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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2002, Seite 23

‘Tu Geld in deinen Beutel!‘ (W.S.)

Mit dem Kapitalismus geht‘s zu Ende. So oder so. Auf den von täglichen Untergangsberichten bestimmten Wirtschafts- und Börsenseiten der dem Systemerhalt verschriebenen Bürgerblätter verzweifelten die Liberalismusideologen letztens an einem Kuriosum: "Authentos am Rande des Ruins". Die Unternehmensgruppe, die vor zwei Jahren mit einer Milliardenofferte dem Finanzminister Eichel die staatseigene Bundesdruckerei abschwatzte, steht vor der Pleite. 750 Millionen Euro wurden dem Unternehmen damals vom Staat für den Kauf der öffentlichen Gelddruckerei geliehen, die vor allem durch profitable Druckgeschäfte mit den neuen Euro-Scheinen wieder zurückgezahlt werden sollten. Und nun ist gerade daraus nichts geworden. Authentos druckt Geld und geht darüber Pleite. Ginge es nicht auch hier um die soziale Existenz arbeitender Menschen, es sollen 500 Beschäftigte gefeuert werden, so könnte diese schöne Dialektik der Marktwirtschaft klammheimliche Freude aufkommen lassen.
Dass der Kapitalismus aber selbst dann nicht automatisch das Zeitliche segnet, wenn seine Gelddruckerei bankrott geht, sondern dass alles auch eine Frage des bewussten Seins der Männlein und Weiblein ist, wird an einer fast zeitgleich veröffentlichten Umfrage deutlich. 72%, gut zwei Drittel der Deutschen, halten den "Geldautomaten" für die nützlichste und beliebteste technische Neuerung. Es werden weltweit keine 15% der erwachsenen Menschen überhaupt ein Bankkonto haben, aber eine Maschine, die automatisch das allgemeine Äquivalent in möglichst unbegrenzter Menge ausspuckt, ist ein so starkes Faszinosum, dass darüber wahrscheinlich so manches sozialdemokratische Herz zerbrechen wird.
Um diesen persönlichen Dramen zu entgehen, haben die Sozialdemokraten schon immer eine ihrer Hauptaufgaben darin gesehen, Scheiße für Gold zu erklären. Wortschöpfungen, die die Dinge auf den Kopf stellen, sind dabei das Mittel der Wahl. So durfte der ins Unternehmerlager gewechselte Sozialdemokrat Peter Hartz nicht nur einer Kommission den Namen geben, die einmal mehr die Schröder‘sche demokratiefeindliche Praxis der außerparlamentarischen Politikentscheidung fortsetzte, sondern er durfte auch den strunzdummen Quark von der "Ich-AG" verkünden.
Was bisher von Konsum- und Trendforschern, wie den einschlägig bekannten Matthias Horx, Florian Ilies und Peter Wippermann als tolle Zukunftsprojektion verkündet wurde, in Wahrheit aber nichts als die Fortschreibung der kapitalistischen Individualisierung von Produktion und Konsum von Heute bedeutet, und was außerdem Headhunter den gescheiterten Managern und Unteroffizieren des Kapitals als Werbestrategie für ihre Bewerbungsgespräche vorschlagen, darf nun dem Millionenheer an Erwerbslosen als Sommerhit vorgeträllert werden. "Jeder ist seines Glückes Schmied" und alles nur eine Frage der Verkaufstechnik und der Verklärung der Fähigkeit, einen Rasen mähen zu können, zum Abschluss in Landschaftsarchitektur. Die "Ich-AG" als moralischer Geldautomat, und selbst die mieseste Arbeit noch als Erhöhung der Employability — je tiefer die Krise, desto hemmungsloser die Ideologen. Dass der gleiche Peter Hartz auf Treffen mit Personalmanagern heftig gegen die "Ich-AG-Ideologie" zu Felde zieht, weil sie dem meist profitableren Toyota-Korporatismus als Unternehmensideologie das Wasser abgräbt und zu illoyalen Job-Hoppern führe, wird vornehm verschwiegen.
Aber den Schröder-Sozialdemokraten wird der Sommerhit immerhin die Stimmung verbessern. Können sie doch so wenigstens noch von einer großen Koalition träumen, für die solche Expertenergüsse der Hartz- Kommission wie geschaffen scheinen. Doch es ist nur Schein, der das unvermeidliche Schicksal der Sozialdemokratie, zur Durchführung der allgemeinen Geschäftsinteressen des Kapitals bald nicht gebraucht zu werden, nur kurzfristig überstrahlt. Wer‘s nicht glaubt, dem sei noch ein Umfrageergebnis mitgeteilt. Auf die Frage, wer der mächtigste Deutsche ist, antwortete eine klare Mehrheit nicht etwa Schröder, oder Stoiber, oder Westerwelle, oder einen der anderen in Fernsehen, Talkshows und Zeitungen täglich durchgespülten Mainstreamideologen und Unterhaltungskaspern. Nein der mächtigste Mann ist einer der noch nie im Fernsehen auftrat, keine Interviews gibt und dessen letztes Foto zehn Jahre alt ist: Theo Albrecht, der Chef von Aldi. Wir stimmen mit der Mehrheitsmeinung selten überein, aber hier ist die Richtung der Analyse schon nicht schlecht.

Thies Gleiss



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