SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 12

G8-Gipfel

Afrika ohne Hoffnung?

Unrealistische Erwartungen" wären nicht angebracht, gab UN-Generalsekretär Kofi Annan bereits vor dem G8-Gipfel in Kananaskis, der sich einen Tag lang mit dem "Afrika-Aktionsplan" befasste, zum Besten — und er sollte Recht behalten. Der Aktionsplan der G8, die sich Anfang Juli in Kanada trafen, stellte eine Reaktion auf die "Neue Partnerschaft für afrikanische Entwicklung" (NEPAD) dar, die von fünf afrikanischen Staaten initiiert und bereits auf dem letzten G8-Gipfel in Genua vorgestellt wurde. Diese "Neue Partnerschaft" begeisterte die westlichen Regierungschefs und internationalen Organisationen: Endlich hätte sich der "schwarze Kontinent" zu einem eigenen Ansatz durchgerungen und versuche, seine Probleme selbstständig anzugehen.
Dieser Enthusiasmus kommt nicht von ungefähr, haben sich die afrikanischen Staatsoberhäupter doch im Wesentlichen an den Entwicklungskanon der G8 gehalten: gute Regierungsführung, marktwirtschaftliche Orientierung, Demokratisierung, Integration in die globale Wirtschaft.
Erklärtes Ziel der "Neuen Partnerschaft" ist die Halbierung der Zahl der in extremer Armut lebenden Afrikaner bis 2015. Hierzu soll vor allem auf ein Wirtschaftswachstum von jährlich 7% im Laufe der nächsten 15 Jahre gesetzt werden.
Zum Leidwesen westlicher Staaten erwarten die afrikanischen Initiatoren für so viel vorauseilenden Gehorsam ein gewisses finanzielles Entgegenkommen der Geberländer. Wiseman Nkhulu, Generalsekretär des NEPAD, lancierte bereits im Frühjahr einen Finanzierungsbedarf von jährlich 64 Mrd. US-Dollar und schwärmte bereits von einem "Marshallplan für Afrika".
Ob sich der bisherige Einsatz seitens der afrikanischen Staatsoberhäupter auszahlt, scheint mehr als fraglich: Kanzler Schröder wiegelte bereits vor Konferenzbeginn ab, es ginge "nicht um eine Art Marshallplan für Afrika", sondern vielmehr "um die Teilhabe Afrikas an den Gewinnen der Globalisierung". Worin diese aber bestehen könnten, ist die ungeklärte Frage — nicht nur — dieses Gipfels.
Afrika kämpft mit unterschiedlichsten Herausforderungen in den Bereichen Nahrung, Verschuldung, AIDS, der zunehmenden Ressourcenknappheit vor allem für die ländliche Bevölkerung und einer gleichbleibend hohen Quote Armer — fast 50% der Bevölkerung — mit einem Einkommen von unter einem Dollar pro Tag. Internationale Bemühungen, Afrika auf den "richtigen" Entwicklungspfad zu bringen sind bisher genauso zahlreich, wie erfolglos.

Afrikas Probleme

Nahrung: Der Welternährungsgipfel in Rom vom 10. bis 13.Juni dieses Jahres musste sich eingestehen, dass die Aufgabe, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, ohne immense Anstrengungen nicht mehr zu bewältigen wäre. Hier scheiden sich die Geister über die richtige Strategie: Steigerung der Produktion für den heimischen Markt, wie vom "Forum für Nahrungssouveränität" — einer Plattform von 700 Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen — gefordert, oder Öffnung der Agrarmärkte, um über Nahrungsimporte und die Nutzung gentechnisch veränderter Saaten, die Ernährungssituation zu stabilisieren — die bevorzugte Marschroute der Gipfeloffiziellen.
Handel: Die bisherigen Vorleistungen des Nordens sind, wenn überhaupt der Logik einer stärkeren Exportorientierung gefolgt werden soll, sehr mager. Die WTO-Verhandlungen in Doha im November 2001 brachten keinen Durchbruch bei der Frage der Reduzierung von Agrarsubventionen in den Industrieländern und dem Marktzugang für die Länder des Südens.
Die Europäische Union versuchte zwar bereits im Vorfeld mit ihrer im März 2001 in Kraft getretenen "Alles-außer-Waffen"-Initiative zugunsten der Least Developed Countries (LDC) ein Signal zu geben, scheitert aber letztendlich an ihrer eigenen Halbherzigkeit vor allem im Agrarbereich — sowie der makabren Tatsache, dass etliche der G8-Staaten selbst zu den führenden Waffenexporteuren der Welt gehören und der Anteil der weltweiten Waffenexporte afrikanischer Länder fast bedeutungslos ist.
Die USA haben mit ihrem African Growth and Opportunity Act (AGOA) bereits im Mai 2000 den Handel als Entwicklungsinstrument "entdeckt". Das Gesetz ist im Wesentlichen durch zwei Faktoren gekennzeichnet: erstens ist es zeitlich, mengenmäßig und in Bezug auf Branchen und Staaten begrenzt, und zweitens ignoriert es sämtliche Fragen, die nach US-Ansicht außerhalb der Handelsbeziehungen liegen, wie die Schuldenfrage und den Zugang zu natürlichen Ressourcen für die lokale Bevölkerung. Es zwingt die beteiligten afrikanischen Staaten zur Gleichbehandlung amerikanischer Investoren (national treatment) und zu bilateralen Abkommen mit den USA — zugespitzt handelt es sich schlicht um ein Investitions- und Handelsinstrument zugunsten der USA.
Schulden: Der auf dem G8-Gipfel in Köln 1999 ins Leben gerufene Schuldenreduzierungsansatz für hochverschuldete Länder mit Niedrigeinkommen, die HIPC-Initiative, hat zwar zu einer Reduzierung der Schuldenlast dieser Staatengruppe geführt, allerdings nicht im ausreichenden Maße. Hier kommt die Erhöhung der Mittel für die HIPC-Initiative um 1,2 Mrd. US-Dollar auf dem G8-Gipfel in Kanada dem verspäteten Eingeständnis gleich, dass die Mittel von vornherein zu knapp bemessen waren.
Entwicklungshilfe: Neue Finanzmittel für Afrika wurden von den G8 in Kanada nicht zugesagt, vielmehr soll eine Neuaufteilung der auf der Geberkonferenz im mexikanischen Monterrey ohnehin zugesagten Mittel zugunsten Afrikas vorgenommen werden. Für den Kontinent ergeben sich dadurch ab 2006 jährlich rund 6 Milliarden US-Dollar.
Diese Summe sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der öffentliche Finanzfluss Richtung Afrika von 18 Mrd. US-Dollar im Jahre 1990 auf 11 Mrd. (1998) drastisch zurückgegangen ist — und weiter sinkt. Darüber können auch Finanzbeiträge einzelner Staaten im Vorfeld des Gipfels nicht hinwegtäuschen. Kanada fühlte sich als Gastgeber besonders in der Pflicht und steuerte 500 Mio. US-Dollar bei, während die USA ihre Finanzbeiträge für den Bildungsbereich auf 200 Mio. Dollar erhöhten. Allerdings machen gerade diese Einzelsummen einen prekären Trend deutlich: Die Zersplitterung der Unterstützung und die Bilateralisierung der Beziehungen — wie auch im Handelsbereich — schreitet weiter voran.
AIDS: Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent steigt die Zahl der HIV-Infizierten rasant an: Weltweit sterben täglich 8000 Menschen an AIDS, 6000 davon allein in Afrika südlich der Sahara. Um diesem Problem zumindest in finanzieller Hinsicht zu begegnen, wurde auf einer UN- Sondersitzung im Juni 2001 die Einrichtung eines Global Aids Fund beschlossen, der Anfang des Jahres seine Arbeit aufgenommen hat.
Allerdings sieht die Bilanz auch hier sehr düster aus: Bereits nach sechs Monaten droht das "Aus" für den Fonds. Von den geschätzten 7—10 Mrd. US-Dollar pro Jahr, die für die Bekämpfung der Krankheit notwendig wären, wurden etliche Milliarden bisher nicht überwiesen. Vor allem die USA stehen hier in der Pflicht: Ihr Anteil am Fonds beläuft sich — theoretisch — auf ca. 3,5 Mrd. US-Dollar. Bush setzte stattdessen eine massive Kürzung im US-Haushalt für das Jahr 2002 auf 200 Mio. US-Dollar durch und versprach in zwei Jahren eine Erhöhung um 300 Mio. US-Dollar vorzunehmen.
Das Thema AIDS offenbart aber eine viel grundlegendere Problematik: Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass lediglich 2% aller AIDS-Kranken in Afrika südlich der Sahara Zugang zu Medikamenten haben — die Debatte um einen freien Zugang für afrikanische Unternehmen zu den Patenten multinationaler Pharmakonzerne wurde auf dem G8-Gipfel nicht thematisiert.
Die Liste könnte nahezu endlos weitergeführt werden — etwa bei der Biopiraterie und der Ressourcenausbeutung in den Ländern des Südens, die den Menschen vor Ort genau die Mittel entziehen, die sie für die oft geforderte eigenständige Entwicklung benötigen. Die Widersprüchlichkeiten und Unzulänglichkeiten der Gipfelpolitik sind offensichtlich.
Entsprechend fällt die Beurteilung des G8-Treffens in Kanada aus: Die Entscheidungen des Gipfels haben mit "unserer Realität" nichts zu tun, erklärte der Historiker Cheik Chikouna Cissé aus Mali. Die Gipfelteilnehmer wollten sich aber gerade dieser Wirklichkeit nicht stellen.
Um "Dialogbereitschaft" zu bezeugen, wurden Delegationen aus den fünf afrikanischen Staaten Südafrika, Senegal, Nigeria, Algerien, Ägypten und der UN-Generalsekretär Kofi Annan in die kanadische Provinz eingeladen. Über diesen diplomatischen Akt ging der Gipfel in punkto "Partizipation" allerdings nicht hinaus: In einem Umkreis von 6,5 Kilometern wurde der Tagungsort durch Tausende Polizisten und Soldaten abgeriegelt.

Afrikanischer Gegengipfel

Der Unmut über den neoliberalen Schulterschluss zwischen der afrikanischen und der westlichen Führungselite bahnte sich anderenorts seinen Weg. Der vom malischen Zweig der Schuldenkampagne Jubilee 2000 initiierte "Gegengipfel der Armen" in Siby, 50 Kilometer südlich der Hauptstadt Bamako gelegen, brachte Delegierte von 200 sozialen Bewegungen, NGOs und Institutionen aus 45 Ländern an einen Tisch, um auf die prekäre Situation des Kontinents, insbesondere in Hinblick auf die Schuldenstreichung, aufmerksam zu machen.
Salih Booker, Geschäftsführer der NGO Africa Action mit Sitz in Washington, brachte es auf den Punkt: Ein System "weltweiter Apartheid", in dem eine kleine Gruppe, überwiegend weißer Staaten die Regeln für den Rest des Globus vorgibt, prägt das Verhältnis zwischen Nord und Süd.
Die Notwendigkeit zu einem solchen "Gegengipfel" ist aber auch Ausdruck fehlender Beteiligung der afrikanischen Bevölkerung bei der Formulierung der NEPAD-Zielsetzungen. Die "Partnerschaft" wurde von afrikanischen Regierungen entwickelt ohne ihre Bevölkerungen einzubeziehen.
Kennzeichnend hierfür war die erste Finanzierungskonferenz im April 2002, zu der nur die Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), Regierungsvertreter und Wirtschaftsverbände und -lobbyisten zugelassen waren. Die afrikanische Regierungen setzen die "Privatisierung" der Politik, die von internationalen Organisationen und westlichen Regierungen vorexerziert wird, fort.
Die NEPAD gewinnt allerdings keinen Deut an Legitimation, wenn sie von den G8 und deren Afrika-Beauftragten den Segen erhält. Im Gegenteil, die Glaubwürdigkeit des Projekts nimmt nach dem G8-Gipfel in Kananaskis rapide ab. Die Weltbank geht von einem Finanzbedarf von 50 Mrd. US-Dollar zusätzlicher Entwicklungshilfe aus, um die Milleniumziele, insbesondere die Reduzierung der Armut, erreichen zu können. Anbetracht einer Prognose, die davon ausgeht, dass der Anteil der afrikanischen Bevölkerung, der im Jahr 2015 in extremer Armut lebt noch bei 37% liegt, reichen Versprechungen nicht mehr aus.
Der Ende August in Johannesburg anstehende UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (WSSD) gelangte erst gar nicht auf die Agenda des G8-Gipfels. Lediglich in einem Halbsatz wies der kanadische Gipfelgastgeber auf die anstehende Bilanz der 1992er Konferenz für Umwelt und Entwicklung hin — ein deutliches Signal dafür, wie weit das Thema der ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung an Bedeutung verloren hat.

Dirk Krüger



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