SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 22

Debatte

Deutsch lernen! - Zu C.Jünke, "Falsche Vermischungen", SoZ 7/02


Selten habe ich in letzter Zeit einen derart grauenhaften Artikel in der SoZ gelesen. Er ist geradezu ein Paradebeispiel für Karl Kraus‘ Satz, es reiche nicht, keinen Gedanken fassen zu können, man müsse auch unfähig sein, ihn auszudrücken.
Es geht schon damit los, daß "die Debatte … reflexions- und erklärungsbedürftig (ist)", "man beides (nämlich die Reflexions- und Erklärungsbedürftigkeit??) nur selten in den… Artikeln etc. (wiederfindet)". Das folgende, mit Tempus-, Rückbezugs- und Logikfehlern (erst wird ein Erbe aufgearbeitet und dann dieser auf 20 Jahre bezifferte Prozeß als "aufkommende Diskussion" apostrophiert, um nur ein Beispiel herauszugreifen) durchsetzte Gestammel ist eine wunderbare Demonstration der Dialektik zwischen Form und Inhalt.
Um es kurz zu machen: Vor allem der Unsinn vom "unbewussten Rassisten/Antisemiten/Faschisten", ausgerechnet im Zusammenhang mit machtgeilen Berufspolitikern wie Möllemann, Karsli und Konsorten verwendet, in Verbindung mit der Leerformel, Vergleiche seien ein "unumgängliches (?) Mittel historischer Wissenschaft (also der gegenwärtigen nicht?)" (dunkel ist deiner Worte Sinn, oh Herr), lässt nur einen Schluß zu: statt "Historiker" zu werden, hätte der Christoph Jünke besser erst einmal ein paar Nachhilfestunden in Deutsch nehmen sollen. Si tacuisses…

Klaus Engert

Möllemann kein Kronzeuge - Zu C.Jünke, "Falsche Vermischungen", SoZ 7/02


"Mit der Vermischung der Grenzen von Antisemitismuskritik und Israelkritik schließlich macht man sich zu Komplizen kriegführender Regierungen", schreibt Christoph Jünke in seinem Beitrag "Falsche Vermischungen — Rückblick auf die Antisemitismusdebatte" in SoZ 7/02. Das ist eines der zentralen Argumente, mit denen er versucht, seinen von vielen kritisierten Kommentar in der Juni- SoZ zu rechtfertigen. Warum verteidigt Christoph, nimmt er seine eigene Argumentation ernst, dann ausgerechnet Möllemann, den Vermischer par excellance? Einen, der die israelische Regierungspolitik kritisiert, Vertreter der jüdischen Gemeinde in Deutschland als Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft angreift und dabei keinen Hehl daraus macht, es auf die Stimmpotenziale rechts von der CDU abgesehen zu haben? Sascha Möbius hat in seinem Leserbrief der selben Ausgabe zu Recht darauf hingewiesen, dass Möllemanns Äußerung auch im Kontext einer "kalt kalkulierten deutschen Außenpolitik" zu sehen ist, "die vom Amoklauf der USA im Nahen Osten profitieren will". Misst man dieser Analyse auch nur ein Quäntchen Bedeutung bei, wird Möllemann genau zu diesem, von Christoph inkriminierten "Komplizen".
Doch statt Möllemann seiner eigenen Analyse zu unterziehen, kritisiert der Autor die Anbiederungsversuche der Kanzlerkandidaten und stellt sie mit Möllemanns antisemitischem Angriff auf eine Stufe. An dieser Stelle soll nun keine Verteidigungsschrift für die mehr als kritikwürdigen Kanzlerkandidaten geschrieben werden. Aber es sei doch angemerkt, dass die Teilnahme als Zuschauer während des WM-Endspiels im Vergleich zu Möllemanns Populismus nichts Bedrohliches an sich hat.
Wenn man gegen bornierte Selbstgefälligkeit einiger sogenannter "Antideutscher" und ihrer bedingungslosen Solidarität mit Sharon zu Felde ziehen will, sollte man vor allem drei Dinge beachten:
1. "Entweder-Oder" ist ein Schema, mit dem die gesamte Problemstellung nicht zu erfassen ist. Oder sprichwörtlich gesagt: "Der Feind meines Feindes ist nicht notgedrungen mein Freund."
2. Als Zeitung mit materialistischem Anspruch hat sich die SoZ bisher weitgehend davor gehütet, einzelne Zitate und Meinungen losgelöst vom Kontext des Handelns zu bewerten. Wie kann man dann Möllemanns Äußerungen derart von seinem persönlichen und politischen Kontext lösen und ihn sogar gegen die Kritiker in seiner eigenen Partei verteidigen? Fast jedes Wochenende demonstrieren irgendwo in Deutschland harte Neonazis, die "Solidarität mit Palästina" skandieren. Das machen sie bestimmt nicht aus Liebe zu den Palästinensern, sondern weil sie Israel und die Juden hassen.
Möllemann ist vielleicht kein überzeugter Antisemit. Aber welche Rolle spielt das schon? Als "kalt kalkulierender" populistischer Politiker und in seiner Funktion als Vertreter der Deutsch-Arabischen-Freundschaftsgesellschaft auch als "kalt kalkulierender" Geschäftsmann spielt er ohne Skrupel mit dem Feuer des Antisemitismus. Und dabei dürfte es ihm völlig gleich sein, ob es sich dabei nun um politischen, rassistischen oder religiösen Antisemitismus handelt, wie Christoph meint differenzieren zu müssen.
3. Über die Kritik an der israelischen Regierung, die in der SoZ und auch in vielen Mainstream-Medien geübt wird, sollte nicht der real existierende Antisemitismus im eigenen Land bzw. in Europa vergessen werden. Entgegen dem antideutschen Verdikt, sich des Antisemitismus schuldig zu machen, wenn man die Politik Israels kritisiert — und d.h. beides nicht voneinander trennen zu können — sollte in der SoZ dem Antisemitismus hierzulande mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, ohne die Kritik an Israel zu vergessen.
Fazit: Möllemann taugt nicht als Kronzeuge gegen israelische Regierungspolitik. Da darf es keine Missverständnisse geben.

Gerhard Klas

Für faire Auseinandersetzung - Zu den Leserbriefen zu C.Jünke in SoZ 7/02

Die FDP, einst selbsternannte "Partei der Besserverdienenden", steuert die 18 Prozent an. Alles erdenklich Gute sei ihr an den Kopf geworfen. Doch können einen manche Beiträge zur sog. Antisemitismus-Debatte traurig stimmen.
Gregor Gysi verlautbarte am 27.5. im ND, Möllemann habe angekündigt, "der Haider Deutschlands werden zu wollen", weshalb ihn seine Partei hinauswerfen möge. Indes kündigte der FDP-Mann nichts dergleichen an. Ähnlich leger wie die Umgangsform des starken Mannes der PDS mit Worten politischer Gegner ist leider die von Leserbrief-AutorInnen der SoZ. So ist in SoZ 7/02 von Möllemanns "antisemitischen Ausfällen gegen Michel Friedman" die Rede, davon, dass er sich "ohne wenn und aber auf die Seite von Fatah, Dschihad und Hamas" stelle; Parteichef Westerwelle habe bestätigt, "im Trüben, d.h. im braunen Sumpf fischen" zu wollen. Wetten über die Echtheit dieser Zitate mit den AutorInnen abzuschließen wäre unredlich: Die FDP-Größen haben das nicht gesagt.
Andererseits seien folgende Fragen erlaubt: Stimmt die Aussage Möllemanns, "Israels Politik fördert den Terrorismus" — oder stimmt sie nicht? Dürfte er sein Land — auch auf gegnerischem Boden — verteidigen, wenn es angegriffen wird, oder wäre das verbrecherisch? Ist ihm die Aussage gestattet, Sharon und Friedman hätten dem Antisemitismus durch ihre Intoleranz genutzt — oder ist, der solches feststellt, dadurch Antisemit?
Wortverdrehungen sind in der Debatte besonders zahlreich. Linke sollten sich hüten, da mitzutun. Christoph Jünke, der sich an die Regeln fairer Auseinandersetzung gehalten hat, "eine Verirrung politischen und moralischen Denkens in Richtung antisemitischer Klischees" vorzuwerfen, erinnert an "Entlarvungen" der Stalin-Zeit.
Überlegenswert ist, ob es in der Anti-Möllemann-Diskussion wirklich nur darum geht, einer bürgerlichen Konkurrenzpartei zu schaden. Diese "Diskussion" könnte auch ein Beitrag dazu sein, Antifaschismus auf längere Sicht durch Pseudo-Antifaschismus und Anti-Antisemitismus nach Art der "Anständigen" zu ersetzen. Das zu dem Zweck, Gegner der Kriegs- und der neoliberalen Asozialpolitik leichter mundtot machen zu können, genau wie es bei Kritik an Bush mit dem verlogenen Vorwurf des "Antiamerikanismus" versucht wird.

Manfred Behrend, Berlin

Übermäßige Geduld - Zum "Antisemitismus"-Streit in der SoZ

Das Gros der Leserbriefe in SoZ 7/02 […] zeugt davon, dass es in der BRD keine Antisemitismus-Debatte gibt, sondern einen "Antisemitismus"- Streit. Christoph Jünkes Artikel zum Thema, in dem er mit fast übermäßiger Geduld versucht, der Auseinandersetzung ein rationales Fundament zu verleihen, wird leider daran scheitern, dass wir es bei den linken "Antisemitismus"-Jägern offensichtlich mit Menschen zu haben, für die diese Jagd eine quasireligiöse Aufgabe ist, moralisch erhöht durch die "Betroffenheit" der — im Allgemeinen — doch so Unbetroffenen.
Jünke leistet in seinem Artikel in SoZ 7/02 dennoch einen notwendigen Beitrag vor allem insofern, als er auf die für eine Debatte unverzichtbare Technik der rationalen Argumentation verweist. Dazu gehört es z.B., die Unterscheidung zu treffen auf der einen Seite zwischen dem, was jemand gesagt oder geschrieben hat, und auf der anderen Seite dem, was er gemeint haben mag, und schließlich dem, was ein anvisiertes oder auch nicht anvisiertes Publikum verstanden hat, realistischerweise verstehen durfte oder auch nur verstehen soll. Wenn das Geschriebene angeblich im Widerspruch zum Rest steht, dann muss das zunächst einmal mit Fakten bewiesen werden.
Leider ist auch Jünke möglicherweise als Ergebnis des ideologischen Trommelfeuers der "Antisemitismus"-Jäger in einem Fall diesbezüglich ein Fehler unterlaufen. Er fordert von Möllemann eine inhaltliche Entschuldigung für den Satz, "dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt, mehr Zulauf verschafft, als Herr Sharon und in Deutschland Herr Friedman mit seiner intoleranten, gehässigen Art". Er soll sich entschuldigen, weil dieser Satz antisemitische Klischees transportiere.
Die Frage ist jedoch zunächst einmal nicht die, ob dieser Satz von Antisemiten als Bestätigung ihrer Vorurteile verstanden wird, sondern ob dieses Verständnis begründet ist. […]
Möllemann (über dessen sonstiges politisches Profil wir hier hoffentlich nicht zu reden brauchen) schreibt nicht, dass er denke, dass die Reaktion der Antisemiten berechtigt sei, sondern nur, dass es solche Reaktionen gibt.
Und natürlich ist es lächerlich, auf den journalistischen Beruf Friedmans hinzuweisen, wenn er in diesem Fall als Vizevorsitzender des "Zentralrats der Juden Deutschlands" aufgetreten ist. Es ist leider in der Tat so, dass die meisten Menschen — nicht nur Antisemiten — tendenziell von Einzelnen auf deren Gruppe schließen, und das natürlich um so leichter, wenn diese Einzelnen gewählte Vertreter ihrer Gruppe sind.
Dass der normale Bürger unterscheide, dass Herr Friedman nicht Repräsentant "der" Juden ist, sondern einer Organisation, die von sich behauptet, Vertreterin "der" Juden zu sein, ist vielleicht etwas viel verlangt. Möllemanns Aussage mag inhaltlich richtig oder falsch sein, sie hat nicht zum Inhalt: "wenn es den Juden an den Kragen geht, sind sie selbst dran schuld". Worauf sie hinweist, ist lediglich die leider nicht zu bestreitende Tatsache, dass das Verhalten exponierter Mitglieder der (jüdischen) Gemeinde Auswirkungen auf das öffentliche Ansehen dieser Gemeinde haben kann. Er sagt nicht, dass das so richtig sei.
Möglicherweise stimmt es ja, dass Möllemann geschickt formulierend ein sich nicht auf den Wortlaut seiner Satzes stützen könnendes rassistisches Verständnis nicht nur als unvermeidlich einkalkuliert, sondern sogar beabsichtigt, und dass dieses Verständnis dann in Wirklichkeit kein Missverständnis ist. Dafür jedoch müssten Beweise erbracht werden. Ich habe bisher noch keine gesehen.
Genauso wenig entsinne ich mich im Übrigen, dass der von Möllemann geförderte Jamal Karsli wie in der gleichen SoZ von Winfried Wolf behauptet von "zionistischer Weltverschwörung" gesprochen hat. Das wäre zwar noch keine "jüdische" Weltverschwörung, aber viel fehlte nicht. Ich entsinne mich nur an "zionistische Lobby", zu der Jünke m.E. das Notwendige gesagt hat.
Anton Holberg, Bonn

Von der Auschwitz-Keule zur Antisemitismusfalle - Warum ich meine Autorenschaft in der SoZ aufkündige

[…] Ich hatte erwartet, dass der Rest der ZeitungsmacherInnen zumindest verhindern würde, dass sich Jünke weiterhin als Klein-Walser in der SoZ austoben kann. Leider wurden meine Erwartungen in der Juli-Ausgabe der SoZ herb enttäuscht. So heißt es im Editorial lediglich, dass "mit dem Kommentar unseres Redakteurs Christoph Jünke nicht das einzig mögliche…Wort zum Möllemann-Streit gesprochen wurde". Damit wurden Jünkes Anmassungen als eine "mögliche" politische Position akzeptiert und nicht als unmögliche zurückgewiesen, wie es in einem Blatt, das sich als links begreift, selbstverständlich sein sollte. […]
Da darf der Redakeur der (National?)"Sozialistischen" Zeitung Kritikern des Rechtspopulisten Möllemann vorwerfen, eine "Hetzjagd" entfacht zu haben und "massive Pogromstimmungen… freizusetzen". Wie geschichtsvergessen muss jemand sein, dem solche Begrifflichkeiten einfallen, wenn ein prinzipienloser und machtgeiler deutscher Politiker wie Möllemann in Talkshows kritisiert oder bei Wahlkampfauftritten ausgepfiffen wird? Das Wort Pogrom steht in Deutschland für die Verfolgung, Ausplünderung, Mißhandlung und Ermordung von Millionen Juden. Doch dieses mit dem Wort "Pogrom" beschriebene Leid ist laut Jünke nicht zu vergleichen mit dem, was den Herren Karsli und Möllemann zugefügt wird, da diesen sogar eine "massive" (also besonders perfide) Pogromstimmung entgegen schlage. Warum distanzieren sich die ZeitungsmacherInnen der SoZ nicht von solchem gedanklichen Müll? […]
Schon die Überschrift "Die Antisemitismusfalle" erinnert doch an Walsers "Auschwitz-Keule". Wieso kann ein Redakteur der SoZ unwidersprochen die "agressive Vehemenz" (einer angeblich "großen Koalition" von nie erreichter "Breite") beklagen (!), mit der Politiker kritisiert werden, die sich "antisemitischer Klischees" bedienen? Und wieso darf er in der SoZ über einen Schmierenkomödianten wie Möllemann schreiben, er habe mit seiner Israel-Kritik "vollkommen recht"? […] Vielleicht fällt dies alles niemandem auf, der — wie Jünke — selbst antisemitisch denkt und schreibt, so zum Beispiel wenn er Paul Spiegel in der aus der Nazipresse bekannten abwertenden Diktion von "jenen (!) Präsidenten des Zentralrats der deutschen Juden" nennt und einen "beliebig aufgeblähten Antisemitismusbegriff" beklagt.
Es kann doch nicht angehen, dass allein LeserbriefschreiberInnen merken, dass Jünkes Beitrag "eher in die ‚junge (alte) Freiheit‘ als in die SoZ" gehört und daraus die nachvollziehbare Konsequenz ziehen, ihr SoZ-Abo zu kündigen, "bis die Redaktion ihre Hausaufgaben" in Sachen Antisemitismus gemacht hat. Diesen Rat hatte die SoZ-Redaktion zumindest bis zur Juli-Ausgabe offensichtlich noch nicht beherzigt: Darin darf sich ausgerechnet Christoph Jünke erneut auf einer ganzen Seite über die Antisemitismusdebatte auslassen.
Den reaktionären, geschichtsrevisionistischen Grundtenor auch dieses Textes wahrzunehmen und deshalb seinen Abdruck zu verhindern, hätte tatsächlich zu den Hausaufgaben der SoZ-Redaktion gehört. Fast jeder seiner Sätze enthält eine Zumutung. […]
Ich habe nie einer der Gründungsorganisationen angehört, aus denen die VSP hervorgegangen ist. Ich habe über die Jahre viele Positionen, die in der SoZ vertreten wurden, nicht geteilt (von der Glorifizierung der erzkatholischen polnischen Gewerkschaft Solidarnosc in den 80er Jahren über die unsäglichen Beifallsbekundungen für die angebliche deutsche Revolution nach dem Anschluss der DDR Anfang der neunziger bis zur euphorischen Rhetorik, in der noch im Juli 2002 auf der Titelseite der SoZ "gigantische Generalstreiks" in dem Land gefeiert werden, das Berlusconi gewählt hat).
Kurzum: ich habe vielerlei politische Positionen in der SoZ akzeptiert, die nicht die meinen sind und ich habe auch nichts gegen kontroverse politische Debatten. Aber wenn Antisemitismus verharmlost, die deutsche Geschichte verdrängt und umgeschrieben wird, dann ist meine Schmerzgrenze überschritten. Mit Zeitungen und Organisationen, in denen dies — wie in den letzten beiden Ausgaben der SoZ — möglich ist, will und werde ich nichts zu tun haben. Deshalb erscheinen von mir in der SoZ bis zu einer grundlegenden Neuorientierung und Neubesetzung der Redaktion (sprich: Trennung von Christoph Jünke) keine Artikel mehr.

Karl Rössel



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