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Die Einrichtung einer Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", nach ihrem Vorsitzenden
"Hartz-Kommission" genannt, ist ein richtiges Bubenstück. Jenseits aller bisherigen Gepflogenheiten, dass Fragen der Arbeitsverwaltung
drittelparitätisch zwischen Unternehmern, Gewerkschaften und Regierungen zu lösen seien, erlegt hier ein eindeutig unternehmerdominiertes
Gremium gleich Vier auf einen Streich:
die Selbstverwaltung bei der Bundesanstalt für Arbeit wird ausgehebelt;
die Bundesanstalt selbst von einer Behörde, die Erwerbslosen helfen soll, in eine
Service-Agentur umgewandelt, bei der sich Unternehmer billigste Arbeitskräfte holen können;
der Status der/des Arbeitslosen mit den damit verbundenen Rechten wird abgeschafft;
die Leiharbeit wird massiv ausgedehnt und damit der Niedriglohnsektor in Deutschland
geschaffen, den die EU-Kommission seit 1996 einklagt.
Die Kommission verfolgt ein doppeltes Ziel: Sie unterbreitet Vorschläge zur
"Reform" der Bundesanstalt für Arbeit, aber auch Vorschläge zum "Abbau" der Arbeitslosigkeit. Tatsächlich stellt sie
das gesamte Gefüge der bisher bestehenden Sicherung von Arbeitslosigkeit und Armut in Frage (zu den Vorschlägen im Einzelnen siehe Kasten).
Die endgültigen Ergebnisse sollen bis zum 16.August vorgelegt werden; was bisher in der Presse bekannt wurde, sind Vorschläge aus dem
"Teilprojekt 2", das sich mit der "Reform" der Entgeltersatzleistungen befasst.
Fördern und Fordern
"Der Hintergrund für dieses Thema (Arbeitslosen- und Sozialhilfe)", schreibt
der Berichterstatter für den Teilbereich 2, "bildet die Debatte um den aktivierenden Staat, der weniger bevormundet, als Integrationsanreize setzt und
zur Eigeninitiative anregt. Zugleich soll dem Bürger mehr Eigenverantwortung und Mitsprache eingeräumt werden. Dieser Paradigmenwechsel wird
in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik unter dem Stichtwort ‚Fördern und Fordern diskutiert und ist heute als Leitbild in der Fachdiskussion nahezu
unbestritten."
Dazu sei gesagt, dass die Betroffenen, die die Wirkungen der Massnahmen am besten kennen,
nämlich die Erwerbslosen- und Sozialhilfebeziehenden, systematisch aus der "Fachwelt" ausgegrenzt werden. Der Runde Tisch der
Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen hatte das Kommissionsmitglied Peter Gasse zu seiner Juli-Sitzung einladen wollen, um Informationen zu erhalten;
darüber hinaus hatten die Erwerbslosen auch Interesse signalisiert, an der Kommission selbst teilzunehmen, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Beides
wurde abschlägig beschieden und auf die Zeit nach der Veröffentlichung der Ergebnisse verwiesen. Soviel zur "Fachwelt".
Die Kommission beruft sich auf "einen breiten gesellschaftlichen Konsens über
das oberste Ziel: die Reduzierung und Vermeidung der Hilfsbedürftigkeit durch Verbesserung der Integration in den ersten Arbeitsmarkt". "Im
Vordergrund steht künftig die aktive Leistung zur Vermeidung bzw. Überwindung von Arbeitslosigkeit und zur sozialen Integration und nicht die
Zahlung der passiven Leistung."
Das muss man genau lesen: Da steht nichts von Schaffung neuer Arbeitsplätze
auf die Frage, dass selbst nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 5,8 Millionen Arbeitsplätze fehlen, lässt sich die Kommission gar nicht
ein. Es geht um die Vermeidung von Hilfsbedürftigkeit, damit keine passiven Leistungen gezahlt werden müssen. Die jetzigen Langzeitarbeitslosen
(1,3 Mio. Menschen) müssen verschwinden, die erwerbsfähigen Sozialhilfebeziehenden in Arbeit kommen und die Jungen sollen gar nicht mehr in
die Verlegenheit kommen, länger als zwei Jahre von Arbeitslosengeld oder -hilfe zu leben. Egal wie.
Die Kommission behauptet: Bei konsequenter Umsetzung ihrer Vorschläge "durch
eine parteiübergreifende Projektkoalition" kann es gelingen, bis Ende 2005 die Arbeitslosigkeit um die Hälfte (auf 2 Millionen = 5%) zu
senken. 5% Erwerbslosigkeit gilt nach heutigen EU-Kriterien als "Vollbeschäftigung".
Die Kommission versucht gar nicht erst, falsche Hoffnungen zu wecken:
1. Durch schnellere Vermittlung (früherer Vermittlungsbeginn) und Verschärfung
der Zumutbarkeit können ihrer Meinung nach gerade einmal 450000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik genommen werden. Verschärfung der
Zumutbarkeit bedeutet:
Jungen, "ungebundenen" Arbeitslosen kann der Umzug in eine andere
Region, höhere Pendelzeiten, auch der Unterhalt einer Zweitwohnung zugemutet werden (wofür arbeitet man dann noch?).
Und: "Materiell kann eine Beschäftigung durchaus auch dann zumutbar
sein, wenn sie nicht gemäss Tarifvertrag entlohnt wird. Insbesondere in den neuen Bundesländern … stellt die Tarifbindung in vielen Regionen ein
Vermittlungshindernis dar. Tarifvertragliche Regelungen sind nur zu berücksichtigen, wenn beide Vertragspartner tarifgebunden sind oder der Tarifvertrag
allgemeinverbindlich ist."
"Im Übrigen ist es nach Auffassung der Mitglieder des Teilprojekts 2 nicht
Aufgabe der Arbeitsverwaltung zu kontrollieren, ob tarifvertragliche oder in Betriebsvereinbarungen getroffene Regelungen eingehalten werden; entsprechende
Formulierungen in §121 SGB III sind daher zu streichen." Und dazu sagt der DGB nichts?
2. Die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialämtern nach dem Vorbild des
Kölner JobCenter-Modells (was immer als "bessere Betreuung" verkauft wird), errechnet sich gerade mal eine Zunahme der Vermittlungen um
230000.
3.
Richtig bringen es zwei andere Wege:
die Einrichtung der Ich-AG: Leute werden in die (Schein-)Selbstständigkeit getrieben, wo sie kein soziales Netz mehr auffängt und die
Individualisierung ihres Schicksals perfekt ist das soll 500000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik nehmen;
die Ausdehnung von Zeitarbeit und der flächendeckende Aufbau von sog.
Personal-Service-Agenturen (PSA). Die Ausdehnung von Zeitarbeit setzt eine Lockerung der entsprechenden Bestimmungen voraus (siehe S.1). Die PSA sind
eine besonders perfide Einrichtung; es handelt sich um Verleihfirmen, die real Nebenstellen des Arbeitsamts sind, am besten noch privat betrieben. Das
Arbeitsamt fungiert damit gleichzeitg als "Vermittler", mithin als Aufseher über die "Zumutbarkeit", wie auch als eine Firma, die
eine Vermittlung in Anspruch nimmt, mithin die Aufsicht über die "Arbeitswilligkeit" führt. Diese repressive Doppelfunktion macht die
PSA zu modernen Arbeitshäusern.
Die Bestimmungen, wie sie hier vorgesehen sind, heben das im Grundgesetz festgeschriebene
Grundrecht auf freie Berufswahl und gleich eine ganze Reihe von sozialen Grundrechten der Allgemeinen Menschenrechtserklärung auf. Sie bedeuten die
Rückkehr zur Lohnsklaverei.
Angela Klein
Vermittlung 1: Gleich nach der Kündigung müssen sich Beschäftigte beim Arbeitsamt melden; sonst erhalten sie erst später
Arbeitslosengeld. Der ihnen neu angebotene Job soll sich nahtlos an die alte Stelle anschließen. Familienväter und allein Erziehende werden bei der
Vermittlung bevorzugt.
Vermittlung 2: Die Firmen sollen besser bedient werden. Das Beratungsangebot wird auf ihren Bedarf zugeschnitten.
Zumutbarkeit: Jungen, "ungebundenen" Arbeitslosen wird auch ein Umzug in eine
andere Region zugemutet. Zumutbar ist auch Arbeit unter Tarif.
Die Beweislast wird umgekehrt: Künftig obliegt es dem Arbeitslosen, nicht mehr dem Arbeitsamt, nachzuweisen, daß eine Stelle
unzumutbar ist.
Arbeitslosengeld: In den ersten Monaten soll es eine Pauschale geben (750 Euro); vom 7.bis 12.Monat wird es individuell ausgerechnet. Das
Arbeitslosengeld gibt es nur zwölf Monate; danach gibt es sog. Eingliederungsgeld.
Eingliederungsgeld: Die Arbeitslosenhilfe wird abgeschafft; an ihre Stelle tritt ein "Eingliederungsgeld" in Höhe der Sozialhilfe
nur für ein Jahr.
Ältere Arbeitslose: Zwischen 55 und 60 können sie auf Antrag ein verringertes Arbeitslosengeld beziehen und dann in Rente gehen. Sie
sind dann aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen.
Personal-Service-Agenturen (PSA): Jedem Arbeitsamt wird eine Verleihfirma angegliedert. Sie kann privat betrieben werden. Über die
Agentur können Firmen kostenlos auf Probe oder gegen Bezahlung Leiharbeiter beschäftigen. Diese sollen nach Tarifvertrag bezahlt werden (sofern
Leiharbeitsfirmen Tarifverträge haben). Wer sich nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit weigert, einen solchen Job anzunehmen, dem wird das
Arbeitslosengeld gekürzt.
Ich-AG: Das sind Ein-Mann-Betriebe oder Familienbetriebe. Als Arbeitslose dürfen sie bis zu 15000 Euro (Familien bis zu 20000 Euro) im
Jahr verdienen; dann sind sie über den Arbeitslosenstatus sozialversichert; ein Teil des Einkommens wird aufs Arbeitslosengeld angerechnet.
Zusätzlich werden sie pauschal mit 10% besteuert. Dadurch soll Schwarzarbeit ans Tageslicht treten.