SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 7

Steuergeschenke, rot-grün verpackt

Steuerreform der Bundesregierung: Fortsetzung der alten Umverteilungspolitik

Im Sommer 2000 setzte die Bundesregierung von SPD und Grünen eine große Steuerreform durch, die schon jetzt nachhaltige Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte hat und sich in Zukunft noch stärker auswirken wird.

Von den Regierungsparteien, den Arbeitgeberverbänden und nahezu allen Medien wird die Reform als "großer Erfolg" gefeiert. Die Opposition von CDU und FDP bemängelt lediglich, dass man die Steuern noch stärker hätte senken sollen. Was die Steuerreform tatsächlich bewirkt, wem sie wirklich nutzt und wer dafür die Zeche zahlen muss, wird dabei geflissentlich unter den Tisch gekehrt.
Als Finanzminister Eichel im Januar 2000 den Entwurf für ein Steuerreformgesetz der Presse vorstellte, hob er besonders folgende Punkte hervor:
• Eine Senkung des Spitzensteuersatzes von 51% auf zunächst 48,5% 2001, im Jahr 2005 dann auf nur noch 45%. Der Steuersatz, den die Reichen für den Anteil ihres Nettoeinkommens zahlen müssen, der über 98000 Mark (bis einschließlich 2000: 115000 Mark) liegt, sollte also deutlich gesenkt werden.
• Die Verringerung des Eingangssteuersatzes von vorher 22,9% auf 15%, die Niedrigverdienende für ihr Einkommen zahlen müssen, soweit es das stufenweise auf 15000 Mark (vorher: 13500 Mark) anzuhebende steuerliche Existenzminimum übersteigt. Damit sollten offiziell Erwerbstätige mit geringem Einkommen entlastet werden. Zugleich könnte die Senkung des steuerlichen Existenzminimums aber auch eine steuerliche Förderung von Niedriglöhnen bezwecken.
• Eine steuerliche Entlastung auch der dazwischen liegenden Steuerklassen, besonders durch die erwähnte Anhebung des steuerlichen Existenzminimums, das vollkommen unbesteuert gelassen wird sowie durch die Senkung des Eingangssteuersatzes.
• Eine Reform der Besteuerung der von Aktiengesellschaften ausgeschütteten Gewinne, d.h. die Umstellung vom "Volleinkünfteverfahren" auf das "Halbeinkünfteverfahren". Die Einzelheiten dieser Versteuerungsverfahren sind sehr kompliziert und selbst von Fachleuten kaum zu begreifen. Diese stritten denn auch lieber darüber, ob man den grundsätzlichen Systemwechsel überhaupt vornehmen sollte. So fiel nicht weiter auf, dass durch die Änderung unter dem Strich voraussichtlich noch weniger Steuern auf Aktionärsgewinne anfallen als bisher und dass sie Großaktionäre auf Kosten von Kleinanlegern und Belegschaftsaktien begünstigt.
• Eine Reduzierung der Körperschaftsteuer von 40% auf nur noch 25% der zu versteuernden Unternehmensgewinne. Diese Reform sollte durch die Schließung von "Steuerschlupflöchern" in den vorher bestehenden Gesetzen zum Teil "gegenfinanziert" werden.
• Die Anrechnung der inzwischen nur noch von großen Unternehmen an die Kommunen zu zahlenden Gewerbesteuer (ein Erbe der Ära Kohl: nur noch ein Drittel aller Betriebe zahlt überhaupt noch Gewerbesteuer!) auf die Körperschaftsteuer. Die tatsächliche steuerliche Belastung für diese Unternehmen wird so auf 38% der ausgewiesenen, also beim besten Willen nicht mehr zu versteckenden Gewinne, gedeckelt.

Champagner bei Porsche

Zumindest der Jubel seitens der Manager und Unternehmer über die Steuerreform ist verständlich und nur zu berechtigt. Porsche-Chef Wiedeking begründet die Werbung, die sein Unternehmen in Zeitungsanzeigen für die Steuerpolitik der Bundesregierung macht, denn auch ganz offen: "Die Regierung Schröder hat eine Steuerreform durchgesetzt, wie ich sie stets gefordert habe. Die spart dem Unternehmen Porsche dreistellige Millionenbeträge."
Durch die Steuerreform haben die Unternehmen einen massiven Steuerabbau für große und mittelständische Unternehmen durchsetzen können. Von 2001 bis 2005 sollten sie schon nach den offiziellen Plänen der Regierung ca. 30 Mrd. Mark an Steuern sparen können, um den Standort durch eine Senkung der Unternehmensbesteuerung attraktiver zu machen.
Und dies, obwohl die volkswirtschaftliche "Steuerquote", d.h. das Verhältnis aller tatsächlich gezahlten Steuern zur Summe der gesamten in der BRD erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen (dem sog. Bruttoinlandsprodukt) schon vor der Reform nach den Feststellungen des gewerkschaftlichen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) international allenfalls im "unteren Mittelfeld" gelegen hat — etwa vergleichbar mit der Steuerbelastung in den USA in der Regierungszeit von Präsident Clinton.
Dieses Bild hätte sich auch nur unwesentlich verschoben, wenn man neben den Steuern auch die bundesdeutschen Sozialabgaben in die Betrachtung einbezogen hätte. Von einer zu hohen Steuer- und Abgabenlast kann also keine Rede sein.
Die für das Kapital im internationalen Vergleich überaus günstige effektive Steuerbelastung ergibt sich zum einen daraus, dass das deutsche Steuerrecht bei prozentual hohen Steuersätzen zahllose Ausnahmen und Schlupflöcher bietet, die trotz gegenteiliger Ankündigungen der seit 1998 amtierenden Regierungskoalition von SPD und Grünen bei weitem nicht geschlossen worden sind.
Dies gilt z.B. für die zeitlich unbegrenzte Verrechnung von Verlusten aus der Vergangenheit mit aktuellen Gewinnen, die z.B. dazu geführt haben, dass deutsche Unternehmen nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums sog. "Verlustvorträge" in Höhe von 235—240 Mrd. Euro vor sich herschieben. Heben sie diesen Schatz in den nächsten Jahren, um ihn mit ihren Gewinnen zu verrechnen, so drohen weitere Steuerausfälle von bis zu 60 Mrd. Euro.
Die Steuerreform 2000 hat aber auch ganz neue Schlupflöcher eröffnet. Dies betrifft z.B. die pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder die frisch eingeführte Verrechnung der Gewinne und Verluste untereinander verflochtener Lebens- und Sachversicherungen.
Dadurch konnte etwa der Allianz-Konzern 2000 einen neuen Rekordgewinn in Höhe von 3,4 Mrd. Euro erzielen — wobei der "steuerliche Sondereffekt" allein aufgrund der erwähnten Neuregelung sage und schreibe 1,1 Mrd. Euro ausmachte.
Durch den Systemwechsel bei der Körperschaftsteuer können sich die Firmen von 2001 an in den nächsten 15 Jahren etwa 37 Mrd. Euro vom Fiskus zurückholen. Und zwar, indem sie alte, längst verbuchte Gewinne, die bisher als Rücklagen in den Tresoren und Konten des Unternehmens schlummerten, nun an ihre Aktionäre ausschütten. Denn dank des Zusammenwirkens mehrerer Regelungen aus der komplizierten Steuergesetzgebung zahlen die Finanzämter für je 6 Euro Gewinnausschüttung einen Euro aus sonstigen Steuermitteln an die Unternehmensaktionäre hinzu!
Warum dies so ist, ist in einfachen Worten kaum zu erklären. Im Wesentlichen geht es aber darum, dass die Aktiengesellschaften ihre Gewinne bis zur rot-grünen Steuerreform von 2000 zu zwei verschieden hohen Steuersätzen versteuern mussten. Blieb der Unternehmensgewinn als Rücklage im Konzern, so war vor der Steuerreform ein Steuersatz von 45% fällig. Schütteten die Unternehmen das Geld aber an ihre Aktionäre aus, mussten sie nur 30% Steuern zahlen. Falls eine Firma das Geld zunächst in den Rücklagen bunkerte, um es dann zu einem späteren Zeitpunkt doch noch auszuzahlen, so erhielt sie Jahre später die vorab zuviel gezahlten Steuern vom Finanzamt zurückerstattet.
Seit Januar 2001 ist diese Unterscheidung aber aufgehoben worden. Jetzt gilt ein einheitlicher niedrigerer Steuersatz von 25%, egal ob die Gewinne nun ausgeschüttet werden oder nicht. Neue Steuerpolster können daher nicht mehr angelegt werden.
Doch für die alten Steuerpolster wurde eine Übergangslösung geschaffen, die noch viel komplizierter ist, aber im Wesentlichen besagt, dass die vor 1999 erzielten Gewinne noch bis zum 31.12.2001 in voller Höhe geltend gemacht werden konnten. Da die Altforderungen seit Jahresbeginn nun deutlich weniger wert sind, haben sich viele Konzerne beeilt, möglichst viele ihrer Altforderungen schon 2001 geltend zu machen.
Findige Steuerberater können jedoch beruhigt sein: Diese aberwitzige Subventionierung der Besitzer von Aktienvermögen auf Kosten der übrigen Steuerzahler hat zwar dazu geführt, dass sich die weiter oben genannte Zahl von 37 Mrd. Euro 2001 um schätzungsweise 8—11 Mrd. Euro verringert hat. Die übrigen mindestens 26 Mrd. Euro können die Firmen aber noch bis 2016 für sich nutzen — wenn auch nicht mehr in vorheriger Höhe —, so dass auch in den nächsten 14 Jahren noch massive Steuerausfälle zu erwarten sind.
Auch für den Bayer-Konzern hat sich die Steuerreform gelohnt. Das Unternehmen, dessen ehemaliger Finanzvorstand Heribert Zitzelsberger von Bundesfinanzminister Hans Eichel als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium mit der Durchführung der Unternehmensteuerreform beauftragt worden war, hatte bereits 1999 erwartungsfroh durch seinen Chef Manfred Schneider auf der Hauptversammlung des Bayer-Konzerns sinngemäß verkündet: "Wir haben mit Heribert Zitzelsberger unseren besten Mann entsandt und gehen davon aus, dass er in unserem Sinne tätig wird."
Der Bayer-Konzern nutzte dann die neu geschaffenen Möglichkeiten bei der Körperschaftsteuer zu einer "steueroptimalen Ausschüttungspolitik", indem er seine Gewinnausschüttung gegenüber dem Vorjahr um 7% auf über 1 Mrd. Euro steigerte — dies führte dazu, dass Bayer 250 Mio. Euro Körperschaftsteuervorauszahlungen von Nordrhein-Westfalen zurückerstattet bekam. Passgenau verkaufte er die EC-Erdölchemie zum 1.1.2001, so dass jegliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne entfiel.
Ebenso nutzte das Unternehmen weitere durch die Steuerreform neu geschaffene Möglichkeiten der konzerninternen Gewinnverrechnung sowie altbekannte, noch immer nicht gestopfte Schlupflöcher bei den Verlustvorträgen, um die an seinen Standorten vorab überwiesenen Abschläge für die Gewerbesteuer per Fax zurückzufordern. Die Folge: die Kommunen Leverkusen, Krefeld, Dormagen, Brunsbüttel und Wuppertal, die von Bayer als größtem Steuerzahler abhängig sind, mussten ihre Haushaltsplanungen völlig über den Haufen werfen.

Hin zum Lohn- und Verbrauchsteuerstaat

Verglichen mit dem Jahr 2000, haben die Unternehmen durch diese und andere Kniffe 2001 20 Mrd. Euro weniger an Steuern gezahlt. Voraussichtlich werden sie die gleiche Summe an Steuern auch 2002 sparen können. Konkret sieht dies dann so aus, dass z.B. die E.on AG 2001 ihren Gewinn deutlich auf 5,4 Mrd. Mark steigern und gleichzeitig ihre Körperschaft- und Gewerbesteuerzahlungen drastisch reduzieren konnte. Die deutsche Telekom AG hat 2001 1,4 Mrd. Euro an Steuern vom Finanzamt zurückerstattet bekommen.
Der Energieriese RWE und die international tätigen Vodafone Ltd. — die Mannesmann- Aufkäuferin — haben ebenfalls jeweils dreistellige Millionenbeträge erhalten: RWE z.B. rund 400 Mio. Euro und Vodafone über 250 Mio. Euro allein für Körperschaftsteuerrückzahlungen.
Der Volkswagen-Konzern brachte es im selben Jahr sogar fertig, seinen Gewinn nach Steuerzahlung um sage und schreibe 144% zu steigern — und dies, obwohl der Gewinn vor Steuern nur um 37% gestiegen war.
So wundert es auch nicht, dass der Anteil der direkten Unternehmensteuern, die bereits Ende der 90er Jahre nur noch mit 17,1% zum gesamten Steueraufkommen beitrugen, durch die rot-grüne Steuerreform weiter gesunken ist. Das Bundesfinanzministerium rechnet 2002 daher nur noch mit einem Anteil von 12,5% des Gesamtsteueraufkommens, während allein die Lohnsteuer der abhängig Beschäftigten inzwischen mehr als das Zweieinhalbfache davon ausmachen soll.
Mit anderen Worten: weil die "Unternehmen es satt haben, Steuern zu zahlen", wie eine Umfrage der Nord-West Zeitung ergab, müssen Arbeiter und Angestellte mehr Lohn- und Einkommensteuern und zusammen mit Erwerbslosen, Rentnern und Studierenden auch mehr Verbrauchsteuern wie z.B. die Mehrwertsteuer, die Mineralöl-, die Öko- oder die Tabaksteuer zahlen.
Auch die durchschnittliche Steuerbelastung der volkswirtschaftlichen Gewinne aller bundesdeutschen Unternehmen sinkt. Sie lag schon 1997 unter 10% der insgesamt erzielten Gewinne. 1980 betrug die durchschnittliche Steuerlast des Kapitals dagegen noch rund 20%, und aus ihren Gewinnen wurden ca. 25% des gesamten Steueraufkommens bestritten.
So schrieb Claus Schäfer in der Frankfurter Rundschau vom 6.5.1998: "Anders ausgedrückt: Herrschten heute bei den Unternehmen die damaligen Belastungsverhältnisse, wären die Steuereinnahmen des Staates insgesamt um rund 80 Mrd. DM höher."
Seitdem werden die Unternehmensteuern immer geringer. Weil die früheren Gewinnspannen (bzw. Profitraten) auf das eingesetzte Kapital der Unternehmen in den entwickelten Industrieländern trotz Rationalisierung, stagnierender Löhne und scharfem Sozialabbau gesunken sind — um ihre Profitrate halten zu können, hätten die Unternehmen ihre Gewinne im gleichen Ausmaß wie ihre Ausgaben steigern müssen —, sind sie in Deutschland seit den Endzeiten der sozialliberalen Koalition zu Anfang der 80er Jahre staatlicherseits immer weiter entlastet worden. Durch die Senkung der Unternehmensteuern sind die realen Gewinnspannen, also diejenigen nach Steuerzahlung, kräftig angehoben worden, und zwar zuletzt kräftig Mitte der 90er Jahre.
Dieser Trend wird mit der rot-grünen Steuerreform weiter verschärft. Für das Jahr 2000 lässt sich so z.B. schätzen, dass die tatsächlich gezahlten Steuern der Unternehmen sogar nur noch 7—8% der Bruttogewinne ausmachten. Der internationale Wettbewerb der Staaten untereinander um die niedrigsten Steuersätze wird so immer weiter angeheizt.
Seit der deutschen Steuerreform von 2000 haben daher bereits elf Industriestaaten, darunter Frankreich, die Niederlande und die USA, ihrerseits mit einer deutlichen Senkung der Unternehmensteuern reagiert. Internationale Bemühungen um eine Steuerharmonisierung bleiben dagegen auf der Ebene von bloßen Ankündigungen.

Rainer Timmermann



zum Anfang