den imperialistischen Zentren.
Es ist kaum vorstellbar, dass es einen Krieg zwischen der USA und den EU oder zwischen Japan und den USA geben wird. Aber durch Weltenteilung und Unterdrückung entsteht ein weltweites Kriegs- und Spannungspotenzial, das die Existenz der Menschheit als Gattung in Frage stellt.
Dass in diesem Prozess größere Teile der Erdbevölkerung erkennen, welches die imperialistischen Kräfte und Mechanismen sind, die das bewirken und was man dagegen tun kann, das bezeichnet auch eine große Chance.
Ich glaube, wir erleben zurzeit, wenn auch natürlich nur in vergleichsweise kleinen Kreisen, einen Bewusstwerdungsprozess. Vor allem was den internationalen Charakter der Globalisierung angeht, der heute viel unmittelbarer verstanden wird als früher. Insofern sind wir mit vielen Antiglobalisierungsbewegungen wie Porto Alegre oder Attac einer Meinung. Allerdings gehen wir über deren Forderungen hinaus, weil wir denken, dass die entscheidende Frage nach wie vor die Entwicklung einer gesellschaftlichen Perspektive in Richtung Sozialismus ist. Das ist natürlich noch schwer zu vermitteln.

Das hat auch etwas mit den durch die Globalisierung verursachten sozialökonomischen Veränderungen im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital zu tun. Ist dies ein Thema für euch?
Das ist gezwungenermaßen ein integrales Thema, denn es geht um die materiellen Grundlagen des Prozesses. Es ist ja ganz wichtig, herauszuarbeiten, welche Teile des Kapitals die dominanten sind und welche die politischen Verhältnisse prägen. Hier gibt es bei uns eine interessante und durchaus kontroverse Diskussion über die Rolle bspw. des transnationalen Kapitals, über die Gruppen, die mehr auf die EU und jene, die mehr auf nationalstaatliche Strategien setzen.
Die andere von dir intendierte Frage ist die nach dem Subjekt. Meines Erachtens wäre es Träumerei, davon auszugehen, dass Antiglobalisierungskräfte aus unterschiedlichen sozialen Schichten in der Lage wären, das Kräfteverhältnis nachhaltig umzukehren. Das geht nur, wenn die organisierte Arbeiterbewegung in den imperialistischen Zentren politisch bewusster wird und handelt. Das ist zwar Zukunftsmusik, wenn man sich bspw. die Verfasstheit der Gewerkschaften ansieht. Und dennoch, betrachtet nur die Entwicklung der Gewerkschaftslinken und das Aufbrechen politischer Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften, nimmt das wieder zu.
Wenn man strukturell nachfragt, was die Arbeiterklasse ist, dann sieht man, dass rein quantitativ, aber auch in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln, dieser Teil der Bevölkerung wächst und die Mehrheit ausmacht.

Gleichwohl gibt es ja neue Fragmentierungen und auch eine Zersetzung bestimmter Milieus.
Das ist wohl wahr. Die gewachsene Stammbelegschaft hat an Bedeutung eingebüßt, die Zeitverträge und Fremdarbeiter haben deutlich zugenommen. Und das ändert natürlich auch die Kampfbedingungen und die Möglichkeiten der Bewusstwerdung. Hinzu kommt dann noch die politische Manipulation der Arbeiterklasse. Der Sozialismus ist diskreditiert und das wirkt natürlich auch hinein in die Gewerkschaften, in die Gesellschaft. Die Subjektwerdung der Arbeiterklasse wird hier einen stärkeren Prozesscharakter haben.

Welche Rolle soll die DKP im Prozess der Gesellschaftsveränderung spielen? Die eines Impulsgebers oder die einer führenden, gar der führenden Partei?
Auch bei uns gibt es heftige Debatten über die Avantgarderolle der Partei. Auch wir haben unser Verständnis in diesem Punkt weiterentwickelt. Wir haben jedoch durchaus den Anspruch, als Anhänger einer bestimmten Weltanschauung in Bewegungen zu intervenieren und bestimmte strategische Ziele und Vorstellungen zu entwickeln und sie einzubringen. Ob die dann angenommen werden, hat vor allem etwas mit unserer Überzeugungskraft zu tun.
Dass es noch immer zumindest nennenswerte Ansätze von Friedensbewegung, von Antifa-Bewegung und auch von antiimperialistischen Bewegungen gibt, hat in meinen Augen auch etwas mit der langjährigen Arbeit der DKP zu tun. Man kann sich ja fragen, was wäre, wenn es die DKP nicht gäbe.

Das trifft doch eher für die Vergangenheit zu, denn in den heutigen Bewegungen, bspw. der der Globalisierungskritiker oder der Gewerkschaftslinken, ist die DKP wenig präsent.
Da geht es mir auch vor allem um die geistig-politische Präsenz, weniger um die Frage der Organisationspräsenz. Da spielen die viereinhalbtausend DKP-Mitglieder und bspw. die Marxistischen Blätter mit ihrer Auflage von knapp 3000 schon eine gewichtige Rolle. Das geht über die rein quantitative Mitgliedschaft hinaus. Und doch spielen DKP-Mitglieder auch praktisch keine unwichtige Rolle, bspw. in der Friedens- und Antifabewegung.

Du hast die Glaubwürdigkeitskrise der sozialistischen Alternative angesprochen. Die Jahre 1989 bis 1991 waren ein tiefer Einschnitt nicht zuletzt für eure Partei, der einen drastischen Verlust an Mitgliedern und Einfluss mit sich brachte. Hat sich die DKP wieder konsolidiert? Und hat diese Krise auch in der DKP zu einer veränderten Debatte über sozialistische Zukunftsmodelle — Stichwort: sozialistische Demokratie — geführt?
Wir haben nach wie vor sehr stark mit den Auswirkungen dieser Niederlage zu tun. Wir haben ungefähr 85% der Mitglieder verloren. Wir sind bis heute nicht in der Lage, diesen Prozess wesentlich umzukehren. Wir haben in den letzten zwei Jahren zwar mehr Mitglieder gewonnen, als wir sie durch Sterbefälle verloren haben, aber das ist noch sehr marginal.
Auch das ganze programmatische, strategische und taktische Selbstverständnis der DKP musste sich erneuern. Wir gingen ja lange Zeit davon aus — ich sage das jetzt mal etwas vereinfacht —, dass der vorhandene Sozialismus ständig an Attraktivität gewinnen würde und dass hierdurch auch positive Entwicklungen für die Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Bundesrepublik durchsetzbar gewesen wäre. Das hat sich ja geradezu umgekehrt.
Wir haben in den letzten Jahren versucht, diese Situation konstruktiv zu wenden und manche programmatische Neuorientierung vorgenommen — sei es die Frage der pluraleren Eigentumsformen im auf längere Zeit angesetzten Übergang zum Sozialismus, sei es die Frage der Demokratie im Sozialismus. Damit sind wir noch nicht am Ende, aber soviel ist klar, dass es einen erlebbaren Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialismus geben muss, der eine neue Qualität der Mitgestaltung ermöglicht. Es muss auch Oppositionsmöglichkeiten im Sozialismus geben und eine Partei kann nicht per Verfassung oder Dekret das Sagen haben. Es gibt eben unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum Sozialismus.
Auch über den internationalen Charakter des Sozialismus, ich kann es nicht verhehlen, wird bei uns durchaus gestritten. Davon hängt auch ein gehöriges Maß unserer Glaubwürdigkeit ab.

Ein anderes Beispiel kommunistischer Erneuerung ist Rifondazione Comunista in Italien. Rifondazione steht für die Öffnung zu den neuesten sozialen Bewegungen, für den Bruch mit der wohlwollenden Orientierung an der sog. Regierungslinken sowie für den radikalen Bruch mit der poststalinistischen Vergangenheit. Ist Rifondazione für euch eine italienische Sonderentwicklung oder eine mögliche Perspektive auch für Deutschland?
Wir haben durchaus ähnliches Anfang der 90er Jahre versucht mit den Roten Tischen. Dieser Diskussionsprozess mit Ex-Maoisten, Trotzkisten und anderen hat zu keinem Ergebnis geführt und ist auch nicht besonders verarbeitet worden. Im Moment sehe ich keinerlei Alternative zum Aufbau der DKP. Wir arbeiten gerade an einem neuen Programm. Und wir versuchen, uns bündnispolitisch weiter zu entwickeln.
In einem politischen Bewegungsprozess nach vorne, der meines Erachtens nicht mehr so fern ist, können sich dann neue Fragestellungen ergeben. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es bei Wahlen eine Art Dachorganisation als Projekt einer breiteren antikapitalistischen Linken geben könnte. Von mehr bin ich nicht überzeugt und auch die Verhältnisse in anderen Ländern geben das nicht her.
Die Verhältnisse in Italien sind schon sehr unterschiedlich zu den unseren. Auch die spanische Entwicklung ist sehr kompliziert. In Frankreich ist es nochmals anders. Man sollte sich deswegen nicht vorschnell zu vergleichbaren Projekten verleiten lassen, sich aber auf jeden Fall und wirklich vorbehaltlos dafür offen halten. Entscheidend bleibt die Praxis, die Frage einer möglichen Entwicklung außerparlamentarischer Bewegungen.
Bisher agieren die verschiedenen antikapitalistischen Gruppen jede für sich. Da gibt es kaum Absprachen, bspw. vor Demonstrationen, auch keinen integralen Formierungsprozess. Jede Gruppe hat ihre eigenen Losungen, ihre eigenen Materialien und Formen. Ob sich das überwinden lässt, wird davon abhängen, wie die Herausforderungen begriffen werden und wie man den Dialog führt.

Wie gestaltet sich euer Verhältnis zur PDS und speziell zur PDS-Linken? Wie schätzt ihr den Anpassungsprozess dieser Partei an die bestehenden Verhältnisse ein?
Wir betrachten eigentlich die ganze Entwicklung der PDS als einen permanenten Prozess der Abwendung von sozialistischen, oder sagen wir mal antikapitalistischen Positionen hin zu Positionen, die sich zwar im Rahmen des Systems als kritische, oppositionelle sehen, aber eben im Rahmen des Systems agieren. Das ist der entscheidende Punkt, und die rot-rote Koalition in Berlin ist der entscheidende Schritt, um koalitions- und v.a. regierungsfähig zu werden.
Für die SPD zählen zwei entscheidende Fragen: Die PDS muss den Sprung tun, was die Haltung zur NATO anbelangt und sie muss sich endgültig von allen positiven Elementen der sozialistischen Vergangenheit verabschieden. Die PDS ist Stück um Stück dabei und der Vorstand will möglichst keine Fehler machen, die eine mögliche Linkstendenz eines großen Teils ihrer Mitgliedschaft befördern könnte. Sie will ihr Integrativkonzept beibehalten und deswegen kommt es häufiger zu entsprechenden Kompromissen. Aber im Wesentlichen ist die Entwicklung vorprogrammiert.

Damit stellt sich durchaus die Frage, wie PDS-Linke mit dieser Entwicklung umgehen und wie sich Westlinke in diesem Prozess verhalten.
Wir haben natürlich traditionell sehr gute und entwickelte Beziehungen zur Kommunistischen Plattform, zum Marxistischen Forum und teilweise zu anderen. Da gibt es Gewachsenes wie neu Entstandenes. Ich denke aber, dass man keine zu großen Hoffnungen auf diesen Prozess haben sollte. Die Erfahrung ist eindeutig. Die PDS verliert zwischen 4000 und 7000 Mitglieder pro Jahr — viele natürlich durch Tod. Aber die meisten organisieren sich nicht erneut. Bei der DKP sind knapp 400 Mitglieder, die aus der SED oder der PDS gekommen sind. Bei MLPD und KPD sicherlich deutlich weniger.
Die entscheidende Frage wird sein, was im Oktober auf dem Programmparteitag passieren wird. Je nachdem, wie das Bundestagswahlergebnis ausfällt, kann es dann sehr schnell zum politischen Kahlschlag kommen. Wie sich die Mitglieder dann verhalten, kann ich nicht einschätzen.

Es gibt natürlich gerade im Osten — nicht nur, aber vor allem dort — einen großen Anteil derer, deren Parteiverständnis noch das einer "marxistisch-leninistischen" Weltanschauungspartei ist, die es sich leisten könnte, vorübergehend zu überwintern. Diese Leute orientieren mehr auf korrekte Positionen als auf aktives Eingreifen in politische Prozesse. Diese für eine Erneuerung kommunistischer Politik bremsende Wirkung ist doch eine Gefahr. Auch im Kontext der DKP scheint es uns nicht wenige zu geben, die mit so etwas zufrieden wären.
Stimmt, das gibt es durchaus, ist aber so einmalig nun auch wieder nicht. Es gibt immer Genossinnen und Genossen, die können sich auf neue politische Verhältnisse einstellen, und es gibt solche, die diesen Sprung nicht mehr schaffen. Das ist das Problem der Ideologisierung bestimmter Positionen: Wenn man den neuen Herausforderungen nicht mehr nachkommen kann und seinen Standort mindestens beibehalten will, ist das ja durchaus in Ordnung. Wenn man daraus aber ableitet, die ganze Organisation müsste so sein — im Sinne des Bewahrens der großartigen Ergebnisse des Sozialismus —, wenn das der zentrale Achsenpunkt sein sollte, um den sich Parteipolitik drehe, dann wird das natürlich problematisch.
Eine Partei, die sich den realen Herausforderungen der heutigen Zeit entzieht, die wird nicht gebraucht. Wer braucht die? Die Partei ist kein Mittel zur Pflege von Traditionen, sie muss Mittel zum praktischen Zweck sein.



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